: Nur wenige Schwerhörige outen sich
■ Immer mehr Menschen hören schlecht / Mittlerweile gibt es auch modische Hörgeräte - gegen Zuzahlung
“Bekenner-Mut beweist Frank Sinatra: Er trägt seine Hörgeräte offen zur Schau“, schreibt die Zeitung „Neues Hören“. Hörgeräte haben immer noch nicht den gleichen Status wie etwa eine Brille. Die Schwerhörigen wünschen sich ein möglichst unauffälliges Hörgerät. „Lieber schlechter hören, aber gut aussehen“, faßt Hörakustiker Andreas Martens die Haltung der meisten KundInnen zusammen.
Dabei hören immer mehr Menschen schlecht: Ein neuer belastender Faktor ist die Phono-Pollution. „Durch die vermehrte Lärmbelästigung kommt es heute häufiger zu Schwerhörigkeiten“, erläutert der Hörexperte Christian Krause. Die Ruhezeiten seien zudem kürzer als früher. Je länger die Schalleinwirkzeit ist, umso länger müßte sich das Ohr auch erholen. Doch in der Freizeit wird das Ohr häufig erst recht strapaziert. Bei dem Pink-Floyd-Konzert „The Wall“ in Berlin wurde ein Wert von 150 Dezibel gemessen. Das ist lauter, als wenn man neben einem startenden Düsenjäger stünde. Auch der beliebte Freizeitmanager Walkman schädigt auf Dauer das Ohr. Das Ohr gewöhnt sich an eine eingestellte Lautstärke, und so stellt die Benutzerin den Walkman noch lauter, letztlich: zu laut.
Zugenommen hat auch die Schwerhörigkeit infolge eines Hörsturzes. Ein Hörsturz ist eine Art Herzinfarkt des Ohres. Dieselben Faktoren, die zum Herzinfarkt führen, können zu einem Höhrsturz führen: Stress und wenig Schlaf zum Beispiel.
Schlechtes Hören bedeutet eine enorme Einbuße an Lebensqualität. Nicht mehr wahrgenommen wird zum Beispiel das Tirilieren und Zwitschern von Vögeln. Genau danach fragt der Hörtest. Eine weitere Testfrage: Hören Sie im Konzert die Geigen und Flöten genausogut wie die anderen Instrumente? Die Hörfähigkeit verschlechtert sich jedoch nicht nur durch eine Überdosis an lauter Musik, sondern auch durch die mit dem Alter zunehmende natürliche Abnutzung. Schon ein 30jähriger kann hohe Töne über 15.000 Hertz nicht mehr hören. Ab 70 hört man dann nur noch eine halb so hohe Hertz-Frequenz.
Neben einer angeborenen Schwerhörigkeit gibt es Schwerhörigkeiten, die durch Mittelohrentzündungen oder auch durch ein Knalltrauma (etwa an Sylvester) ausgelöst werden.
Heute können Schwerhörige zwischen ganz verschiedenen Grundformen von Hörgeräten wählen: dem klassischen Hinter-dem-Ohr-Gerät (HdO) und dem kaum sichtbarem Im-Ohr- Gerät (IO). „Prozentual gesehen werden die HdO-Geräte noch am häufigsten angepaßt“, berichtet Christian Krause von der Bremer Hörgeräte Zentrale. Die kleinen Dinger hinterm Ohr gibt es mittlerweile in poppigen Farben.
Die Krankenkasse bezahlt neuerdings einen Festsatz von rund 1.000 Mark pro Hörgerät. Wer ein schickes Hörgerät haben will, muß wie bei der Brille einiges drauf legen. Besonders teuer ist der Ohr-Schmuck: goldene oder versilberte Schmuckteile, die entweder ins Ohr gesteckt werden oder als Ohrclip dranggehängt werden — 2.000 bis 8.000 Mark pro Paar.
Ein Hörgerät ist kein neues Ohr: Man hört die Geräusche und Töne eher wie aus einem Lautsprecher. Manche Geräte berücksichtigen verschiedene Raumsituationen. Die Trägerin muß dazu auf einem kleinen Verstärker in der Tasche die jeweilige Hörsituation einstellen: die ruhige Umgebung zu Hause oder eine geräuschvolle Umgebung etwa in Büro oder Theater. So kann man auf der Straße den quietschenden Bus ein wenig wegbeamen, um dafür die begleitende Person besser zu verstehen. Henri Nannen machte diese Hörfernbedienung gesellschaftsfähig, als er sie in einer Talk-Show öffentlich auf die Raumbedingung einstellte.
Hochbetrieb herrscht beim Hörakustiker vor und nach Weihnachten: Da merken die meisten, daß sie zur Familienfeier ihr Gerät wieder fit machen müssen, oder daß die Batterie leer ist. Manche stellen im lauten Familientrubel das Gerät aber dann doch wieder ab, um im Sessel ein Nickerchen zu halten. Vivianne Agena
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