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„Reisender Edelpenner“

■ Bremen nebenan: Horst lebt seit 30 Jahren auf den Straßen/ Jetzt will er hierbleiben

Am Rande des Waller Kleingartengebietes, neben dem Imbiß, wo selbst bei großer Kälte Männer draußen ihr Bier trinken, dort liegt die „Tasse“, ein Cafe für Wohnungslose (vergl. taz vom 26.2.94). Wer nach dem Weg dorthin fragt, erntet gutgemeinte-mitleidige Blicke, und vielleicht sagt eine alte Frau: „Ja, ja , da kriegen Sie eine heißen Kaffee zum Aufwärmen.“ Unter Berbern, Stadtstreichern, Stadtratten, Edelpennern, Nicht-Seßhaften oder wie sonst noch die mehr oder weniger treffenden Namen für Menschen ohne Wohnung lauten, hat sich die „Tasse“ längst als eine höchst empfehlenswerte Adresse herumgesprochen. Auch heute sind wieder um die 30 Gäste da, überwiegend Männer mittleren Alters, die in einem gemütlichen Raum auf den Sofas und Sesseln sitzen, plaudern, Kaffee trinken, rauchen und auf das Freiwerden von Dusche und Waschmaschine warten.

An einem kleinen Tisch spielen zwei Männer Schach, ein dritter liest mit verschlossenem Gesichtsausdruck eine Zeitung. Einer der Schachspieler ist Hans – „Hans im Glück, ha, ha“. Er war im Knast und danach fünf Jahre auf Trebe. „Jetzt hab ich seit 89 wieder eine Wohnung, aber übernachten laß ich da von meinen Kollegen keinen, grundsätzlich nicht, kann ich mir nicht leisten, wegen der Nachbarn.“ Horst, sein Gegenspieler, ein hagerer 50-jähriger, der seit 30 langen Jahren auf der Straße lebt, nimmt das nicht krumm: „Es gibt drei Sachen, wo Du als Penner drauf achten mußt – die Bullen, der Haß von Otto Normalverbraucher und vor allem die Blicke, denen Du nicht ausweichen kannst. Wer mit einem von uns zu tun hat, der hängt sofort mit drin, auch wenn er ne Wohnung hat. Dann biste verpennert, verberbert.“

Der Zeitungsleser, Wolfgang, schaut mürrisch auf: „Mir ist das egal, die Gesellschaft kann mich mal am Arsch lecken.“ Er wirkt sehr gepflegt, obwohl er mit seinen 63 Jahren in einem kümmerlichen Bauwagen im Parzellengebiet lebt. „Ich habe keine Freunde mehr“, sagt Wolfgang, „außer meinen Nachbarn, den Amseln und Dohlen. Einer davon ist Jakob, der kennt mich, der hat mich sogar im Knast besucht.“ Dann vertieft er sich wieder in seine Zeitung.

„Was mit am meinsten stinkt“, sagt Hans, „immer sollen wir dankbar sein, und sei es für einen Sechser (fünf Mark), den Dir ein Pfarrer gibt.“ Und Horst wirft ein: „Von uns hier am Tisch macht keiner Sitzung, mit Schild und Hut betteln, nee, meine Ehre laß ich mir nicht nehmen. Aber mit Arbeit ist auch nichts. Komm, geh da hin, wo Du hergekommen bist, sagen sie, wenn sie den unvollständigen Lebenslauf sehen. Und wieder muß man erklären, wieso, warum, weswegen. Da wirst Du zum einsamenWolf.“

Horst zählt sich zu den „durchreisenden Edelpennern“: „Ich war nie eine Stadtratte, einer, der sich aufgegeben hat und nur noch im Dreck liegt. Vielleicht hab ich mal für ein halbes Jahr festgemacht, den Winter über gewartet, bis der Lorenz wieder hochkommt (die Sonne wieder scheint). Ich bin eher ein untypischer Berber, hab sogar mein Abitur nachgemacht und ein Studium angefangen, Diplompädagogik, ausgerechnet...Aber meine Heroinsucht, 25 Jahre, hat mich immer wieder reingerissen, klar, das kann ich ruhig aussprechen, ich bin jetzt clean. mein Sicherheitsdenken ist stärker geworden. Ich sag mir, das kann nicht alles gewesen sein.“

30 Jahre lang war Horst in Deutschland unterwegs, auf der sogenannten „Rennstrecke: Hamburg, Lüneburg, Uelzen, Celle, Marburg, Gießen, Frankfurt, Stuttgart. „Stuutgart, da ist es bestens, überhaupt sind die Menschen im Süden barmherziger als im Norden.“ – „Stimmt genau“, sagt Hans dazwischen, „Geh bloß nicht nach Brake. Brake ist brutal, da schlagen Dich die Skins zusammen, wenn du unten an der Kaje pennen willst.“ Nein, Horst wird nicht nach Brake gehen. Er hat vor, ein Fester zu werden, in Bremen zu bleiben. Aber ob es mit einem Sozialamt-Hotelzimmer, einer Wohnung gar, klappt? „Dann kürzen sie einem die Sozialhilfe und es bleiben noch nicht mal 400 Mark im Monat. Das überlegt man sich dann.“

Das Leben in der Wohnungslosen-Szene ist härter geworden in den letzten 10 Jahren. „Wir tolerieren uns zwar alle“, meint Hans, „aber es werden immer mehr und auch jüngere Leute.“ – „Die Aggression von außen wird immer stärker,“sagt Horst. „Im Stadtpark schläft keiner mehr, höchstens auf dem Friedhof, im Freibad oder irgendwo im Wald.“

Oder in den Obdachlosenunterkünften. In der Duckwitzstraße, der Duisburger Straße, im Jakobushaus, wohin sich jetzt, kurz bevor die „Tasse“ schließt, die meisten Gäste wieder aufmachen. Am Sonntag werden fast alle wieder in der „Tasse“ sein, zum kostenlosen Sonntagsfrühstück. Sie werden wieder Insiderinformationen austauschen. Die „Tasse“, getragen vom Verein Allwo (Hilfen für Alleinstehende Wohnungslose) finanziert sich allein aus Spenden und verzichtet auf Zuschüsse. Das trägt zum Vertrauen der Gäste bei: „Hier kannst Du Mensch bleiben,“ sagt Horst, „hier läuft nichts mit moralischer Erpressung und niemand will Dich umkrempeln.“

Cornelia Kurth

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