: Prediger der Weltnachrichten
■ Holger Böning, Presseforscher an der Bremer Uni, über Neuigkeiten von vorgestern
Wenn ein Leser des 18. Jahrhunderts heute die taz aufschlüge: Was würde den besonders frappieren?
Dr. Holger Böning: Also zunächst mal die Menge von Druckfehlern, von Trennfehlern...
Auweh.
Naja, die Zeitungen wurden früher schon sorgfältiger gemacht.
Und sonst? Was fiele so einem noch ins Auge?
Abgesehen von den Bildern natürlich die vielen Kommentare. Die Zeitungsmacher verstanden sich ja lange Zeit als reine Chronisten. Die Tatsachen wurden getreulich gemeldet, so wie sie sich ereigneten; man enthielt sich möglichst der Meinungsäußerung, ja in der Regel verzichtete man sogar darauf, die Nachrichten irgendwie zu ordnen: Sie wurden einfach der Reihe nach abgedruckt, so wie sie eben eingegangen waren.
Das heißt, selbst die heutige Hierarchie vom Aufmacher bis zur Kurzmeldung...
...die hätte man damals wohl als Bevormundung empfunden, ja. Der ganze Umgang mit dem Material blieb den Lesern überlassen. Die Zeitungen achteten nur darauf, sie möglichst detailliert zu unterrichten. Und möglichst aktuell.
Aktuell? Hat es nicht ewig gedauert, bis die Nachrichten in die Redaktionen galoppiert kamen?
Zwei, drei Wochen, in der Tat. Aber dennoch war die Aktualität ein Wert. Im norddeutschen Raum zum Beispiel war der „Hamburgische Correspondent“ dafür berühmt, daß er fast alles als erster hatte: Und gegen diese Zeitung konnte dann auch kaum eine andere bestehen.
Auch kein Lokalblättchen?
Die gab es damals so gut wie gar nicht. Das lag an der Aufteilung Deutschlands in lauter kleine Fürstentümer: Eine Lokalzeitung wäre zwangsläufig dem örtlichen Potentaten ins Gehege gekommen. Es gab ja auch noch unumschränkt die Zensur. Da
„Es gab ja noch unumschränkt die Zensur"Foto: T. Vankann
hielt man sich lieber an die Weltnachrichten. Und natürlich an die benachbarten Herrschaftsgebiete. Wer einen heiklen Artikel in Hamburg nicht gedruckt kriegte, ging einfach hinüber nach Altona, weil da war schon Dänemark. In Hamburg wiederum konnte man alles mögliche über die Schweiz lesen, aber man wird bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, bis zur Revolution also keine schweizerische Zeitung finden, die über schweizerische Verhältnisse berichtet.
Wann hat sich dann die Lokalzeitung, wie wir sie lieben, herausgebildet?
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und zwar ziemlich schnell und an allen möglichen Orten zugleich. Diese neuen Lokalzeitungen konnten natürlich schon mal ganz andere Leserschichten erschließen.
Aber da bestanden ja doch all die Duodezfürstentümer noch. War denn die Aristokratie schon zu schwach zur Gegenwehr?
hierhin der Mann vor dem Bücherregal
So wird es gewesen sein. Es war ja die Zeit der Befreiungskriege. Man brauchte alle Kräfte gegen Napoleon, auch die bürgerlichen. Da ließ es sich nicht mehr verhindern, daß die Presse alles mögliche diskutierte, auch die demokratischen Ideen, die seit der französischen Revolution kursierten. Das ließ sich nicht mehr zurückdrehen. Etwa zur selben Zeit differenzierte sich ja dann auch die ganze Zeitungslandschaft, und es entstand erstmals das, was man eine Meinungspresse nennen könnte. Bis hin zur parteigebundenen Kampfpresse, die sich dann nach der deutschen Revolution von 1848 mit den ersten Parteien herausbildet. Da kommen dann die Leitartikel auf und die Karikaturen, und im Grunde lag in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schon die Zeitung heutigen Schlages fertig ausgeprägt vor. Entscheidendes hat sich seither nicht mehr getan.
Wenn Sie einen heutigen Leser nehmen: Kann man den überhaupt mit einem aus der Frühzeit der Presse vergleichen? Oder gab es da eine ganz andere Lesekultur?
Also bei denen, die den Umgang gewohnt waren, darf man sich das gar nicht so viel anders vorstellen, als es auch jetzt noch üblich ist. Allerdings hat man die Zeitungen nach dem Lesen keineswegs zum Altpapier getan, sondern man hat sie am Ende des Jahres gebunden, um sie als eine Art Nachschlagewerk weiter zu benutzen. Dafür haben übrigens alle Zeitungen eigene Titelblätter herausgegeben.
Das hört sich ja alles sehr nobel und vernunftbeseelt an. Gab's nicht auch mal Abenteurer in dem Milieu, die mit unmöglichen Projekten grandios gescheitert sind?
Die gab es auch. Zum Beispiel einen, der schon im 17. Jahrhundert versucht hat, sowas wie eine Meinungspresse zu etablieren. Der flog allerdings aus einem Fürstentum nach dem andern hinaus, und dann war wieder für fünfzig Jahre Ruhe. Später tauchte dann mal einer auf, den der Hamburger Senat mehrfach verwarnte wegen unflätiger Berichterstattung. Aber das waren
Einzelfälle. Im Grunde herrschte die Übereinkunft, daß man seriös, sachlich und differenziert zu berichten habe.
Gar keine Vorläufer der Boulevardpresse?
Es gab höchsten hie und da ein bißchen Klatsch über die Schwangerschaft einer Fürstin oder solche Sachen.
Keine Versuche, den unteren Ständen zu gefallen? Nur Informationsarbeit fürs Bildungsbürgertums?
Nun, es gibt viele Hinweise darauf, daß diese Zeitungen auch von den unteren Ständen intensiv gelesen wurden, sei es über Gemeinschaftsabonnements, sei es in Kneipen, wo sie oftmals schon auslagen. Wenn irgendwo wieder feindliche Heere umherjagten, hatte natürlich alle Welt das dringende Bedürfnis, zu erfahren, wei weit die noch weg waren. Und ganz allgemein war die Zeitung für viele die wichtigste weltliche Lektüre. Man hatte ja sonst nur die Bibel, das Gesangbuch, und den Kalender. Über Hamburg wissen wir, daß es an den sechs Zeitungsbuden, wo morgens die Dienstboten die Zeitungen für ihre Herrschaften abholten, immer lebhafte Aufläufe gab: Da wurde eifrig gelesen und debattiert. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts kamen
hierhin den histoischen Zeitungskopf, bitte in den Freiraum in der Überschrift reinlaufen lassen
dann mehr und mehr Zeitungen heraus, die sich ausdrücklich an ein ungebildetes Publikum wendeten, um ihm die Welt zu erklären. Da hat man dann den politischen Weltnachrichten erstmals Landkarten beigefügt oder auch den fremdsprachigen Begriffen zum Beispiel Erläuterungen, wie sie auszusprechen sind. Das waren dann Zeitungen, die sich ihren Themen mit sehr umschweifigen Vorreden näherten...
Wie Prediger.
Ja genau. Das gebildete Publikum hätte sich sowas vermutlich gar nicht gefallen lassen
Hätte es sich die heute üblichen Anzeigenmengen gefallen lassen?
Nun, Anzeigen gab es eigentlich immer schon; anfangs wurden da vor allem Universalarzneien inseriert, vom wundertätigen Sauerbrunnen bis zur Gesundheitsschokolade. Man suchte aber auch Personal über die Zeitung oder jemanden zum Heiraten, im Grunde gab's schon fast alles, was wir heute auch kennen. Allerdings hatten die Anzeigen bei weitem nicht den Stellenwert, den sie heute haben. Im Gegenteil, man warf sie kurzerhand wieder aus dem Blatt, wenn es zuviele Nachrichten gab.
Fragen: Manfred Dworschak
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen