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In der Hölle Angolas

Wer sich nicht selbst hilft, ist verloren: Eindrücke aus dem mörderischen Belagerungskrieg in Angola / „Wir haben nichts mehr“  ■ Aus Menongue Willi Germund

An Schuhriemen baumeln Schnellfeuergewehre; Hacken und Buschmesser geschultert, suchen sich die drei Männer im sanften rosaroten Licht der aufgehenden Sonne einen Weg zwischen Hunderten von frischen Gräbern. Es ist sieben Uhr früh. Zwischen den Lehmhütten am Rand der angolanischen Stadt Menongue steigen von Kochstellen erste Qualmwolken auf. Die drei Totengräber haben ihr Tagwerk erledigt. Zehn flache Gruben warten im Sandboden auf die Toten des Tages.

Wen wird es heute treffen? Vor dem Krankenhaus kriecht ein Kind eine Rampe hinauf, herzerweichend weinend, zu schwach zum Gehen. Die Arme zittern vor Anstrengung, die Augen sind entzündet und geschwollen. Die Haare, die eigentlich schwarz gelockt sein sollten, schimmern rötlich – sicheres Indiz für schwerste Unterernährung. Dutzende von anderen ausgemergelten Gestalten, die vor dem Krankenhaus warten, sehen teilnahmlos zu. In einer ehemaligen Schule hocken apathische Kriegsversehrte und Alte. Einigen fehlt die Kraft, noch um Hilfe zu betteln. Andere schleifen sich mangels Krücken den Besuchern auf dem Lehmboden entgegen – die Bitte um Nahrung steht ihnen in den Gesichtern geschrieben.

Wer sich in Menongue nicht selber helfen kann, ist verloren. „Wir müssen das Essen zu Hause kochen und es verteilen, sonst verschwindet es sofort“, sagt die 52jährige Schwester Mechthild aus Herten im Ruhrgebiet, die zusammen mit der Traunsteiner Schwester Monika in Menongue arbeitet.

Tausende sind gestorben

Angola – ein Land auf dem Weg in die totale Zerstörung. Neun Monate lang war Menongue, 800 Kilometer südöstlich von Angolas Hauptstadt Luanda, von der Außenwelt völlig abgeschnitten, umzingelt von den Soldaten der Rebellenbewegung „Unita“. Jetzt empfängt Bischof José de Oveira Alves die ersten Journalisten, die seit der Lockerung des Belagerungsrings in die Stadt gelangten. „Wir wissen nicht, wie viele Menschen gestorben sind. Es waren Tausende“, sagt der Oberhirte. „Gemüse hat uns gerettet.“ Zum Frühstück gibt es zähes Brot aus Maniokmehl.

Am 26. September landete der erste Hilfsflug seit Anfang des Jahres in der 60.000 Einwohner zählenden Stadt. Seitdem liefern das UNO-Welternährungsprogramm „World Food Program“ (WFP) und das katholische Hilfswerk „Caritas“ täglich zwischen 18 und 50 Tonnen Lebensmittel, Medikamente und Krücken. Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Der gegenwärtig mörderischste Krieg der Welt, wie die Vereinten Nationen den Konflikt beschreiben, wird in erster Linie auf Kosten der Zivilbevölkerung betrieben. Das Militär geht vor: Bevor der erste Hilfsflug für Zivilisten auf der einst für Düsenjäger gebauten Piste von Menongue landete, hatte Angolas Armee schon 20 Flugzeuge geschickt, um ihre Soldaten in der Stadt zu versorgen.

Menongue ist nur ein Beispiel für die Brutalität des angolanischen Krieges. Zwei andere Städte, Luena und Malanje, können wegen der Belagerung durch die Unita ebenfalls nur aus der Luft versorgt werden. In Malanje droht trotz der zahlreichen Hilfsflüge von WFP und Caritas eine Hungersnot. Auch in der Stadt Huambo im zentralen Hochland, die im März in die Hände der Unita fiel, werden die Lebensmittel knapp. In der Stadt Cuito wird seit Monaten von Straße zu Straße gekämpft. Über 10.000 Tote soll es während der letzten Monate dort gegeben haben.

Der Funktionär einer humanitären Organisation befürchtet gar: „In Angola soll eine Vorentscheidung auf dem Schlachtfeld getroffen werden, unter Ausschluß von Zeugen und ohne Rücksicht auf die Bevölkerung.“ Die Regierung versucht dies mit Bombardements aus der Luft zu erreichen. Unita setzt auf die Strangulierung von Städten. Doch in aller Stille hat sich in der letzten Zeit ein kleiner Wandel vollzogen. Selbst die Schlinge um Cuito wurde gelockert. Unita erlaubt den Bewohnern der eingekesselten Stadt jetzt, Lebensmittel auf Feldern der Umgebung zu suchen. In Menongue herrscht relative Ruhe. Der Gouverneurspalast wird von einem Panzer bewacht. Am Flughafen hat sich eine Einheit der Regierungsarmee mit leichten Geschützen eingegraben. Die berüchtigten Stalinorgeln stehen schußbereit. Die gesamte männliche Bevölkerung mußte zur sogenannten „Zivilverteidigung“ einrücken. Der Armee gelang es, einen Verteidigungsring mit einem Durchmesser von 21 Kilometern zu ziehen. Gouverneur Domingo Hungos gibt sich keinen Illusionen hin: „Eine absolute Sicherheit gibt es natürlich nicht.“ Dennoch: „Seit Unita am 20. September einen einseitigen Waffenstillstand verkündete, gibt es kaum noch Kriegsverletzte“, sagt der Bischof.

Eine vorübergehende Atempause in einem rücksichtslosen Krieg? Ein neuer Trick? Oder gar die Vorstufe zu einer Vereinbarung zwischen den verfeindeten Seiten? Die Vereinten Nationen strebten ursprünglich einen Waffenstillstand an, dem humanitäre Hilfe folgen sollte. Einige Indizien deuten auf eine Umkehrung dieser Prioritäten hin. Unita könnte sich, hofft die UNO, vielleicht in die Regionen zurückziehen, in denen sie bei den von ihr nicht anerkannten Wahlen vom September 1992 die meisten Stimmen gewann. Dort würde dann eine Form gemeinsamer Verwaltung von Unita und Regierung etabliert. Laut Diplomaten können die Unita-Rebellen unter Führung von Jonas Savimbi auf keinen besseren Handel hoffen. Nachdem Unita sich vergangenes Jahr weigerte, die Wahlniederlage zu akzeptieren, eroberten die Freischärler 80 Prozent des angolanischen Territoriums. Doch mittlerweile bläst ihnen diplomatisch und militärisch der Wind ins Gesicht. Und die Rebellen haben Probleme, die Zivilbevölkerung in den Geieten unter ihrer Kontrolle zu versorgen.

100.000 Menschen sind seit Oktober 1992 nach UN-Schätzungen in Angola dem Krieg zum Opfer gefallen. Etwa eine halbe Million starb in den 16 Jahren Bürgerkrieg von 1975 bis 1991, der dem Kampf um die Unabhängigkeit folgte.

Mittags ein Löffel Suppe

Was damals nicht zerstört wurde, ist mittlerweile kaputt. Bischof de Oveira Alves: „Statt eines Guerillakriegs werden diesmal die Städte belagert. Es ist das Schlimmste, was ich in meinen 19 Jahren in Angola erlebt habe.“ Neun Monate lang regneten täglich Artilleriegeschosse in den Ort. Aber, so der Bischof: „In Menongue sind mehr Menschen an Hunger als an den Folgen des Beschusses gestorben.“ Das Krankenhaus der Stadt ist voll von Opfern der Unterernährung: „Tuberkulose, Durchfall, Schwindsucht“, sagt Doktor Vicente, der für Geburten und Amputationen zuständig ist, „sind die häufigsten Krankheiten.“ Im Hospital liegen auch viele Kinder in Lumpen – entkräftete Waisen. Schwester Mechthild schleppt mit einer anderen Nonne zwei 20-Liter-Töpfe mit Maismilchsuppe herein, das Frühstück für etwa 100 Kinder. Vier Monate lang wurden nur sie zweimal täglich verköstigt. Erst seit die ersten Hilfsflüge eintreffen, können auch den Erwachsenen kleine Rationen zugeteilt werden. „Jeden Mittag geben wir jedem einen Suppenlöffel voll“, sagt Schwester Mechthild. Die Erwachsenen verloren zwischen Januar und September durchschnittlich 15 bis 20 Kilo Gewicht.

Der Beginn der Regenzeit verspricht jetzt noch Cholera und Malaria. Davon lassen sich die in die Stadt geflüchteten Kleinbauern im Viertel Kwenha nicht beirren. Sie sitzen um ein Holzkohlenfeuer und schmieden neue Werkzeuge aus Lastwagenfedern. „Wir haben nichts mehr“, erzählt der Soba, der Dorfälteste, „wir kochen uns die Blätter der Bäume hier.“ Auf die Felder trauen sie sich nicht – wegen der Minen.

Eine Frau auf Krücken, die schon einmal ein Bein durch eine Tretmine verlor, wagt sich trotzdem in die Außenbezirke. Sie hat Glück: Jetzt schleppt sie ein Bündel Brennholz auf dem Kopf nach Hause. Wer sich in Menongue nicht selbst hilft, ist verloren.

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