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Wand und BodenÜber das Sezieren von Bildern

■ Kunst in Berlin jetzt: BKH Gutmann, Langenbartels, Samens, Portel, Maas

Merkwürdige Schleifen sind das: Vor 100 Jahren hat die Reproduzierbarkeit der Fotografie gewisse handwerkliche Malerei liquidiert, jetzt bietet sie sich als Material für konzeptuell orientierte Künstler an, die mit den Bildern wiederum höchst malerisch umgehen. Foto als objet trouvé: Im NBK zeigen bis zum 8.1.94 BKH Gutmann, Rolf Langenbartels und Ralf Samens Fundstücke aus ihren Bildarchiven – Fotomaterial, das der Zeichenwelt von Massenmedien wie Bild und BZ entstammt. Darin hat alles seinen Platz: der dicke Kurt als Sozialportrait oder der Papst beim Bodenkuß.

Mit Blick aufs Skurrile haben Gutmann und Samens gemeinschaftlich Bilderwitze arrangiert, komische Images und obskure Gegenstände verzahnt und den Humor mit Unbewußtem beliefert: Assoziationen, die sich aus zufällig analogisierbaren Elementen ergeben, Elendsgesichter und Sockenknäuele. In einer Buch- Arbeit „Aus dem Gelenk“ geht der Kalauer Richtung Kippenberger und entsprechend nach hinten los. Dann reimt sich die Unterzeile zum Bild eines gelynchten Mannes auf „Hangover“ und „Strongbeer“. Dabei arbeitet BKH Gutmann sonst ganz brav an Pitzschen Modellmuseen oder mit Allegorien zum melancholischen Charakter verfallender Schriftkultur – und Samens sammelt eben mappenweise blöde Bilder.

Bei Rolf Langenbartels hingegen spielt die formale Spannung der Motive eine Rolle. Seine Tapetencollagen sind aus dem Dekorationsbuch abfotografierte Musterwohnungen, in denen das Produkt in schmuckvollem Ambiente erscheint. Der Gebrauchsharmonie stellt Langenbartels technische Utensilien zur Seite, legt Fotos dieser Gegenstände auf das Tapetenbuch und fotografiert das Arrangement im Stil kubistisch zerklüfteter Oberfläche. Eine Metallzange thront über dem träumenden Junggesellen in einem perfekt wohnbar gemachten Heim.

Ku'damm 58, Mo/Fr 12-18.30 Uhr, Di/Do 12-20 Uhr, Sa 11-16 Uhr.

Ähnlich formfixiert nähert sich auch Robert Portel den Bildern aus alten Zeitschriften an, dem „Bodensatz der Kultur“, wie ein ausgehängtes Textblatt im oberen Foyer des Tschechischen Zentrums informiert. Dort fühlt man sich befremdlich in einen Wartesaal verdammt, dessen Flucht an einem nichtbesetzten Touristik- Stand endet. Der Raum ist absurd leer, aus einem Nebenzimmer hört man Telefonsignale, die Fotocollagen sind von penetranter Grausamkeit. Hochvergrößerte, grobgerasterte Schreckensbilder wurden mit noch peinigenderen Fotos verfremdet: über einer Wasserleiche am Uferrand schweben kleine eklige Fischlein vorbei.

Portel setzt auf Gewalt, zu der die Collagetechnik (so etwa auch bei John Heartfield oder Serge Kliaving geschehen) animiert. Dem Portrait eines verängstigt schauenden Mädchens wurde knorrige Elefantenhaut auf die Wange geklebt, eine Frau, die beim Sonnenbad ihren Arm zur Seite streckt, hat ein krautiges, überdimensionales Haarbüschel unter die Achsel operiert bekommen. Da der Collagist in seiner Art des Sezierens von Bildern den Blick des Mediziners entwickelt, setzen sich die meisten Fotos aus der Vermischung von körperlicher Deformation und großformatigen Menschenbildern zusammen. Doch Portel arbeitet konstruktiv. Anders als bei Gewaltcollagen und moralisierenden Schockbildern von zerrissenen Geschlechtsteilen, mit denen Endart manchmal aufklärt, wenden sich seine Arbeiten nicht gegen das Bild. Keine Darstellung beklagt, daß solche Fotos überhaupt möglich sind oder versucht, das Image in der Überzeichnung abzuschaffen. Immer bleibt die Differenz der Teile bestehen, wie bei einem verhungerten Arm, der schlaff auf einer Uhrentapete liegt. Der energische Eingriff soll nur nicht im schönen Schein verpuffen.

Bis 6.12, Leipziger Straße 60, Mo-Fr 10-18 Uhr.

Nicht nur Bilder sind recycelbar, sondern auch Gesten, Zeichen und Prozesse – mithin Symbolisches. Anfangs hatte David Maas lediglich seine Performance-Party „eine post kalter Krieg Zelebration“ in der T&A-Galerie mit skulpturalem Beiwerk bestückt und die Kellergewölbe mit penis- förmig zurechtgebogenen Werbepostern ausgestattet – „deconstructing Benetton“. Seit dem 19.11. dient die Dekoration zur Dokumentation der Aktion und wie von Zauberhand fügen sich die verstreuten Zeichen zu einer Installation über „Macht“ zusammen. Der Phallus bleibt das geläufige Symbol für Herrschaft, doch die daran anknüpfende Ordnung ist vom Künstler ans Publikum zurückgegeben worden: Zu Beginn der Performance durfte die Pinanda, eine männliche Puppe mit Bonbon-Füllung, in einem mexikanischen Ritual zerschlagen werden. Zunächst schlugen nur Frauen zu.

Auf einer weiß ausgeschlagenen, gedeckten Tafel stehen halbleere Weingläser als Spuren der Schlacht am Eröffnungsbüfett, denn Maas experimentiert mit Gruppenverhalten. Kunstvoll als Yin-Yang-Zeichen drapiert, veränderte das Geschirr im Laufe der Party seine Anordnung, nach zwei Stunden standen alle Gläser wild in der Galerie verstreut, gegen Ende wurden sie (erneut) von einem weiblichen Gast zu ähnlich dekorativen Mustern rearrangiert – für Maas ein Indiz für die Abbildbarkeit gesellschaftlicher Prozesse. Manches ist aber auch ganz unmittelbar wahrnehmbar, von einer sehr viel direkteren Ausdruckswut. Mitten in der Galerie liegen bemalte Steine, Base- und Basketbälle. Sie bilden Gewalt auf dem Umweg über Sport ab, doch in einer Geschwindigkeit, die sich dem komplexen Diskurs verweigert und ihn gleichsam verwundbar macht. Besser kann auch der mittlerweile bedeutende Mike Kelly Poverty Pop nicht arrangieren. Harald Fricke

Bis 23.12., Wallstraße , Di-Fr 15-18 Uhr, Sa 12-16 Uhr

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