: Wo ist Ihr „Inneres Kind“?
■ Therapieerfinderin zum Workshop in Bremen / SchülerInnen „finden's klasse“
Es geistert durch Buchläden und Wohngemeinschaftsküchen, durch Psychotherapeutenpraxen und die Esoterikszene, doch mehr als ein Schlagwort ist es selten: das „innere Kind“. Eine ganze Reihe von TherapeutInnen versucht, sich dieser Therapieform zu nähern, aber so ganz genau weiß keiner, was gemeint ist. „Wir probieren so rum“, heißt es. Ein Entfernungsproblem: Noch nie haben sich die amerikanischen Entdeckerinnen des „Inner Bonding“, die beiden Psychologinnen Margret Paul und Erika Chopich, in Europa blicken lassen. Das ändert sich jetzt: Am Wochenende kommt Margret Paul zu einem Workshop. Selbst aus der Schweiz kamen Anmeldungen.
„Inner Bonding“ heißt im Selbstverständnis der TherapeutInnen Verbindung herzustellen zum Ich der Kindheit, zu dem Kind, das Schmerz und Verletzungen erfahren hat. Und weil der erste Schritt auf dieses verletzte „innere Kind“ zu schmerzhaft ist, wird er von den meisten Erwachsenen im europäisch-amerikanischen Kulturkreis vermieden. Eine Vermeidung, die nicht folgenlos bleibt. „In mir fehlt etwas“, heißt das passende Gefühl. Diese Leerstelle wird oft mit allerlei Süchten gestopft - scheinbar. Die Alternative, die das „Inner Bonding“ dazu anbietet, heißt kurzgefaßt: in den Dialog mit diesem „inneren Kind“ treten. Dieser Dialog soll ein Leben lang halten. Der „innere Erwachsene“ steht für Rationalität, das „innere Kind“ für Spontaneität, Lebenslust, Kreativität. Und: Wer die Verletzungen der Kindheit kennt, kann sich als Erwachsener besser vor Verletzungen schützen, so die Theorie.
Olivia Douglas ist Lehrerin in Walle. Als sie vor gut einem Jahr zum erstenmal auf das „Inner Bonding“ gestoßen ist, hat sich ihr Leben schlagartig verändert - und das der SchülerInnen ihrer Klasse obendrein. Die wollten nämlich ein Anti- Rauchprogramm machen. Bis heute probiert sie immer wieder von neuem, ein psychologisches Konzept, das auf Arbeit mit Erwachsenen ausgelegt ist, auf eine Schulklasse zu übertragen. „Am Anfang habe ich versucht, den Schülern zu erklären. Das war Käse.“ Also ließ die Lehrerin die Theorie sausen und stellte sich und den SchülerInnen Fragen: Wie stellen wir uns das ideale Kind vor, wie also eine ideale Kindheit, und wie den idealen Erwachsenen? Wie würde sich das Kind den idealen Erwachsenen vorstellen? Und: Wer kommt gerade jetzt, in diesem Moment, zum Zuge? Olivia Douglas: „Da stellen die Schüler schon fest, daß da Unterschiede in uns sind.“
Ein ungewöhnliches Programm für eine zehnte Klasse, das kaum funktionieren würde, wenn sich die Beteiligten nicht schon lange, nämlich seit der siebten Klasse, kennen würden. „Die Klasse findet's gut“, erzählt Olivie Douglas über ihre Erfahruungen mit dem Inner Bonding im Unterricht. „Der Ärger mit den Kollegen ist aber eingebaut.“ Die finden das Programm eher spinnert.
Der Workshop am Wochenende ist ganz auf die Initiative der Bremer Lehrerin zustandegekommen. Die hatte sich gewundert, wieviele TherapeutInnen mit dem Inner Bonding arbeiteten, ohne daß einer Kontakt zu den amerikanischen Erfinderinnen aufgenommen hatte. So sind es auch vor allem TherapeutInnen und ÄrztInnen, die sich für den Crashkurs mit Margaret Paul angemeldet haben. Die erwartet ein Schnelldurchlauf. Während die Waller SchülerInnen viel Zeit und Muße mit der Wahrnehmung des Inneren Kindes haben dürfen, werden die TeilnehmerInnen des Workshops weitergehen: Erfahren – Kontakt mit dem inneren Kind aufnehmen – lernen, wie dieser Kontakt aufrechterhalten werden kann. Das sind die drei Stufen im Inner Bonding-Konzept. Und die sollen an zwei Tagen durchlaufen werden. Zu schnell? Olivia Douglas findet das nicht: „Wer keine wirklich großen Verletzungen erlebt hat, für den reichen solche Workshops aus.“ Sonst ist auch das „Inner Bonding“ ein langer Weg. J.G.
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