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Ein Berliner Neonazi vor Gericht

Ein führender Kader des „Förderwerks Mitteldeutsche Jugend“ muß sich wegen Raubes und gefährlicher Körperverletzung verantworten / Ehepaar aus Berlin als Zeugen und Nebenkläger  ■ Von Severin Weiland

Ein Verfahren wegen Raubes und gefährlicher Körperverletzung gehört für das Jugendschöffengericht in Zehdenick zum Alltag. Doch der Prozeß, der am 24. November in dem brandenburgischen Ort fortgesetzt wird, fällt für das kleine Kreisgericht aus dem Rahmen. Denn mit Enno Gehrmann muß sich einer der bekanntesten Aktivisten der Berliner und Brandenburger Neonazi-Szene vor Gericht verantworten.

Rückblick: Am 10. August 1991 beobachtet das Berliner Ehepaar Monika und Siegfried Veit auf dem ehemaligen KZ-Gelände in Ravensbrück eine neunköpfige Gruppe, die Flugblätter der „Nationalistischen Front“ (NF) verteilt. Die Aufforderung des FU- Arztes, die Aktion zu unterlassen, wird mit Gelächter quittiert. Schließlich entsteht ein Gerangel, in dessen Verlauf Veit mit Stiefeln traktiert und seiner Frau die Kamera entrissen wird.

In dem Prozeß gegen Gehrmann, in dessen Wagen die Gruppe damals das Gelände verließ, treten Monika und Siegfried Veit nicht nur als Hauptzeugen auf – zugleich sind sie durch ihren Rechtsanwalt Hans-Joachim Ehrig als Nebenkläger vertreten. Für Siegfried Veit ist der Angeklagte einer der Rädelsführer der Aktion in Ravensbrück. „Das ist ganz klar der Mann“, sagte der 41jährige beim ersten Termin in Zehdenick am 27. Oktober. Gehrmann, gebürtiger Berliner, ist kein Unbekannter. Der 22jährige gehört zur Führungsriege des „Förderwerks Mitteldeutsche Jugend“ (FMJ) und ihrer Kaderorganisation „Sozialrevolutionäre Arbeiterfront“ (SrA). Gegen beide Nachfolgeorganisationen der NF haben sowohl Brandenburg wie auch Berlin Verbotsanträge beim Bundesinnenministerium gestellt.

Gehrmann selbst schreibt unter vollem Namen in der FMJ-Postille Angriff; der neueste Berliner Verfassungsschutzbericht zählte ihn 1992 zur Spitze der NF in der Hauptstadt. Daß Gehrmann sich als Verteidiger Aribert Streubel genommen hat, dürfte kein Zufall sein. Der Rechtsanwalt mit einer Kanzlei am Kurfürstendamm vertrat 1991 gegenüber der Berliner Zeitung Claudia K., eine ehemalige Freundin des Berliner Neonazi-Rockers Arnulf-Winfried Priem. Als Bevollmächtigter des FMJ versuchte er im Mai dieses Jahres beim Oranienburger Generalanzeiger eine Gegendarstellung zu erwirken.

Daß der Prozeß gegen Gehrmann letzten Endes stattfindet, ist nicht zuletzt der Hartnäckigkeit des Ehepaares Veit zu verdanken. Mit Hilfe ihres Anwalts Hans-Joachim Ehrig haben sie die Brandenburger Behörden auf Dauertrab gehalten. Denn zunächst schien es ganz so, als sollte der Vorfall unter Aktenbergen in Vergessenheit geraten. Obwohl den Behörden die Autonummer von Gehrmanns Wagen von Anbeginn bekannt war, tat sich monatelang nichts. Erst als das Ehepaar Veit im Februar 1992 Strafanzeige gegen Amtsträger des Landes Brandenburg wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt stellte, kam Bewegung auf. Der damalige Staatssekretär im Potsdamer Innenministerium, Werner Ruckriegel, entschuldigte sich schriftlich im Juni 1992 dafür, daß die beteiligten Polizeibeamten „nicht mit der gebotenen Sorgfalt alle ihnen zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten ausgenutzt“ hätten. Schließlich wird Gehrmann Anfang 1993 von der Berliner Polizei „erkennungsdienstlich behandelt“. Etwa zur gleichen Zeit tauchen bei einem Angehörigen der Humboldt-Universität, bei Medien in Berlin und München Leserbriefe auf, die Siegfried Veits Namen, Telefonnummer und Adresse tragen und in denen völkische und rassenbiologische Propaganda gemacht wird. Veit sieht sich einer Rufmordkampagne ausgesetzt, geht an die Öffentlichkeit: Bundesweit machen Zeitungen seinen Fall publik. Über eineinhalb Jahre nach dem Vorfall in Ravensbrück, am 23. Februar '93, wird dem Ehepaar von der Berliner Kripo schließlich eine Mappe mit acht Bildern vorgelegt, unter denen nur Siegfried Veit Gehrmann erkennt. Mittlerweile ist selbst Brandenburgs Justizminister Hans-Otto Bräutigam (SPD) die Schlamperei seiner Behörde zu Ohren gekommen. Im März 1993 entschuldigt er sich in einem Brief bei dem Ehepaar und verspricht „unverzügliche Anklage gegen die Verantwortlichen“ durch die Staatsanwaltschaft, sobald die Voraussetzungen gegeben seien. Nur die Vorgehensweise der Brandenburger Behörden bleibt folgenlos. Das Verfahren wegen Strafvereitelung im Amt wird im Juni dieses Jahres von der Staatsanwaltschaft Potsdam „mangels zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte“ eingestellt.

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