: Es ist immer noch eine Gewöhnungssache
Das neue Hessische Gleichberechtigungsgesetz ist seit Januar in Kraft / Frauenbeauftragte sind optimistisch bei der Umsetzung / Doch in der Verwaltungsbürokratie mehren sich die Widerstände gegen Frauen als Vorgesetzte ■ Von Heide Platen
Die papierenen Scherenschnittmännlein und -weiblein auf dem Titelblatt der ministeriellen Broschüre halten sich im Ringelreihen an den Händen: Das Hessische Gleichberechtigungsgesetz (HGlG) hat 25 Paragraphen. Es ist seit dem 1. Januar 1994 in Kraft und sorgt, wie in seiner langen Entstehungsgeschichte schon häufiger, für Ärger. Als die Initiatorin, die damalige Frauenministerin Heide Pfarr (SPD), wegen zuviel kassierter Renovierungskosten ihren Hut nehmen mußte, mag mancher ihrer Parteigenossen aufgeatmet haben. Das auch bei SPD- Männern ungeliebte Gesetz blieb ihnen jedoch erhalten, als Nachfolgerin Ilse Stiewitt das Amt übernahm. Sie hegte das ungeliebte Kind stiller als Pfarr, die Partei wollte keinen neuen Streit riskieren und segnete es ab.
Auf Seite fünf strahlt Ministerpräsident Hans Eichel noch fröhlich und lobt sich selbst: „Die Hälfte der Kabinettsmitglieder sind Frauen ...“ Das war einmal, inzwischen ist auch Finanzministerin Annette Fugmann-Heesing, Opfer der hessischen Lotto-Affäre, durch einen Mann ersetzt worden. Und während im Frauenministerium die tüchtige Stiewitt an den Ausführungsbestimmungen des neuen Gesetzes feilt, läuft nicht nur der Mittelbau einer widerborstigen Verwaltung, sondern auch die gewerkschaftliche Basis der Sozialdemokraten Sturm.
Es ist eben nicht so einfach, das Gesetz, das Stiewitt selbst „eine kleine Revolution“ nennt, umzusetzen. Mancherorts in den 21 Landkreisen und 426 Städten gedeihen offene Rebellion und stille Insubordination. Das Gesetz sieht in allen Amtsstuben eine „weisungsungebundene Frauenbeauftragte“ vor, die die Einstellungspolitik in den Bereichen überwacht, in denen Frauen bisher unterrepräsentiert waren. Und das gilt vor allem für die Spitzenpositionen.
Die Kritik richtet sich derzeit vor allem gegen Kultusminister Hartmut Holzapfel, zuständig für den gesamten Schulbereich. Der sei fest entschlossen, „die größte Schwachstelle des Gesetzes“ auch so durchzusetzen, wie sie das Finanzministerium im Vorblatt vorgegeben hat: kostenneutral. Die Stunden, die die Frauenbeauftragte damit verbringen soll, ihrem Kontrollauftrag gerecht zu werden, sollen aus einem anderen Topf abgezwackt werden. Holzapfel muß die Zahl seiner Frauenbeauftragten von vier auf dreißig erhöhen. Er verfiel bei der Suche nach freien Kapazitäten auf die stundenweise freigestellten Personalräte, denen er per Verordnung die Deputatstunden kürzen will. Das nun finden diese „eine Unverschämtheit“. Sie argumentieren formal, sie seien nach dem Hessischen Personalvertretungsgesetz gewählt, die Frauenbeauftragten aber, gerade um ihre Position zu stärken, Teil der Verwaltung. Das eine habe, um im Lehrerjargon zu bleiben, mit dem anderen so wenig zu tun, „wie man Äpfel und Birnen voneinander abziehen kann“.
Der Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer macht dem Kultusminister große Vorwürfe. Er wandte sich im Februar „mit großer Empörung“ gegen seinen Dienstherrn und warf ihm vor, „Frauenpolitik auf Kosten der Lehrerpersonalräte zu machen“. Ihr Vorsitzender, Volkmar Preisler, nannte das „geradezu paradox“. Der Zuwachs von Mitbestimmungsrechten auch für die Personalräte durch das neue Gesetz werde durch den Abzug der Arbeitsstunden gleich wieder „kassiert“. Fortschrittliche Gesetze allein, krittelte er, stünden eben nur auf dem Papier, wenn sie gleichzeitig „durch mangelhafte materielle Ausstattung ins Gegenteil verkehrt“ würden.
Minister Holzapfel sitzt zwischen Baum und Borke. Auf der einen Seite protestieren die PersonalrätInnen, auf der anderen wehren sich konservative Elternbeiräte vorab vehement gegen einen von ihnen vermuteten Unterrichtsausfall durch das Gesetz. Dagegen, daß er sich seine Frauenbeauftragten statt dessen aus der Schulverwaltung holt, wandten sich wiederum Lehrerinnen, die sich durch eine Verwaltungsangestellte „nicht repräsentiert“ fühlen. Pressereferentin Karin Drda-Kühn sieht Schwierigkeiten auf Holzapfel zukommen, betont dessen „guten Willen“ und ließ wissen, daß „der Vorschlag zwar da ist, aber noch im Diskussionsstadium“. Der Minister wolle aber auf keinen Fall vom Prinzip der Kostenneutralität abweichen.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte Anfang des Jahres in einer Presseerklärung „zusätzliche Stellen für Frauenbeauftragte“. Die Landesvorsitzende, Gonhild Gerecht, stellte fest, es ginge nicht an, daß Frauenbeauftragte „über das Deputat der Personalräte entlastet“ würden. Bei einem landesweiten Treffen im Januar verfaßten die aufgebrachten ArbeitnehmervertreterInnen eine Resolution an die Landesregierung. Sie verlangten, außer der Finanzierung aus anderen Töpfen, die bisher im Gesetz nicht vorgesehene Mitbestimmung bei der Bestellung der Frauenbeauftragten und eine öffentliche Ausschreibung im Amtsblatt.
Der FDP-Landtagsabgeordnete Kappel nannte das Gesetz „frauenfeindlich“: 26 Stellen seien für die Schulämter gleicher Zahl notwendig, dazu noch einmal so viele Sekretariatsstellen. Jedes der einzelnen Ämter verursache jährlich allein 160.000 Mark Lohnkosten. Im Schulalltag sieht er Schlimmeres kommen. Die einzelnen Behörden werden sich die Arbeitszeit der Frauenbeauftragten, eben kostenneutral, aus den Unterrichtsstunden der LehrerInnen zusammensparen. Dies aber, warnte er, zwinge Mütter, zusätzliche Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu suchen. Gegen eine Kürzung der Deputatstunden im Personalrat hätte er nichts einzuwenden. Die aber sollten dann mehr unterrichten, statt diese Stunden den „unterrichtsfernen“ Frauenbeauftragten abtreten zu müssen.
Der bisher spektakulärste Streit um das Amt der Frauenbeauftragten entbrannte an der Gesamthochschule in Kassel. Präsident Hans Brinckmann hatte die Frauenbeauftragte Gisela Noll im Dezember 1993 abberufen. Er begründete die Entlassung der Frau, die einen Vertrag bis Mitte 1995 hatte, mit dem Hessischen Gleichberechtigungsgesetz. Wegen der nun „erweiterten Aufgaben“ wolle er die Stelle, gegen eine im Gesetz enthaltene Übernahmevorschrift, neu ausschreiben. Die Nichtakademikerin Noll sei nicht imstande, „Fragen des wissenschaftlichen Nachwuchses, der Karrieren von Wissenschaftlerinnen und der Probleme des wissenschaftlichen Arbeitsmarktes“ sachgerecht zu beurteilen.
Frauen protestierten landesweit. Er habe, ließ Brinckmann wissen, eigentlich gar nichts gegen das Gesetz. Er stößt sich allerdings vor allem am Paragraphen 10, der Bestandsaufnahme und Vorlage eines Frauenförderplanes bis Ende September 1994 vorschreibt. Bei Nichteinhaltung droht das Gesetz, daß „in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, keine Einstellungen und Beförderungen vorgenommen werden“. Wird die Zielvorgabe von zwei Jahren nicht eingehalten, dürfen männliche Kandidaten nur noch mit Sonderzustimmung engagiert werden. Das sei, so Brinckmann, vor allem im professoralen Bereich „unerhört schwierig“. Er hatte auch bemängelt, daß sich Professorinnen an der Arbeit des bisherigen Frauenrates nicht beteiligt hätten. Der Frauenrat der Universität reagierte Ende Januar ungehalten. Der Präsident nehme bei seiner „Gesetzesschelte“ „selektiv wahr“. Die Uni-Frauen protestierten, einschließlich Professorinnen, auf einer Vollversammlung und verlangten in einer Resolution die Wiedereinsetzung von Noll. Brinckmann habe sich bei dem Versuch, das neue Gesetz im Vorfeld zu unterlaufen, einen „gravierenden Vertrauensbruch, einen Rechtsbruch und einen Verstoß gegen demokratische Prinzipien“ zuschulden kommen lassen. Sie hatten schon 1993 verlangt, daß die zweijährige Amtsdauer auf künftig vier Jahre verlängert wird. Inzwischen hat auch Frauenministerin Stiewitt den Uni-Präsidenten öffentlich gerügt.
Die Gewerkschaftsfrauen haben sich auch Gedanken gemacht. Sie haben die höheren Dienststellen im Auge, in denen die Karriereleitern vor allem für männliche Kollegen stehen. Eine Frankfurter Lehrerin kritisierte diese Praxis während eines Personalrätetreffens: „Einerseits wird da der eigene Nachwuchs gezüchtet, andererseits kann Mann sich da ganz billig hochdienen und katzbuckeln.“
Birgit Simon leitet das Frauenamt im Wetterau-Kreis. Sie arbeitete am Gesetz mit und hält es „für keine neue Erfindung, aber wir haben jetzt ganz andere Grundlagen, etwas zu verlangen“. In ihrem eigenen Kreis hat sie damit keine Schwierigkeiten. Auch benachbarte Kolleginnen stoßen eher selten auf Barrieren. „Besonders gut ist es“, sagt sie, „wenn wir manchmal feststellen können, daß wir die Quotierung schon erreicht haben.“ Widerstand habe es im Vorfeld nur vereinzelt gegeben. Nur aus der Nobel-Gemeinde Kronberg im Taunus sei bekannt, „daß die die Frauenbeauftragte einen Tag nach Inkrafttreten entlassen haben“. Sie ist optimistisch: „Das ist alles nur eine Frage der Gewöhnung, wie bei vielem, was man vorher nicht wollte.“ Daß CDU und FDP, wie früher angekündigt, gegen das Gesetz klagen werden, glaubt sie nicht mehr: „Niemand braucht sich aufzuregen, wenn die Frauen sowieso schon gefördert werden. Ärger gibt es nur, wenn Männer bevorzugt werden.“ Simon wünscht sich allerdings, daß auch die Hessische Gemeindeordnung im Sinne der Frauenförderung verbessert wird.
Die Landtagsabgeordnete Daniela Wagner ist zwar zuversichtlich, aber: „Das Gesetz steht und fällt mit der Akzeptanz.“ Sie fürchtet eine „Signalwirkung“ der wenigen Negativbeispiele. Da können die MitarbeiterInnen aus dem Frauenministerium sie vorerst beruhigen. „Wir haben“, so Siggi Richter, „bisher erstaunlich viele positive Stimmen.“ Beschwerden und Verstöße seien in Hessen, im Gegensatz zum benachbarten rot- grünen Niedersachsen, „verschwindend gering“.
Bleibt, als größter Brocken, das Kultusministerium. Birgit Simon sieht auch hier „kein wirkliches Problem“. Solche Entscheidungen seien schließlich „auch politisch“. „Und dann gehören sie an den Kabinettstisch.“
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