Nebensachen aus Istanbul: Es gibt sie, die Amtshilfe unter Exorzisten
■ Streifzüge durch die heiligen Stätten Istanbuls: In Marmor und Stein leben die Herrscher weiter, wo ihre Opfer längst verwest sind. Gegen christliche Teufel gibt's Überweisungsscheine vom Imam
Schon immer haben sie mir Angst eingeflößt: die heiligen Stätten, wo die Menschen in halbdunklen Gebäuden zu Gott beten. Doch die Stadt, in der ich lebe, ist voll von ihnen. Zu Tausenden zählt man in Istanbul Synagogen, Kirchen und Moscheen.
In der bald dreitausendjährigen Stadtgeschichte haben die Herrschenden immer wieder für die Errichtung von sakralen Monumentalbauten gespendet. Blutige Herrscher, wie etwa Kaiser Justinian, der mit seinen Armeen die rebellierende Stadtbevölkerung niedermetzeln ließ, hat seinen Namen mit der Hagia Sophia verewigt.
Heute begafft es der Tourist und liest in seinem Reiseführer, daß es sich um ein architektonisches Meisterstück handelt, das der Kaiser anno 532 in Auftrag gab. Kein Wort von den Zehntausenden Leichen des Nika-Aufstandes im gleichen Jahr. Stein und Marmor verewigen sich, der menschliche Körper fault, verwest und löst sich auf. Die Namen der moslemischen Herrscher, der osmanischen Sultane sind auch heute noch allgegenwärtig mit den Moscheen, die ihren Namen tragen, wie Süleyman der Prächtige.
Im Namen Gottes haben die Despoten regiert und Blut vergossen. Doch der Glaube der Menschen war so stark, daß auch die Aufstände der Bevölkerung gegen die Tyrannen nur unter dem Banner der Religion gewagt wurden.
Auch die armen Leute haben Geld gespendet, damit Synagogen, Kirchen und Moscheen erbaut wurden. Nachfolgend gab es zwei Staatsreligionen: zuerst das Christentum unter den byzantinischen Kaisern, dann, nach der Eroberung der Stadt im Jahr 1453, den Islam unter den osmanischen Sultanen. Doch stets stritt auch das Volk um den richtigen Glauben.
Unter osmanischer Herrschaft sind zahlreiche Übergriffe griechisch-orthodoxer Untertanen auf katholische Kirchen verbrieft. Der osmanische Sultan, selbst ein Moslem, mußte zeitweilig zum Schutz der Katholiken vor den Orthodoxen bewaffnete Truppen einsetzen, um Ruhe und Ordnung herzustellen und jedermann klarzumachen, daß das staatliche Gewaltmonopol beim Sultan liegt.
Oft streife ich durch die Stadt, um die Heiligstätten der kleinen Leute zu entdecken. Versteckt zwischen Betonneubauten eine kleine armenische Kirche im Stadtviertel Beyoglu oder eine kleine Synagoge, die von den Bordellen am Hafen Karaköy erdrückt wird.
Doch keine heilige Stätte hat mich so beeindruckt wie jene winzige griechisch-orthodoxe Kirche auf der europäischen Seite des Bosporus. Menschenmassen standen vor der Kirche an. Unmöglich konnten es Christen sein. Es waren arme Moslems, die warteten, bis sie endlich zu dem Priester mit dem Weihwasser und den sonderbaren Düften Zutritt erhielten. Migranten aus Anatolien, die es in die Stadt verschlagen hatte, unter deren Pflaster Gold liegen soll. „Was geht hier vor sich?“ fragte ich den Mann, der mit seinem Sohn in der Schlange stand. Sein Sohn war krank. Kein Arzt und keine Medizin helfe. Schon mehrfach sei er beim Imam, dem islamischen Geistlichen, gewesen, um Rat und Hilfe zu holen. „Der Imam sagte mir, daß mein Sohn vom Teufel besessen sei. Er hat versucht, den Teufel auszutreiben. Doch es nützte nichts. Zum Schluß hat er mir anvertraut, daß mein Sohn von einem christlichen Teufel und nicht von einem islamischen Teufel besessen ist. Er gab mir die Anschrift dieser Kirche und dieses Priesters.“
Ein Überweisungsauftrag von Krankenhaus zu Krankenhaus? Amtshilfe von Exorzisten? Doch egal wie man zur Teufelsaustreibung stehen mag. Es gibt sie, die Solidarität der Gottesmänner, um das Leiden der Unterdrückten zumindest seelisch zu lindern. Ömer Erzeren
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