: Gegenseitig heilige Kühe schlachten
Die Beitrittsverhandlungen der EU mit Österreich, Schweden, Finnland und Norwegen müssen bis zum 28. Februar abgeschlossen sein / Heute beginnt die heiße Verhandlungsphase ■ Aus Brüssel Alois Berger
Brüssel (taz) – Heute beginnt die heiße Phase der Erweiterungsverhandlungen der Europäischen Union mit den vier Beitrittskandidaten. Bisher wurden nur die Standpunkte ausgetauscht, ab jetzt wird gefeilscht. Österreich will zum Beispiel das Transitabkommen, das den Lastwagenverkehr über den Brenner begrenzt, bis Ende 2003 beibehalten, die Europäische Union fordert freie Brummi-Durchfahrt ab 1997. Norwegen will seine reichen Fischgründe nicht mit allen EU-Fischern teilen, Finnland möchte gern einen größeren Anteil an den Zuschüssen für zurückgebliebene Regionen, und alle zusammen wollen Sonderregelungen für ihre Landwirtschaft.
Die wegen ihrer ausufernden Subventionen schlecht beleumdete EU-Agrarpolitik ist den Neuen also zu knausrig – was den Verdacht bestärkt, daß die Subventionitis ohne EU noch schlimmer wäre. Vermutlich würden auch die EU-Mitgliedsregierungen ihren Landwirten stärker unter die Arme greifen, wenn sie sich in Brüssel nicht gegenseitig daran hindern würden. Die Beitrittskandidaten jedenfalls geben für ihre Bauernschaft durchschnittlich 40 Prozent mehr aus als in der EU üblich. Nur Schweden hat vor drei Jahren durch eine Agrarreform den EU-Standard erreicht. Mit den anderen muß Brüssel jetzt um die Übergangszeiten streiten, innerhalb derer die Agrarförderung auf EU-Niveau abgesenkt werden soll. Finnland und Norwegen verlangen für ihre Eskimo-Bauern in der Subarktis eine unbefristete Subventionserlaubnis, was sich in Brüssel niemand so recht vorstellen will.
Überhaupt wird es immer schwieriger, gleichzeitig die Grundsätze der Europäischen Union und die Stimmung in den Beitrittsländern zu berücksichtigen. Denn auf der einen Seite gibt es große Übereinstimmung in der Einschätzung, daß sich die Kandidaten der EU anpassen müssen und nicht umgekehrt. Auf der anderen Seite aber sieht man auch in Brüssel die Gefahr, daß die Skepsis in Österreich und in Skandinavien noch weiter wachsen könnte, wenn sich die EU stur gibt. Und vor dem Beitritt steht in allen vier Ländern eine Volksabstimmung. Die norwegische Regierung hat schon angedeutet, daß sie sich einen späteren Aufnahmetermin vorstellen kann, wenn die Verhandlungsergebnisse unbefriedigend ausfielen.
Um das Aufnahmedatum 1. Januar 1995 einzuhalten, müssen die Verhandlungen bis Ende Februar abgeschlossen sein, damit das Europaparlament die Ergebnisse noch rechtzeitig absegnen kann. Verhandlungsprofis rechnen wieder mit einer Nacht der langen Messer, in der die heiligen Kühe gegenseitig geschlachtet werden. Um die Spannung zu erhöhen, hat der spanische Wirtschaftsminister Anfang dieser Woche noch einmal bekräftigt, daß die Neuen bei der Währungsunion nicht berücksichtigt werden dürften, weil sonst „der Geist von Maastricht“ verletzt werde. In Maastricht hatten die 12 Regierungen vereinbart, daß die Währungsunion 1997 startet, sofern die Mehrheit der Mitglieder die wirtschaftlichen Kriterien erfüllen. Durch Einbeziehung der Neuen wäre eine Währungsunion ohne Spanien möglich. Weil Madrid mit dieser Forderung ziemlich alleine steht, hat der spanische Wirtschaftsminister gleich noch dazuverlangt, daß die zusätzlichen Nettoeinnahmen der EU von den neuen Mitgliedern ausschließlich für die vier ärmsten Länder eingesetzt werden dürften. Was wohl heißen soll, daß Madrid im ersten Punkt nachgeben will, um den zweiten zu bekommen. Der 28. Februar ist ein Montag, der bis weit in den Dienstag hinein dauern könnte.
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