: Japanisches Leben noch teurer
Premierminister Morihiro Hosokawa möchte die Mehrwertsteuer erhöhen Die Sozialdemokraten drohen mit neuer Regierungskrise ■ Aus Tokio Georg Blume
Als Premierminister Morihiro Hosokawa am vergangenen Wochenende ein neues Wahlgesetz samt einer Neuregelung der Parteienfinanzierung durchsetzte, umjubelten ihn die Japaner. Doch schon gestern war die allgemeine Freude an der Politik des Premiers verklungen. Statt dessen schimpften Einkaufskunden und Ladenbesitzer im ganzen Land auf die Regierung. Fischer auf Hokkaido kündigten Proteste gegen die Raffgier des Tokioter Zentralstaats an, während die Zentrale der Verbraucherverbände in der Hauptstadt bereits eine landesweite Unterschriftenaktion plante.
Der Grund für die Aufregung: In der Nacht zuvor hatte Premier Hosokawa eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von heute drei auf sieben Prozent für das Jahr 1997 verkündet.
Das Thema Mehrwertsteuer hat in Japan eine kurze Geschichte: Die Steuer wurde erst 1989 gegen massive Proteste in der Bevölkerung eingeführt und hatte schon der damaligen Regierung fast eine Wahlniederlage beschert. Die Mehrwertsteuer ist unpopulär, weil sie in erster Linie den Normalverbraucher trifft, dessen Warenkorb im Vergleich zum Ausland bereits unverhältnismäßig teuer ist. „In Japan ist alles teurer als im Ausland. Die Regierung sollte etwas dafür tun, die Preise zu senken statt zu heben“, sagt ein Arbeiter vom Autohersteller Mazda in Hiroshima.
Hartnäckigste Gegner der Mehrwertsteuer sind in Japan die Sozialdemokraten, die nicht nur 1990 fast die Wahlen gewonnen hätten, sondern auch gestern mit dem Rückzug ihrer Minister aus der von Hosokawa geführten Sieben-Parteien-Koalition drohten, falls der Regierungschef seine Steuerpläne nicht zurückziehe. Tatsächlich übte Hosokawa im Laufe des Tages Selbstkritik, und noch am späten Abend suchten die Koalitionspartner erneut einen Kompromiß. Dabei hatten die Sozialdemokraten zur Bedingung gemacht, daß Termin und Höhe der Mehrwertsteuererhöhung noch nicht festgelegt und alle zukünftigen Einnahmen aus der Mehrwertsteuer nur für neue Sozialausgaben genutzt werden.
Im Steuerstreit fast untergegangen war dabei das geplante Konjunkturprogramm der Regierung. Hosokawa hatte am Donnerstag ein Steuersenkungspaket, verteilt auf drei Jahre, in der Höhe von 290 Milliarden Mark angekündigt. Damit will die Regierung „die tiefste Krise der japanischen Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg“ abwenden. Schon in diesem Jahr sollen Einsparungen bei der Einkommens-, Unternehmens- und Erbschaftssteuer um 96 Milliarden Mark vorgenommen werden. Im Vergleich dazu würde die Regierung bei der geplanten Mehrwertsteuererhöhung ab 1997 pro Jahr 153 Milliarden Mark Steuern mehr einnehmen.
Alle Ideen für das Steuerpaket kamen selbstverständlich vom einflußreichen Finanzministerium.
Macht und Einfluß der Finanzbürokratie standen gestern auch im Zentrum des politischen Streits. Hosokawa und seine Regierung waren vor sechs Monaten mit dem Versprechen angetreten, die Macht der großen Ministerien, die Japan oft anstelle der Politiker regierten, zu beschneiden. Aus diesem Grund drohte gestern auch Regierungssprecher Masayoshi Takemura von der Neuen Partei Japans, der auch Hosokawa angehört, mit seinem Rücktritt. Takemura gilt als wichtigster Politiker im Kabinett, der eine Rückkehr zur alten Wirtschaftspolitik der Liberaldemokraten bekämpft. Viele Beobachter prophezeien jedoch, daß der Premierminister nach der erfolgreichen Durchsetzung seiner politischen Reformen auf eine vermehrte Zusammenarbeit mit der Opposition setzt.
Das Nachsehen hätte erneut der Verbraucher: „Die versprochenen Steuersenkungen bedeuten einen Bruch mit der japanischen Nachkriegspolitik“, kommentierte Jesper Koll, Chefökonom des britischen Wertpapierhauses Warburg Securities in Tokio. „Profitieren werden davon die Neureichen, aber nicht der gewöhnliche Angestellte.“
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