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Die bleierne Zeit

Fröhliche Eastern: Die Amerikanisierung des Hongkong-Films in John Woos „Harte Ziele“ mit Hilfe von Jean-Claude van Damme – 24 Schüsse pro Sekunde können nicht irren und fügen sich zur wohlklingenden Partitur  ■ Von Manfred Riepe

„Harte Ziele“ ist ein Film für alle und keinen. Die Präsentation, zu der auch der nicht eben klingende Name seines Hauptdarstellers gehört, weist ihn als krude Karateoper à la Chuck Norris aus. Der Regisseur von „Harte Ziele“ ist jedoch John Woo, der seine Filme bislang in Hongkong drehte. Trotzdem wird diese amerikanisierte Einverleibung des Eastern die Actionfreunde ebenso enttäuschen wie die Liebhaber des neuen Hongkong-Kinos.

Beispiele für gelungene Filmbegegnungen zwischen Ost und West gibt es durchaus. Mit „Die Glorreichen Sieben“ adaptierte John Sturges bravourös Kurosawas „Die sieben Samurei“, der darauf mit „Das Schloß im Spinnwebwald“ antwortete, einer erfolgreichen Synthese aus europäischer Literaturtradition (Shakespeares „Macbeth“) und den rituellen Darstellungsformen östlicher (Film-)Kultur. Was jedoch an John Woos „Harte Ziele“ nicht überzeugt, ist das offensichtliche Auseinanderklaffen von Sujet und Location. Das Sujet ist Kung-Fu-Action; Ort der Handlung ist jedoch Amerika. Und was ein „echter“ Amerikaner mit einem Säbelschwinger anstellt, wissen wir spätestens aus „Indiana Jones 2“: Harrison Ford greift gelangweilt zum Revolver und knallt ihn ab...

In Hongkong sieht das anders aus. Dort ist John Woo der König des harten Actionfilms. Dort gelten andere kreative Gesetzmäßigkeiten als auf dem euro-amerikanischen Markt. Nach Indien und den USA werden in der britischen Kronkolonie jährlich die meisten Filme der Welt gedreht. Und die Tatsache, daß Hollywood-Großproduktionen in Hongkong gegen einheimische Bildstreifen zuschauermäßig bestenfalls Platz 10 erklimmen, zeigt, daß man dort anderen Stoff bevorzugt.

Diesen Stoff dreht der mit Tsui Hark („Peking Opera Blues“) in Hongkong populärste Regisseur John Woo. Beim ersten Sehen eines Woo-Films – zum Beispiel „The Killer“ – registriert die menschliche Wahrnehmung zunächst nur einen filmfüllenden Schußwechsel. Auf 24 Bilder pro Sekunde entladen sich mindestens ebenso viele Pistolenschüsse; bleierne Zeit.

Später erst, nachdem der Schleier der Reizüberflutung sich gelegt hat, fügten die chaotischen Schußwechsel sich zu einer Partitur. Man kommt nicht sofort auf den Geschmack. Wie beim scharfen Essen, das man auch ablehnt, bis man begriffen hat, daß die Geschmacksnerven nicht desensibilisiert werden, sondern nur um ein Register erweitert: Jede Knarre hat plötzlich ihre eigene Klangfarbe, wie in einem Orchester. „The Killer“ ist gedreht im Stil eines Sam Peckinpah unter einer Überdosis Amphetamine.

Die Hauptfigur, Jeffrey (Chow Yon Fat), ist kein zufälliger Namensvetter von Jeff Costello alias Alain Delon: „The Killer“ ist eine Hommage an Jean-Pierre Melville. John Woo stilisiert den „eiskalten Engel“ zu einem Kalligraphen des Todes. Das Hongkong- Actionkino basiert oft auf der Adaption westlicher Genremuster. Doch die überstilisierte Art, wie Helden nach diesen Mustern im Hongkong-Film agieren, macht sie zu zeitlosen Kunstfiguren: „Die Welt der Gangster in meinen Filmen“, sagt John Woo, ein sympathisch milde wirkender Mittvierziger mit der Ausstrahlung eines Buchhalters, „ist eine zeitgenössische Version der alten chinesischen Ritterepen. Es gibt ja keine kontroversen Themen wie gesellschaftliche Instabilität in Hongkong. Oder Rassenprobleme, die ich in meinen Filmen aufgreifen darf. Auch die politische Situation, Regierungsangelegenheiten, dürfen wir nicht behandeln. Also wende ich mich der Unterwelt zu.“

Die Zensur bildet einen Themenfilter des Hongkong-Kinos, der andere ist kapitalistischer Natur: Hat ein Genre Erfolg, wiederholt man seine Stereotypen so lange, bis sie nicht mehr ankommen. Dann versucht man etwas anderes. Keine andere Filmindustrie hat Exploitation so konsequent betrieben wie die Shaw Brothers, die Anfang der 60er Jahre in Hongkong das chinesische Hollywood aus dem Boden stampften. Von einigen Edelproduktionen abgesehen (King Hu: „A touch of Zen“), sicherte sich das Hongkong-Kino mit seriellen Martial Arts-Streifen den Asienmarkt. Den weltweiten Durchbruch erzielte das Hongkong-Kino aber erst, als ein ehemaliger Shaw-Mitarbeiter der kopflosen Film-Maschinerie ein Gesicht gab: Mit nur vier Filmen stilisierte Raymond Chow den „kleinen Drachen“ – Bruce Lee – zum gelben Clint Eastwood und verpaßte dem Hongkong-Kino jenen Mythos, von dem es noch heute lebt.

Die Ästhetik des von Höhepunkt zu Höhepunkt schnellenden Hongkong-Films ist emblematisch für die Stadt mit der höchsten Bevölkerungsdichte der Welt (50.000 gegenüber 250 pro Quadratkilometer in Deutschland). Die Architektur, die in den vergangenen 20 Jahren von der Horizontale in die Vertikale explodierte, ist dominiert von luxuriös verspiegelten Einkaufspassagen, die verdecken sollen, daß die Hälfte der Bevölkerung sozial benachteiligt ist und in termitenartig wuchernden sozialen Wohntürmen haust. Urbane Spiegelkabinette erzeugen die Illusion eines Raumes hinter blankgeputzten Scheiben, eine Gegenwelt zu den bedrängten Verhältnissen. So wundert es nicht, daß das Zertrümmern von Spiegeln ein zentraler Topos im Hongkong-Actionfilm ist. In Jacky Chans „Police Story“ gehen alle Gläser eines KaDeWe- großen Kaufhauses zu Bruch.

Kommt man sich in einer Stadt physisch so nahe, so ist die Geschwindigkeit des Lebens und Filmens entsprechend höher. In der Zeit, in der Martin Scorsese die Gesichtsfurchen von Robert De Niro ausleuchtet, dreht John Woo einen halben Film ab. Der kostet im Schnitt zwei Millionen Dollar und kommt schon zwei Monate nach der Planung auf die Leinwand. Die hohe Durchlaufgeschwindigkeit, die etwa Tsui Hark nur vier Stunden Schlaf täglich gönnt, resultiert aus der hohen Dichte. Es gibt cirka 150 Abspielstätten in Hongkong, die von den sechs Millionen Bewohnern durchschnittlich doppelt so häufig (elfmal im Jahr) aufgesucht werden wie der US-Amerikaner in sein Kino geht (sechsmal).

Der hohe Verbrauch und die den Bedarf deckende Filmproduktion haben ein in der Welt einzigartiges „ästhetisches Ökosystem“ geschaffen. Da die britische Kronkolonie 1997 zurück an China fällt, ist die Filmenklave bedroht: „Meine Art, Filme zu machen, könnte mir dann Schwierigkeiten bereiten“, sagt Woo. Gelockt von einem Universal-Vertrag, hat er schon 1992 die Koffer gepackt und nun das erste Hongkong-Hollywood-Zelluloid belichtet.

Vom Stoff ist „Harte Ziele“ ein Rückgriff auf den Archetypus des Abenteuerfilms „The Most Dangerous Game“ (1932) des „King Kong“-Regisseurs Ernest B. Schoedsack: Der ebenso narzißtische wie sadistische Emil Fouchon (Lance Hendrickson) organisiert für jagdfiebrige Upperclass-Amerikaner Treibjagden auf obdachlose Vietnam-Rambos: Daß ein asiatischer Regisseur genau den Jungs den Arsch aufreißt, die Vietnam auf der Kinoleinwand gewonnen haben, ist ein reizvoller Gedanke am Rande.

Auf der Suche nach ihrem Vater, der von Fouchon zum Abschuß freigegeben worden war, trifft Natasha Binder (Yancy Butler) in New Orleans auf den arbeitslosen Handelsmatrosen Chance Boudreax (van Damme), der die Killermeute in einem nicht uninspirierten Showdown aufmischt. So weit, so gut. Kaum aber hat John Woo die seine Filme mit gestaltende Enge Hongkongs verlassen, so verliert sich fast all seine Dynamik in den weitläufigen Bayou-Sümpfen von New Orleans, wo der Film spielt. Die hochgespannte Energie der Helden entspricht bei Woo immer den Locations. Auf amerikanischem Boden sprechen die aber eine andere Sprache. Wie der Western zeigt, hat die für den amerikanischen Film sinngebende Weite des Landes zu einem langsamen filmischen Rhythmus geführt, der dem Joh Woos total entgegenläuft. Van Damme wiederum läuft diesem verlorenen Tempo hinterher. Obwohl kein schlechter Action-Darsteller, verlieren die Stunts ihren für den Hongkong-Film charakteristischen, überdrehten Screwball-Charakter und wirken vulgär.

Das Pathos im amerikanischen Actionfilm ist ein grundlegend anderes. Im Hongkong-Actionfilm kämpfen Solitäre um ihr ureigenes Überleben. Das wirkt trotz blutiger Massaker vergleichsweise unschuldig, denn im amerikanischen Actiondrama steht dagegen der Sieg des Einzelkämpfers immer für das Gesetz der Freiheit des Landes. Wenn einer alle besiegen kann, dann nur, weil Amerika solche standhaften Helden hervorbringt.

Diese schmierige Ideologie durchdringt mehr oder weniger ungewollt auch John Woos Film, wo sie sich in der Darstellung der Familie ausdrückt: In den Sümpfen

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trifft van Damme auf seinen Pflegevater (Wilford Brimley), einen gemütlichen, verträumten Schwarzbrenner, der seinem Sohn mit Pfeil und Bogen zu Seite steht (das trieft). Zusammen mit Natasha formen die drei ein rührseliges familiäre Trio – das für den amerikanischen Film archetypische Identifikationsmuster.

Obwohl mit Sam Raimi („Tanz der Teufel“) nicht die verkehrtesten Leute an „Harte Ziele“ mitwirkten, bleibt ein fader Nachgeschmack. Nur gelegentlich läuft Woo zur alten Form auf. Doch das reicht nicht, um ihn von der Masse der Mainstream-Produkte abzusetzen. „,Harte Ziele‘ ist ein Film für alle und keinen“: Nicht einmal für den UIP-Pressebetreuer, der sich von seinem eigenen Produkt überheblich mit einem stumpfen Witz distanzierte: Er müsse, sagte er bei der Pressevorführung in Frankfurt, die Originalfassung zeigen, „weil die bei der Synchronisierung mit den vielen ,Uhhs‘, ,Ahhs‘ und ,Nimm das!‘ nicht fertig geworden sind“.

„Harte Ziele“. Regie: John Woo, Buch: Chuck Pfarrer, Kamera: Russel Carpenter. Mit: Jean- Claude van Damme, Lenore Banks, Ted Raimi u.a. USA 1993, 93 Min.

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