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“Die Situation ist wirklich ernst“

■ Finanzsenator Ortwin Runde im taz-Interview: Die Finanzpolitik radikal umkrempeln, um die größte Sparorgie der Hamburger Geschichte zu bewältigen Von Uli Exner und Florian Marten

taz: Herr Runde, wir können zwar nicht dem neuen Ersten Bürgermeister gratulieren, aber immerhin dem Finanzsenator: Wie fühlt man sich nach dem Karrieresprung in ein klassisches Ressort?

Ortwin Runde: Arbeit, Gesundheit und Soziales ist inzwischen ein klassisches Ressort. Jedenfalls haben wir es dazu gemacht. Ich bin gewechselt aus einem Amt, das mir sehr lieb war, in eines, das ich erst liebgewinnen muß.

Ein politisches Opfer?

Die Krise ist so tief, daß sich sogar Finanzpolitiker als Sachverständige für Soziales gerieren. Da ist es gut, wenn mal ein Sozialpolitiker Finanzpolitiker wird.

Auch Bürgermeister, falls Henning Voscherau im November nach Bonn wechselt?

Ich sehe bisher nicht, daß Henning Voscherau nach Bonn wechselt. Jetzt zu spekulieren, macht wenig Sinn.

Sie stehen aber bereit.

Nein. Ich bin als Finanzsenator angetreten, um das eine Legislaturperiode zu machen.

Wie schlimm steht es um die Stadtkasse?

Wir erleben die tiefste Rezession der Nachkriegsgeschichte. Die finanzielle Situation erwies sich daher bereits 1993 viel negativer als ursprünglich erwartet.

Kommt es noch schlimmer?

Damit ist zu rechnen. Nach unseren Kenntnissen werden es 1,5 Milliarden sein plus des Basiseffektes aus weiteren Mindereinnahmen in 1993 von 168 Millionen Mark.

Die taz hat schon 1992 vor einer unterschätzten Finanzkrise gewarnt. Ebenso der Präsident des Landesrechnungshofes, Hermann Granzow, und der SPD-Haushaltsexperte Gerd Weiland. Die Entwicklung der Hamburger Finanzen war bestens prognostiziert.

„Wer die Wirtschaftskrise vorhergesehen hat, ist ein großer Prophet“

Das wären ja die einzig wahren Wirtschaftspropheten im Lande gewesen.

Sogar Voscherau warnte Ende 1992: Jetzt kommen die 7 mageren Jahre. Unser Eindruck: Die vorliegenden Erkenntnisse wurden 1993 opportunistisch in den Wind geschlagen.

Eine biblische Metapher. Das seh ich ein Stück anders. Alle, die diese Wirtschaftskrise seit Jahren vorhergesehen haben, das sind für mich ganz große Propheten ....

Vielen Dank! Fakt ist doch: 1989 bis 1992 gab es einen unerwarteten Einnahme-Boom der sich sofort in einem Ausgaben-Boom niedergeschlagen hat. ...

Dies ist richtig. Wir haben es seit 1989 aber auch mit einem Paradigmenwechsel zu tun, weg von der schrumpfenden Stadt hin zur wachsenden Stadt.

Wenn Granzow, der oberste Sittenwächter der Hamburger Finanzen, seit zwei Jahren stetig mahnt und warnt ...

Ich kenn keinen Rechnungshofpräsidenten, der sagt, es werde mit den öffentlichen Finanzen sparsam genug umgegangen. Sie werden jedes Jahr derartige Aussagen finden. Auch bei jedem Haushaltsausschußvorsitzenden. Dafür sag ich Ihnen jetzt: Die Situation ist wirklich ernst. Und damit warne ich nicht – ich analysiere nüchtern die Situation.

Kurz: Sie haben ihr neues Amt hellwach, im Wissen um die Probleme angetreten.

So ist es.

Dann verraten Sie uns mal Ihre Giftliste.

Im Gegensatz zu anderen vertraue ich nicht auf diese Medizin. Giftlisten vom obersten Medizinmann, dem Finanzsenator, werden der Lage nicht mehr gerecht. Ich stehe für einen strukturellen Spar- und Gesundungsprozeß.

Erste Etappe: Volkssport Sparen. 300 Millionen stehen fürs Warmlaufen bereit.

Wir brauchen zuallererst eine gemeinsame Einschätzung von Haushaltslage und Handlungsperspektiven. Nur dann können die Akteure in Senat und Konsolidierungskommission gleichgerichtet handeln.

Die Haushaltslage ist Ihren KollegInnen immer noch nicht ganz bewußt.

Da geht es ihnen wie jedem Bürger. Alle sagen, es muß bannich gespart werden, bringen Beispiele aber immer aus anderen Bereichen. Je weiter entfernt, desto härter muß gespart werden.

Es gibt Ausnahmen: Die taz Hamburg beispielsweise hat 1993 20 Prozent ihrer Stellen abgebaut.

(lacht): Ob das reichen wird? (Wieder ernst:) Es gilt unser strukturelles Defizit zu definieren. Und dann müssen wir ein Programm machen mit genau festgelegten Schritten und das Defizit abbauen.

Allein 1995 1,5 Milliarden ...

Als Finanzsenator muß ich das strukturelle Defizit mittelfristig auf Null bringen. Das ist das Ziel. Es liegt nicht bei 1,5 Milliarden. Da müssen sie den konjunkturellen Faktor einbeziehen.

„Bestimmte Leistungen wird es in Zukunft so nicht mehr geben“

Gesetzt den Fall, sie kriegen eine einvernehmliche Lagebeurteilung hin. Beispielsweise: Jawohl, unser strukturelles Defizit beträgt 800 Millionen pro Jahr.

In der Größenordnungen von mehreren 100 Millionen Mark zu sparen – das setzt eine Systemveränderung in der Finanzpolitik voraus weg von der Kameralistik hin zu einem modernen System der Budgetierung. Wir müssen Aufgabenwahrnehmung, Entscheidungskompetenz und Ressourcenverantwortung bei den Behörden zusammenzuführen.

Dezentralisiertes Sparen – jeder macht es bei sich selbst. Bekommt man so wirklich 800 Millionen zusammen?

Mit der herkömmlichen Bewirtschaftung jedenfalls nicht. Ob es nun 800, 900 oder 1000 Millionen sind – bestimmte Leistungen wird es so nicht mehr geben.

„Die Behördenleitungen wissen nicht genau, wo gespart werden kann“

Woran denken Sie?

Das werde ich Ihnen nicht sagen. Das kann nur im Diskurs erarbeitet werden.

Der Senat als kollektives Sparorgan ...

Nein. Umgekehrt. Das wird aus den Fachbehörden selbst hochwachsen. Zum Beispiel aus der Sozialbehörde: Bei einem Volumen von 3,5 Milliarden Mark ist es unmöglich, daß die Behördenleitung genau weiß, wo Mittel effizienter einzusetzen sind, wo man sinnvoll sparen kann.

Der Hamburger Staatsapparat ist eine höchst ineffiziente Firma mit einem aufgeblähten Wasserkopf und qualitativ oft völlig unzulänglichen Produkten. Ist nicht Unternehmenssanierung das Gebot der Stunde? Motto: Mehr städtische Leistung für weniger Geld?

Wenn Sie die Sprechblasen alle weglassen und die Beleidigungen für Menschen, die dort tagtäglich arbeiten: Wir müssen tatsächlich den öffentlichen Dienst ganz erheblich modernisieren. Das ist möglich, ohne daß ich diejenigen, die dort früher unter anderen Bedingungen arbeiten mußten, beschimpfen muß.

Wir beschimpfen nicht die abhängig Beschäftigten, sondern Management und Unternehmensstruktur. Uns und die BürgerInnen interessiert: Was wird passieren?

Bisherige Sparansätze führen nicht mehr zur Lösung. Wir müssen umstellen auf eine umfassende Reform der öffentlichen Verwaltung. Es gibt erhebliche Reserven zur Effizienzsteigerung. Da muß man richtig ran. Auch bei den Zuwendungsempfängern. Wir haben in der Vergangenheit oft auf jedes neue Problem ein neues Hilfesystem obendrauf gepackt. Hier müssen wir prüfen: Welche Überschneidungen gibt es, wie muß eine Neukonzeption von Helfen aussehen, beispielsweise im Sozialbereich?

Das wird vielleicht noch zügig gelingen ...

Zügig? Ich erwarte ganz erhebliche Widerstände. Gerade da wird die taz das Widerstandspotential doch noch besonders anfeuern.

Zuviel der Ehre.

Da liegt ungeheuer viel Zündstoff drin. (Lacht) Ich betone: Zündstoff. Da werden sich ganze Berufsgruppen hinter ihrer Klientel verstecken.

Wo genau gibt es Leistungsabbau?

Überall. Von Strom- und Hafenbau bis zur Kultur, im Jugendbereich, im Sozialbereich, bei der Inneren Sicherheit ... Nichts wird ausgenommen.

Sie versprechen eine umfassende Reform des Hamburger Haushaltswesens ...

So ist es.

Wir kennen einen Bürgermeister, der kündigt seit Jahren eine umfassende Verwaltungsreform an. Wir warten immer noch.

Die Reform des Haushaltswesens wird was, weil sie eine unendlich starke Triebfeder hat. Es wird auch schneller gehen als üblich. Andererseits wird es auch Zeit brauchen wie alles, was auf wirkliche Verhaltensänderungen setzt. Im Haushaltsausschuß kann ich mir derzeit anhören, wie die Parlamentarier den Haushalt beraten. Da können Sie sehen, welche Veränderungen auch bei den Denkweisen dort notwendig sind. Wir müssen wegkommen von der pfennighaften Kameralistik und hin zu Budgetorientierung, zu Globalisierung, zu mehr Flexibilität. Zwischen dem heutigen Ansatz der Haushaltsberatung und dem, was wir vorhaben, klafft ein himmelweiter Unterschied. Das geht bis zum Sachbearbeiter. Es wird niemand mehr so tun dürfen, als käme das Geld aus dem Hahn an der Wand.

Um Stellenabbau kommen Sie nicht herum – und das als ehemaliger Arbeitssenator mitten in der Rezession ...

Ich hatte – im Gegensatz zu anderen – nie die Illusion, daß der öffentliche Dienst die industrielle Reservearmee parken könnte. Die Gefahr von arbeitsmarktpolitisch unerwünschten Effekten besteht. Hier muß man nachdenken über Teilzeitarbeit und anderes, das diese Effekte minimiert.

Wir haben bislang nur vom Sparen geredet. Wie steht es mit Steuern und Gebühren? Oder Privatisierung – HEW, Landesbank, die HHLA für die Hafenerweiterung ...

Unser Konsolidierungskonzept werden wir durchsetzen. Schon aus Gründen sozialer Gerechtigkeit dürfen wir aber den Einnahmebereich nicht aus den Augen verlieren. Wir können das gesamte Defizit aber nicht nur durch Einsparungen auffangen. Es bleibt ein erhebliches, konjunkturell bedingtes Defizit, das durch Sondermaßnahmen abgedeckt werden muß – zum Beispiel durch Veräußerungen. Mein Ziel ist, diese Sonderaktivitäten so gering wie möglich zu halten. Die haben alle nur Nachteile.

Schließen Sie da etwas von vornherein aus? Kredite für den Betriebshaushalt, den Verkauf bestimmter Unternehmen?

„Die Probleme können nur mit klarem Kopf und ohne Tabus bewältigt werden “„

Nein – angesichts der Dimension der Probleme. Die kriegt man nur bewältigt mit sehr, sehr klarem Kopf und ohne Tabus. Konsolidierung steht an erster Stelle. Wenn man von Haushaltspolitik und sozialer Realität etwas weiß, kann man da zutiefst erschrecken. Wir müssen weit hinausgehen über die bislang üblichen Sparmaßnahmen. Auch die GEW wird nicht außen vor bleiben. Die geistige Haltung der GEW, alle anderen sind dran, nur wir nicht – so wird es nicht gehen.

Alle Finanzminister versprechen bei Amtsantritt Sanierung, Konsolidierung. Heraus kommt fast immer das Gegenteil.

Sie werden mich messen können an den Konsolidierungszielen, die wir jetzt formulieren.

Haben Sie wenigstens eine FinanzpolitikerIn, einen Finanzpolitiker als Vorbild? Muß ja nicht ein Poster überm Bett sein ...

Nee. Wahrlich nicht. Meine Leitbilder stammen alle aus anderen Sphären. Eher Ernst Bloch als ...

Theo Waigel ...

(lacht): Soweit bin ich noch nicht auf den Hund gekommen.

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