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Anatomisches Werk

■ Helmut Newtons Bilderwelten in der Deichtorhalle

Brust raus, die Linke vor dem Venushügel geballt, selbstbewußt breitbeinig und fest auf hochhackigen Pumps, den Mund aggressiv-provokant - „is' was, Knipser?“ - leicht geöffnet, blickt der „Große Akt III“, aufgenommen 1980 in Paris, skeptisch-herb der Betrachterin ins Auge. „Die Frau ist immer die Herrin in meinen Fotos“, sagt der 63jährige Starfotograf Helmut Newton, dessen Werk die Deichtorhallen nun mit einem Querschnitt von 240 Fotografien, Auftragsarbeiten für Modemagazine, Aktfotografien, Portraits und Stilleben, würdigt.

Ausgiebig hat auch Alice Schwarzer in der neusten Emma-Nummer die Arbeiten des Fotografen gewürdigt: „Eine schwache Frau unterwerfen - wie uninteressant. Eine starke Frau brechen - wie scharf.“ Das heißt: „Newton liefert Propagandamaterial für den Geschlechterkrieg.“ „Ich kenne das Fräulein Schwarzer nicht, ich weiß nur daß sie mir 39.000 Mark schuldet. Im Übrigen habe ich nichts gegen Schwarze“, scherzte Newton unbeschwert sarkastisch zur Ausstellungseröffnung am vergangenen Donnerstag, darauf anspielend, daß er sein Copyright von Emma verletzt sieht. Seit Freitag haben fast 6.000 Menschen die Schau der Konterfeis von Schönen und Berühmten, Gefesselten und Entfesselten, Totem und Lebendigem angeschaut- ein Publikumsrenner.

Das kühle Sex-Appeal der Fotos nennt Couturier Karl Lagerfeld „die perfekte Inkarnation deutscher Erotik“. Aber ob man die Fotos überhaupt erotisch findet, ist Geschmachssache. Ob sie je Kleider verkaufen sollten oder aus des Fotografen Obsessionen enstanden - die Newtonsche Fotohandschrift hat einen großen Wiedererkennungseffekt mal in der Perspektive, mal in ironisierenden Zügen, mal in ihrer inszenierten Willkür.

Im Wiener Josefinum lichtete er eine anatomische Puppe leicht von unten ab und betont so den hingebungsvollen Ausdruck des in den Nacken gelegten Kopfes, unter dem die inneren Organe bloßliegen: Symbolhafte Sinnlichkeit kombiniert mit anatomischem Handwerk. Mit kalter Neugier fängt er den Widerspruch fast wie ein Menetekel der Sexmüdigkeit ein. Die im Nationalsozialismus erfolgreiche Regisseurin Leni Riefenstahl setzte er in ein trautes Sumpfdotterblumenfeld, aus dem sie uns im Blümchenkleid entgegenstrahlt - Ironie oder kritiklose Verhätschelung einer bösen Oma? Beides schwingt mit, ähnlich wie in dem Portrait von Kurt Waldheim, das als Titanic-gerechtes Tartuffe-Bild ebenso gelten könnte wie als ein offizielles Promotion-Foto. Aber ob Prinzessin, toter Puma oder ein Sturz in den Swimmingpool, die Intensität der Aufnahmen springt den Betrachter an. Mit seinem Blick durch die Kamera werden Frauen, Männer, Gegenstände zu gleichwertigen Spielsachen für seine nicht selten operettenhaften Bilderwelten. Er fotografiere nur Menschen, die er entweder liebe, bewundere oder hasse, bekannte Newton, und unterschlug möglicherweise: „Oder wenn ich dafür genug bezahlt bekomme“. So scheint es jedenfalls aus dem devoten Helmut Kohl-Portrait vor einer knorrigen deutschen Eiche zu flüstern. Julia Kossmann

Südliche Deichtorhalle, bis 23. Januar 1994, Katalog 45 Mark

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