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Sprung über den eigenen Schatten

Japan senkt den Leitzins auf eine historische Tiefstmarke / Doch die großen Unternehmen können davon nicht profitieren, sie haben ohnehin zuviel flüssiges Kapital  ■ Aus Tokio Georg Blume

Nach langem Zögern sprang Yasushi Mieno, der vorsichtige Chef der japanischen Zentralbank, endlich über seinen Schatten. Gestern senkte die Bank of Japan den Leitzinssatz um einen dreiviertel Prozentpunkt auf die absolute historische Tiefstmarke von 1,75 Prozent. „Das sind Maximalmaßnahmen“, stöhnte der Mann, der vor drei Jahren seinen Job bekommen hatte, um Japan von den katastrophalen Spekulationsexzessen in Folge der Niedrigzinspolitik der achtziger Jahre zu befreien.

Mieno hatte damals den Zinssatz bis auf 6,5 Prozent erhöht. Doch jetzt blieb ihm kaum eine andere Wahl. Der Vierteljahresbericht der Zentralbank zeichnete vor wenigen Tagen das düsterste Wirtschaftsbild seit 18 Jahren. Nie hatten die japanischen Unternehmer weniger Vertrauen in ihre Geschäftsaussichten. Im zweiten Quartal sank das Bruttosozialprodukt mit einer Jahresrate von zwei Prozent. Als auch konjunkturbelebende Maßnahmen der Regierung in Höhe von 90 Milliarden Mark auf taube Ohren stießen, mußte Mieno handeln.

Der drastische Verfall der Landpreise um durchschnittlich 3,6 Prozent in den letzten zwölf Monaten lieferte dafür einen weiteren Vorwand. Denn solange die Landpreise fallen, kann von einer Spekulationsgefahr keine Rede sein. Das Problem der Zinssenkung ist jedoch, daß die japanischen Großunternehmen kaum davon profitieren werden. Denn sie sind mit dem Abbau ihrer Überkapazitäten beschäftigt und verfügen über flüssiges Kapital im Überfluß.

Den kleinen Unternehmen aber schalten die großen Banken einen Kreditriegel vor – wegen ihres hohen Schuldenstandes wollen sie sich nicht mehr mit unsicheren Kunden belasten. Alles in allem bleibt es deshalb bei einem psychologischen Signal der Zentralbank an den geizigen japanischen Verbraucher. Der aber hofft bislang vergeblich auf eine von der Regierung immer wieder angedeutete Einkommenssteuerkürzung, die — ursprünglich ein Vorschlag der US-Regierung und der japanischen Sozialdemokraten — inzwischen auch von weiten Teilen der Unternehmerschaft befürwortet wird.

Dagegen widerum stemmt sich das Finanzministerium, dessen Einfluß jedoch dieses Wochenende in einem Treffen der westlichen Zentralbankchefs und in den amerikanisch-japanischen Gipfelgesprächen am Montag in Washington getestet wird. Die US- Amerikaner verweisen vor allem auf den geringen Anteil des privaten Verbrauchs am japanischen Bruttosozialprodukt. Er stagniert derzeit bei 57 Prozent, während er in allen westlichen Länder weit über sechzig Prozent liegt. Ein Grund sind die überhöhten Preise, insbesondere von Importwaren. Obowhl der Wert des Yen in diesem Jahr im Vergleich zu Dollar und Mark um ein Viertel gestiegen ist, sind die Preise für Westimporte in Japan kaum gefallen. Die Profite kassieren Zwischenhändler. Dagegen will die Regierung nun Maßnahmen ergreifen. Sie zwang am Montag die Elektrizitäts- und Gasversorgungsunternehmen, ihre Tarife zu senken – fehlt nur noch ein Nachlassen der Scotch- Preise, wie es der in Tokio gastierende englische Premierminister John Major gestern forderte.

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