■ Bildschirmflimmern: Werbeblockfüller
Es gibt Menschen, deren Reiz vor allem darin begründet liegt, daß sie so schwer zu erobern sind. Sie avancieren zu einer Ausgabe, einem Prüfstand gar für die individuellen Verführungskünste. Eine Analogie hierzu wie zu allen Phänomenen des wirklichen Lebens existiert im Fußball. Das sonnabendliche Match des Hamburger Sportvereins in Bayern gegen den FC beinhaltet eines. Aus der Sicht des HSV natürlich. Man muß schon weiter als bis zur 10-Jahres-Bilanz im aktuellen Kicker-Jahresheft zurückblättern, um auf einen Sieg der Elb-Jungs an der Isar zu stoßen. In der Saison '81/'82 war's, als der HSV mit Thomas von Heesen, damals ein milchbärtiger 19jähriger Teen, die Bajuwaren 4:3 düpierte.
Sonnabend, 18 Uhr: Die telegene Aufarbeitung der Bezwingung der boxbeinigen Bayern läßt auf sich warten. Ein abendrotes Jackett, drei Werbeblöcke, sechs Airbags und unmzählige sparwitzige Sprüche (Werner Hansch: „Ja, der Paulo Sergio, der hatte heute seinen Schokoladentag“) schoben sich gewaltsam zwischen den Fan und das wesentliche. Die ersten Bilder aus dem Stadion mit den meisten Sitzplätzen der Liga jedoch verbrannten den vorangegangenen sinnlichen Müll. Der HSV griff an, die Bayern schienen verzaubert vom Charme der Gäste. Drei Tore hatte Karsten Bäron innerhalb von sieben Minuten auf dem Fuß und keines verwandelte er in Wahrheit. Das war bitter! Als nach einer halben Stunde der hanseatische Sturm erlahmte und die Bayern immer zickiger aufzuspielen begannen, glich sich der Unterhaltungswert der Partie dem Gesamtniveau der Fußballshow an. Ziege und seine Kumpanen karoakten Lambada und bewiesen einmal mehr, daß man in Bayern Probleme mit der kulturellen Identität zu haben scheint. Kommentator Thomas Heermann oder Hehrmann oder wie auch immer, gab sich alle Mühe, die Ebenen zu vermischen. „Da fällt der Deutschunterricht wieder leichter,“ merkte er bei Valencia's Treffer zum 3:0 an. Nach 90 Minuten hatten die Bayern vier und die Hamburger kein Tor geschossen. - Same procedure as last year. „Eigentlich brauchten wir die nächsten Jahre gar nicht mehr herzukommen,“ sinnierte dann auch ein über die neuerliche Abfuhr niedergeschmetterter Richard Golz. So bezwingt man natürlich keinen Antipathen.
Claudia Thomsen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen