: Unterhaltung mit mutmaßlichem Terroristen
■ Mykonos-Attentat: Staatsschutz pflegte über Jahre losen Kontakt zu Kazem Darabi, ohne von dessen „maßgeblicher“ Rolle in der Hisbollah zu wissen
Für den polizeilichen Staatsschutz war der mutmaßliche Mykonos-Attentäter Kazem Darabi „nicht die überragende Zentralfigur der Hisbollah“. Zu dieser Einschätzung der Sicherheitslage im Vorfeld des Attentates kam in der gestrigen Sitzung des parlamentarischen Mykonos-Untersuchungsausschusses der Leiter des Staatsschutzes, Dieter Piete. Allerdings wurde in der Anhörung deutlich, daß Pietes Amt nicht alle Erkenntnisse zur Verfügung standen, die andere Sicherheitsorgane über Darabi gesammelt hatten.
So war dem Staatsschutzchef eine Einschätzung anderer Dienste aus dem Jahr 1987 unbekannt, die Darabi bereits damals als einen „maßgeblichen Aktivisten der Hisbollah“ klassifizierten. Man habe, so erklärte Piete auf Nachfrage, „erst im nachhinein rationalisiert“, daß andere Behörden diese Einschätzung hatten. Auch eine Information der Sicherheitsbehörden vom Winter 1992, wonach Darabi als Anlaufstelle auch im Zusammenhang mit Attentaten in Betracht komme, war dem Staatsschutzchef unbekannt. Zwar schätzte auch der Staatsschutz die Hisbollah als „eine sehr gefährliche terroristische Vereinigung“ ein, auf deren Konto weltweit über fünfzig Anschläge gingen, doch sei vor dem Mykonos-Attentat nicht möglich gewesen, „so was für Berlin zu konstatieren“.
Über Darabi sei dem Staatsschutz bekannt gewesen, daß er „sich für das im Iran herrschende System eingesetzt hat“. Erkenntnisse über dessen mögliche Tätigkeit für den iranischen Geheimdienst hätten nicht vorgelegen – und selbst wenn, wäre dieser Umstand nach Pietes Ansicht allein noch kein Anlaß zur Strafverfolgung gewesen. Zum erstenmal wurde der Staatsschutz 1982 mit dem Namen Darabi konfrontiert, als dieser in Mainz wegen schweren Landfriedensbruchs verurteilt wurde, nachdem er mit andern Khomeini-Anhängern iranische Regimekritiker zusammengeschlagen hatte. Im Juli 1983 fiel er wegen wilden Plakatierens in Kreuzberg auf, und im November 1992 firmierte er in den Akten als Anmelder einer proiranischen Demonstration in Düsseldorf.
Darabi wurde dreimal von Pietes Behörde zu einem sogenannten Gefährdergespräch geladen: im Juli 1988, als ein iranisches Verkehrsflugzeug von den USA abgeschossen worden war, 1990, als Informationen über mögliche Aktionen der Hisbollah gegen amerikanische und israelische Einrichtungen in Sicherheitskreisen kursierten. Und zuletzt am 25. Februar 1992, als den Staatsschutz „nicht konkrete Meldungen“ erreichten, daß die Hisbollah im Zusammenhang mit der Inhaftierung der Hamadi-Brüder eine Freipressung versuche. Bei diesen Gesprächen, so Piete, „bringen wir uns in Erinnerung, indem wir sagen, die Polizei kennt dich“. Beim letzten Gespräch führte das nur zu Darabis unwirscher Antwort: „Immer wenn was passiert in der Welt, ruft ihr mich an.“ Damit war die Unterhaltung beendet. Dieter Rulff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen