: Elbmarsch: Noch mehr Krebskranke
■ Gutachterin befürchtet weitere Leukämie-Fälle wegen Strahlung aus dem AKW Krümmel
Die bislang diagnostierten Blutkrebs-Erkrankungen rund um den Atommeiler Krümmel bei Geesthacht sind nur die Spitze des Eisberges. Davon ist die Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake überzeugt. Sie befürchtet, „daß es in den kommenden Jahren zu einer weiteren Häufung von Leukämie- Fällen in der Elbmarsch“ kommen wird. Denn nach allen vorliegenden Untersuchungen ist sich die Physerkerin, die der niedersächsischen und schleswig- holsteinischen Expertenkommision zur Untersuchung der Elbmarsch-Leukämiefälle angehört, „sicher, daß zweimal, 1986 und 1989, radioaktive Gaswolken aus dem Atomkraftwerk Krümmel entwichen“ sein müssen. Das ganze Ausmaß der Strahlungen und ihrer Folgen aber werde sich aller Voraussicht nach erst in den nächsten Jahren zeigen.
Die fünf zwischen 1989 und 1991 festgestellten Leukämieerkrankungen bei Kindern aus der Elbmarsch glaubt Schmitz-Feuerhake, „mit Sicherheit auf den 86'er Vorfall zurückführen“ zu können. Doch bei Erwachsenen ist der Zeitraum zwischen radioaktiver Bestrahlung und dem Ausbruch der Krebskrankheit länger. Im Klartext: Stimmt die These von einer außergewöhnlichen radioaktiven Strahlenbelastung der Elbmarsch-BewohnerInnen im Jahr 1986, ist mit dem Ausbruch der Krankheit bei den Erwachsenen erst in den kommenden Jahren zu rechnen.
Das gleiche gilt für Blutkrebserkrankungen bei Kindern aufgrund des Störfalls im Jahr 1989. Und bei Erwachsenen, die im sel
ben Zeitraum bestahlt wurden, bricht die Krankheit möglicherweise erst Mitte bis Ende der neunziger Jahre aus. Schmitz- Feuerhake: „Ich befürchte, da kommt noch einiges auf uns zu“.
Daß es 1986 und 1989 zu zwei ungenehmigten Freisetzungen radioaktiver Edelgase in Krümmel gekommen sein muß, leitet die Bremer Professorin aus mehreren Untersuchungen und statistischen Auffälligkeiten ab. Die enorme statistische Häufung der Leukämieerkrankungen in der Elbmarsch begann erst 1989, fünf
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mit der Frau
Jahre, nachdem Krümmel ans Netz gegangen war. Mit den Atomkraftwerksbetreibern ist sich Schmitz-Feuerhake einig, daß die genehmigten Strahlen- Emissionen des Kraftwerks keinenfalls ausreichen, um Leukämie zu verursachen. Doch andere wissenschaftliche Erklärungen für die Krankheitshäufung als die erhöhte radioaktive Belastung gibt es bislang nicht. Es muß also, so folgert Schmitz-Feuerhake, größere ungenehmigte Freisetzungen radioaktiver Isotope gegeben haben.
Verschiedene Untersuchungen bestätigen diese These und deuten auf die Jahre 1986 und 1989 als wahrscheinlichste Emissionszeiträume hin. So wies das Geesthachter Trinkwasser 1986 eine erhöhte Konzentration des radioaktiven Edelgases Cäsium auf, desgleichen — und noch viereinhalb mal höher — drei Jahre später. Auch in Boden, Elbufer und Elbwasserproben stieg die Cäsium-Konzentration 1989 deutlich an. Und die erhöhte Anreicherung des Spaltproduktes Tritium in den Jahresringen der Elbmarschbäume deuten auf die selben Jahre.
Dazu kommt: Neue Krankheitsfälle stützen die erschreckende Leukämie-Prognose von Schmitz-Feuerhake. So weiß die Bremer Wissenschaftlerin von drei erwachsenen Elbmarschbewohnerinnen zu berichten, die seit 1992 an Blutkrebs erkrankten. Diese neuen „Fälle“ seien laut Schmitz-Feuerhake in der Diskussion bislang „weitgehend untergegangen, da sie nur eine Erhöhung der Erkrankungshäufigkeit um rund 50 Prozent gegenüber dem Bundesdurchschnitt bedeuten“.
Für die medizinische Statistik sei dies allerdings keine „signifikante“ Erhöhung der Blutkrebsrate: Sie liege noch im sogenannten „Zufallsspektrum“. Marco Carini
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