Village Voice: Häme für die Doofen
■ Max Goldt: Nirgendwo Fichtenkreuzschnäbel überall Fichtenkreuzschnäbel
Natürlich würde das Naheliegendste mal wieder kein Schwein glauben: Die verschiedentlich mit einem schrillen Hochfrequenzfiepen ertönenden Störgeräusche, hier „Einleitendes Urknistern“, „DAT-Vorlauf-Reprise“ und „Abschließendes Urknistern“ betitelt, sind überhaupt keine komplizierten Klangphänomene. Solche Programmierfehler macht wahrscheinlich jeder, der mit irgendwelchen neumodischen elektrischen Gerätschaften herumhantiert, ohne die Bedienungsanleitung vorher durchgelesen zu haben. Vielleicht ist auch nur einfach der Recorder kaputt. Anstatt nun aber im Handbuch nachzuschlagen oder wenigstens den Fachverkäufer zu belangen, hat Max Goldt aus der Not eine kammermusikalische Schallplatte gemacht, „zu Hause im Verlauf des Jahres 1991“.
Die Synthesizer liegen ähnlich schief. Während andere Computermusiker solange in ihren Dateien wühlen, an Knöpfen herumdrehen und Frequenzen justieren, bis eine Flöte ganz genau wie eine echte Flöte klingt, klingt auf „Fichtenkreuzschnäbel“ eine Flöte gar nicht erst nach dem Versuch einer ordnungsgemäßen Flötenimitation, sondern wie ein artverwandtes doch mutiertes, leicht piepsiges Geräusch. Ein wenig verhält es sich wie mit dem sprechenden Hund in Loriots Zeichentricksketch. Manchmal wirkt der in diesem Geiste keimende Charakter des urig Hausgemachten allerdings überbetont, etwa wenn Goldt mitten in den laufenden Song hineinfragt, ob das Lied schon vorbei ist. Dafür gibt es in jedem Studio Abhöranlagen, auch bei Heiko Zinn.
Bei den Texten hat sich Max Goldt dagegen ein wenig gezügelt, nur die Geschichte von den „Beatles in New York“, zu deren Auftritten Susan Sontag „mit Dogen vollgepumpt“ ihre „brillanten Essays“ vorträgt, ist ausgeprägt durchgedreht. Viel lieber streitet der Titanic-Tagebuchschreiber für die kleinen Mißlichkeiten der Mittelschicht, verkorkste Büroflirts und gescheiterte Kleinkunstkarrieren. Häme bekommen nur die Doofen ab. Die Pointen werden dann als giftiger Chorgesang nachgeschoben, der sich wie in Liederzyklen der Romantik stetig unterschwellig wiederholt. Selbst das lyrische Ich ist nicht vor sanfter Ironie gefeit, eine Spekulation über das Leben in Erwartung des kommenden Todes hebt an mit den Zeilen: „Ich würde sagen, zu langsam war es doch nicht, und ich habe nicht alles verstanden, und es war ein bißchen laut, es war immer ein bißchen laut, auf Wiedersehen“.
Trotzdem sind die 19 Lieder und Schnipsel keine metaphysischen Stolpersteine abseits der großen High-Fidelity. Auf dem kleinsten Nenner ist alles durchkomponiert: Melodie und Rhythmus mit Methode. Dem Vorab- „Urknistern“ folgt das einleitende „Nirgendwo Fichtenkreuzschnäbel“, und am Ende tauchen beide Stücke mit umgekehrten Vorzeichen wieder auf: Plötzlich sind überall Fichtenkreuzschnäbel. Das Ganze dient als Abrundung der beinahe streng durchgehaltenen Sonatenform, die schon in der merzmäßigen Covergestaltung mit Kurt Schwitters Ur-Sonate liebäugelt. Doch die vier miteinander verbundenen Sätze sind wegen des heimtückisch irreleitenden Einfallsreichtums von Max Goldt nur schwer auszumachen: als Allegro dient das lustig sinnierende „Kinderchor, Brandenburger Tor“, zum Adagio fügen sich die Lebensgeschichte der Varieté-Dame Gisela und „Weißt du noch?“, eine bösartige Erinnerung an den Wahnsinn der Mutter; der heitere dritte Satz besteht aus der Poperzählung „Die Beatles in New York“, gefolgt von einer kabarettistischen Rede über die Bedeutung expressionistischer Kunst und die Qualität von original Dortmunder Bratwürsten.
Und zum Schluß dann wieder Urknistern – in Gedanken bei Schubert, doch die Vorfreude gilt den Simpsons. Harald Fricke
Max Goldt: Nirgendwo Fichtenkreuzschnäbel überall Fichtenkreuzschnäbel (Indigo)
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