: Den Stahlvögeln den Schnabel stopfen
Weil er den Lärm des Flughafens Berlin-Tempelhof nicht mehr aushielt, griff ein Elektriker zur Dachlatte / Mitten in einem Wohngebiet hat der Airport Hochkonjunktur bei Managern und Politikern ■ Von Vera Gaserow
Nein, ein David ist Volker Hoffmann wahrlich nicht. Zwei Meter lang ist der 33jährige Elektriker – einiges zu groß für einen kämpferischen Knirps. Aber sein Goliath ist ja auch kein gefährlicher Riese – nur ein Riesenvogel aus Stahl. Und natürlich ist die Steinschleuder auch keine Schleuder, sondern eine zufällig am Boden gefundene Dachlatte. Kein Wunder also, daß – anders als im Alten Testament – auch das Happy-End nicht stimmt an dieser Geschichte.
Die Geschichte handelt von einem, der eines Nachts nicht mehr aushielt, was auch nicht auszuhalten ist. Seit vier Jahren wohnt Volker Hoffmann mit seiner Familie in Wurfweite des Flughafens Tempelhof. Die ersten Jahre waren noch ganz beschaulich. Gut, wenn die amerikanischen Militärs, denen der Airport bis zur Wiedervereinigung weitgehend unterstand, ihre Übungen machten, das nervte. Aber das war nicht sehr häufig. Der Terror begann erst mit dem Fall der Mauer. Eine Fluggesellschaft nach der anderen stellte einen Antrag auf Landeerlaubnis. Denn Tempelhof ist der city-nähste Flughafen der Republik. Zehn Taxi-Minuten bis zur Treuhand, ein Katzensprung ins Regierungsviertel. Wo sonst hat man das schon? Ein Juwel, was die schnelle Erreichbarkeit angeht, die reinste Sparbüchse für Leute, bei denen Time gleich Money ist. Tempelhof wurde zur beliebtesten Anflugadresse für Manager und Politiker. Innerhalb von drei Jahren verdreifachte sich das Flugaufkommen nach der Wiedervereinigung. Tendenz weiter steigend. Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres verzeichnet die Bilanz eine 60prozentige Steigerung gegenüber dem Vorjahr.
Die andere Seite der Medaille: der Flughafen liegt wie kein anderer in Deutschland mitten in einem reinen Wohngebiet. Mit dem Abzug der Amerikaner, so lauteten die ersten Versprechungen, werde der Airport Mitte der 90er Jahre stillgelegt. Doch statt Stillegung erlebt der Flughafen Hochkonjunktur. Rund 60.000 Maschinen steigen jährlich über den Wohnungen und Dächern auf und ab. In einigen Straßen hat man das Gefühl, die Flieger bewegten sich wie riesige Autos zwischen den Häusern hindurch. Wer wie der Berliner SPD- Vorsitzende Ditmar Staffelt, in der Einflugschneise lebt, sieht die Piloten in die Dusche herunterwinken.
Volker Hoffmann wohnt 100 Meter vom Rollfeld entfernt. Direkt vor seinem Balkon laufen sich die Maschinen warm. „Das geht oft über Stunden. Das fängt morgens an und hört abends auf.“ Ein ohrenbetäubender Lärm. Jede normale Unterhaltung wird da zur Brüllerei, an Schlaf ist nicht zu denken, Fenster öffnen gleicht purem Masochismus. Je nach Wetterlage hat Familie Hoffmann den Kerosingeschmack auf der Zunge. Die Wohnungsfenster überzieht ein dicker öliger Belag. „Und dann ständig diese Angst, daß da einer runterkommt.“ Volker Hoffmann sorgt sich nicht nur um die eigenen vier Kinder. Rund um das Rollfeld reihen sich nicht nur Wohnhäuser, sondern auch mehrere Kindergärten, ein Eisstadion und ein großes Freibad.
Herr Hoffmann wollte ihn nicht hinnehmen, den krachenden Wahnsinn. Er beschwerte sich beim örtlichen Lärmtelefon, das erklärte sich für nicht zuständig für den Terror aus der Luft. Er ging zu Versammlungen, initiierte Anwohnertreffen, konsultierte die Bürgerinitiative, er verteilte Flugblätter, rückte der Lärmschutzkommission zuleibe. Doch „irgendwie“ ist die Politik nicht sein Ding. „Das nützt ja alles nischt. Und eh das was bringt, dauert es Jahre“. Außerdem: „Man kann ja nicht jeden Tag demonstrieren.“
In der Nacht des 22. August hielt Volker Hoffmann es einfach nicht mehr aus. Den ganzen Tag hatten die Flieger mit dröhnenden Triebwerken vor seinem Fenster gestanden. Der 33jährige suchte Ruhe bei einer Flasche Jägermeister und hat dabei „immer noch mehr Frust gekriegt“. Als die Flasche leer war, fühlte er sich stark genug: „Es mußte einfach was passieren.“ Volker Hoffmann steuerte schnurstracks auf den Ort seines Ärgers zu. Den Stacheldrahtzaun des Airports überwand er mühelos mit einigen Baubohlen, dann marschierte er quer über das Rollfeld, eine Dachlatte zur Verteidigung gegen die Wachhunde in der Hand. „Ich wollte denen einfach mal Bescheid geben, daß das so nicht weitergehen kann.“ Sein Marsch Richtung Flughafenterminal wurde erst nach geraumer Zeit gestoppt. Überrumpelte Wachleute und Polizei kamen entgegengerannt. Der Eindringling flüchtete auf den einzig verfügbaren Gegenstand: auf die Tragflächen der historischen JU 52 der Lufthansa, die in regelmäßigen Abständen die Anwohner des Flughafens mit lärmenden Sightseeing- Flügen traktiert. Von unten warfen reichlich verwirrte Uniformierte mit Gummiknüppeln nach ihm, oben stand Volker Hoffmann und schwang die Dachlatte: „Ich hau' die Maschine kaputt, wenn ihr kommt.“
Den Flughafendirektor sollte man aus dem Bett holen, mit dem wollte er reden über das, was ihn seit gut fast drei Jahren so wahnsinnig macht. „Das war irgendwie schon ein dolles Gefühl, da oben zu stehen. Man hat Wut im Bauch, man hat auch was zu sagen und die müssen einem zuhören.“ Irgendwann ließ er der monatelang aufgestauten Wut freien Lauf: mit der Dachlatte rückte er dem historischen Flugzeug zuleibe, vermöbelte die alte Tante JU so lange, bis ein harter Wasserstrahl der herbeieilenden Feuerwehr ihn von der Tragfläche fegte.
„Gut“, sagt Volker Hoffmann heute, „ich bin da ausgetickt. Aber mich wundert nur, daß nicht mehr austicken. Das ist doch nicht normal.“ Hinterher kamen zwar die ermunternden Anrufe aus der Nachbarschaft: „Mensch prima, das hätte ich mich nicht getraut.“ Aber es kam eben auch eine Anklageschrift: Hausfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sachbeschädigung, Nötigung. Der Richter zeigte Verständnis. Mit 1.800 Mark Geldstrafe kam er noch relativ glimpflich davon. Doch sein nächtlicher Versuch, dem lärmenden Goliath das Maul zu stopfen, wird aller Voraussicht nach teuer werden. Auf 14.000 Mark hat ein Gutachter die Schäden an der JU 52 beziffert. Zusätzliche 52.000 DM macht die Lufthansa geltend als Einnahmeausfall für die Zeit der Reparaturarbeiten.
Noch hat Volker Hoffmann keine Rechnung gekriegt, und wenn er sie bekäme, der arbeitslose Familienvater könnte sie nicht bezahlen. Dafür hat er immer noch diese Wut im Bauch. „Die ist ja nicht weg. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll – 'ne andere Wohnung suchen? Wie denn?“
Anne Schmidt will keine andere Wohnung. Ihre Familie hat vor Jahren das Haus mit dem üppigen Garten gekauft. Da war der Linienflugverkehr gerade von Tempelhof auf den neuen Großflughafen Tegel verlegt. An Wiedervereinigung und Hauptstadt Berlin war kein Gedanke. Jetzt liegt das Haus mitten zwischen Start- und Landbahn. „Freitagnachmittags zwischen vier und fünf fliegt alle zwei Minuten einer über unseren Kopf. Bei manchen Maschinen hat man das Gefühl, die kommen gar nicht hoch. Da bebt dann das Haus noch Sekunden nach.“ Den Garten kann die Familie oft gar nicht nutzen. „Da versteht man kein Wort mehr.“ Obst und Gemüse sind Kerosingedüngt und ungenießbar. Anne Schmidt war schon „drauf und dran zu resignieren“, aber dann hat sie doch weitergemacht in der Bürgerinitiative gegen den Flughafen. „Ein solcher Flughafen in einem Wohngebiet ist doch Wahnsinn. Da müßte nur mal eine Maschine runterkommen, und das Ding wäre dicht.“
Heute wäre ein solcher Flughafen tatsächlich nicht mehr genehmigungsfähig. Doch die Betreiber von Tempelhof können sich auf eine steinalte Betriebserlaubnis aus den 20er Jahren berufen. Außerdem: Seit den legendären Blockadezeiten, als alliierte „Rosinenbomber“ die Berliner Bevölkerung vor dem Aushungern retteten, sei ja auch nichts mehr passiert in Tempelhof, heißt die Auskunft. Nur wenn „was passiert“, dann ist es auch gleich zu spät.
Während Anne Schmidt Unterschriften sammelt und Volker Hoffmann ein Flugzeug vermöbelt, lärmt und pestet Goliath stärker denn je zuvor. Zusätzlich zum Linienflugverkehr will jetzt noch, so meldeten Berliner Zeitungen, der Bundesgrenzschutz seine Hubschrauberstaffel für die 80 Kilometer entfernte Ostgrenze hier stationieren. Der Flugbetrieb wird eher zunehmen und kaum aufhören, bis nicht der neue Berliner Großflughafen im brandenburgischen Süden fertig ist. Für den gibt es noch nicht einmal einen konkreten Standort, mit einer Inbetriebnahme ist allerfrühesten im Jahr 2004 zu rechnen.
Anne Schmidt klagt jetzt gegen das lärmende Sicherheitsrisiko. Vor dem Oberverwaltungsgericht will sie die Stillegung des Flughafens erstreiten. Das Verfahren könnte zu einem Lehrstück über richterliche Schizophrenie werden. Denn der Vorsitzende Richter hat sich vor drei Jahren als überaus lärmempfindlich erwiesen. Da ließ er das Fußballspielen nach 20 Uhr verbieten, weil sich die Anwohner eines Sportplatzes durch Foul- und Torschreie belästigt fühlten. Man darf gespannt sein, wie der Richter nun den gänzlich unmenschlichen Lärm beurteilt. Anne Schmidt hat auch Strafanzeige gegen die Lufthansa wegen ruhestörenden Lärms erstattet. Anlaß der Klage war dieselbe JU 52, der Volker Hoffmann mit der Dachlatte zuleibe rückte. Während Hoffman jedoch längst verurteilt ist und einen Batzen Schulden in Aussicht hat, ist von Maßnahmen gegen die Lufthansa bisher nichts bekannt. In den zwei Jahren, die ihre Strafanzeige nun schon bei den Gerichten liegt, hat Anne Schmidt ein einziges Mal eine Reaktion erlebt. Es kam ein Brief von der Staatsanwaltschaft. Darin stand nichts – außer einem Aktenzeichen.
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