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SanssouciVorschlag

■ JazzFest Berlin 93

Statistisches vorweg: 10 Konzerte in drei Tagen, an die 200 Musiker auf 25 Gruppen und Solisten verteilt, ein Plakat, ein höchstsubventionierter Millionenetat, ein Sponsor, Berater allüberall, ein künstlerischer Leiter mit dem lukrativsten Angestelltenjob im internationalen Jazzbusiness – und unterbezahlte Jazzjournalisten, die zu belegten Brötchen gähnen. So ließe sich das alljährlich wiederholte Vorspiel in aller Kürze zusammenfassen. Vor dem JazzFest kommen die Pressekonferenzen.

Beifallsstürme mögen sich noch nicht einmal einstellen, als der Graphiker Günther Kieser das Podium betritt und erläutert, daß Buchstaben den Clou des diesjährigen JazzFestes symbolisieren sollen: die geRAPte Rückkehr des Jazz auf den Dancefloor. Auch der Hinweis des künstlerischen Leiters, George Gruntz, daß doch wohl kaum ein Berliner Klo, Flur oder Küchenraum noch ohne JazzFest-Plakat sei, vermag die Stimmung nicht anzuheizen. Aufatmen, als Gruntz gesteht, seine Idee sei geplatzt, als Pendant zum sogenannten HipHopJazz-Spektakel im Tränenpalast (28.–30.10. jeweils 23 Uhr) einen Swingtanzabend zu inszenieren, der die Kontinuität des tanzbaren Jazz hätte dokumentieren sollen.

Die Carnegie Hall Jazz Band unter Leitung von Jon Faddis (29.10., 19.30 Uhr) bietet folglich ihr Benny-Goodman-Programm, das erst vor einer Woche in New York Premiere hatte, in der bestuhlten Philharmonie dar, und Woody Herman's Reunion Herde wurde mit glücklicher Hand gegen das Orchester von Toshiko Akiyoshi (28.10. Philharmonie 19.30 Uhr) eingetauscht, das gerade mal die nicht ganz irrige Vorstellung mit gewagt arrangierten Großklängen kontert, Big Bands seien heute dazu verdammt, im Muff alter Tage zu swingen (weil sie bestenfalls noch ein abonniertes Konzertpublikum als Existenzgrundlage benennen könnten).

Das britische Ausnahmeorchester dieser Saison, Django Bates' 19köpfiges Delightful Precipice (31.10. Philharmonie 20 Uhr), wähnt sich hingegen gänzlich abgefahren, wenn es seinen vom British Council gesponsorten, humorig lüsternen Tanz am Abgrund vorführt – und den Klang der unter schwarzen Lederbüchsen verborgenen Wahrheit von Heavy Metal mit 78 Revolutionen pro Minute rhythmisiert.

„Gruntz muß sich Acts einfallen lassen, die nur in Berlin stattfinden“, erläutert der Sprecher des sechsköpfigen ARD-Gremiums und Leiter der NDR-Jazzredaktion, Michael Naura, gegenüber der taz die Jazzwünsche der Gesamt-ARD, die für Aufnahme- und Übertragungsrechte ein Drittel des JazzFest-Etats zubuttert. Anders sei dem Vorwurf der Beliebigkeit und Profillosigkeit nicht zu begegnen. „Das Festival kann nur als waghalsiges Unternehmen erhalten werden, nicht als antiquarische Abspielstätte.“

Nauras Vorschlag, Keith Jarrett nach Berlin zu bringen, scheiterte allerdings auch in diesem Jahr wieder an der Ablehnung durch Jarretts Produzenten; andere Pläne wiederum, wie jener des SFB-Vertreters Peter Weiss, Lalo Schifrin einzuladen, am Widerstand von Gruntz. „Man kann vielleicht Friede, Freude, Eierkuchen machen mit einem Gremium, das die Streichquartette der Vergangenheit zu beurteilen hat, wir hingegen haben es mit einer immer noch schwelenden Musik zu tun, und das muß sich im Gremium widerspiegeln; sonst können wir das Ganze in Frauenkleidern im Café Kranzler abhalten“, so Naura. „Jazz hat nichts zu tun mit Reifen verkaufen oder dem Ansagen Mozartscher Klavierkonzerte.“

Wie sich allerdings der „Kampf“ zwischen künstlerischem Leiter und Beratergremium im Programm niederschlägt, ist von Jahr zu Jahr schwerer auszumachen. Sicher mag ein Programmact der Sopransaxophonschiene vom Durchsetzungsvermögen des WDR-Redakteurs Ulrich Kurth zeugen, wenn Dave Liebman und Vince Mendoza ihre Komposition Sketches mit der hauseigenen WDR-Big-Band aufführen (30.10. Philharmonie 19.30 Uhr), aber wenn innerhalb der sogenannten Aktualitäten- Schiene die Berliner Vielharmonie mit dem RBT String Orchester und den Solisten Uschi Brüning & Ernst Ludwig Petrowsky zu einem 40köpfigen Klangkörper aufgebläht das JazzFest eröffnet (28.10. Philharmonie 19.30 Uhr), kann man dem bestenfalls noch zugutehalten, daß dieser Act im vergangenen Jahr im Rennen mit Michael Hennings Experimenti Berlin unterlag. Nach bereits zwei Fernsehausstrahlungen ihres nicht so sehr aufregenden wie aufwendigen Auftritts beim Potsdamer Jazz-Festival vor wenigen Monaten ist dieser Programmpunkt, nicht nur aus Berliner Perspektive, als potentieller JazzFest-Halde-Act schon reichlich angekokelt, um nicht zu sagen: verbrannt.

Ebenfalls bei Pots-Jazz-1000, damals in der Gitarren-, jetzt in der Orgelschiene, hieß man das John Abercrombie Trio (29.10. Philharmonie 19.30 Uhr) schon willkommen (mal ganz abgesehen davon, daß dort eigentlich der Schlagzeuger Adam Nussbaum die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zog). Wie auch immer: Kaum ein Jazzmusiker bekommt derzeit eine Platte produziert, wenn er nicht wenigstens einen Organisten für sein Cover aufbieten kann. Mit Barbara Dennerlein (28.10. Philharmonie 19.30 Uhr) und Joey DeFrancesco (30.10. Philharmonie 19.30 Uhr) kommen die beiden Protagonisten der Orgel-Renaissance im Jazz nach Berlin. Als wirkliches Ausnahmeereignis dieser Schiene ist Dick Hyman annonciert, dem eigens die gigantische Wurlitzer-Orgel im Musikinstrumenten-Museum zur Verfügung steht (31.10, 11.30 Uhr). Und wer das Sopransaxophon zum Festivalthema macht, kann kaum die Aufsteigerin Jane Bunnett (30.10. Kammermusiksaal 15 Uhr) übergehen; Jane Ira Bloom (29.10. Philharmonie 19.30 Uhr) und den amtierenden Meister dieses Instruments, Steve Lacy (31.10. Kammermusiksaal 15.30 Uhr), selbstredend auch nicht.

Mal ehrlich: Wer wollte denn je wirklich die heilige Subventions-Kuh JazzFest tauschen gegen eine magere Öko-Ziege, die vielleicht gar keine Milch mehr gibt? Oder was war die Frage? Christian Broecking

JazzFest 93 vom 28.–31.10. in der Philharmonie, Kammermusiksaal, Musikinstrumentenmuseum und Tränenpalast.

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