: Findet die Rasige Haarsimse!
■ Bremens Flora unter der Lupe: Seltene Arten genauestens dokumentiert
Da wandeln Sie so friedlich durch die Wümmeniederung, und dann das: eine Borstige Schuppensimse am Wegesrand! Sie trauen Ihren Augen kaum – schließlich steht das gute Stück auf der Roten Liste – und Sie gucken noch einmal ganz genau hin: Ist es nicht doch eine Rasige Haarsimse, eine Flutende Moorbinse, eine Wasserlinse? Nein, kein Zweifel. Und der neu erstellte „Atlas der gefährdeten und seltenen Farn- und Blütenpflanzen im Land Bremen“ gibt Ihnen recht – dort ist auf über 300 Karten pedantisch genau aufgeführt, wo welches seltene Pflänzlein in Bremen und Bremerhaven noch sein Dasein fristet. Eine soch genaue Kartierung gibt es sonst nirgends.
„Diese Arbeit zeigt, wieviele Kostbarkeiten wir in Bremen noch haben – aber auch, wieviele wir bereits verloren haben“, sagt Michael Werbeck, Leiter der Abteilung Umweltschutz im Umweltressort, das das 600 Seiten dicke Werk (“ein Meilenstein, ein richtiger Knüller“) in Zusammenarbeit mit der Uni Bremen erstellt hat. In den letzten 13 Jahren wurde jeder Quadratmeter des Landes Bremen systematisch auf der Suche nach Pflanzen, die auf der „Roten Liste“ der bedrohten Flora stehen, durchkämmt. Von Menschen, die zwar zu den wenigen gehören, die ein Pflanzenbestimmungsbuch benutzen können, selbiges aber nicht einmal brauchen, um den Flutenden Sellerie von einem Schmalblättrigen Igelkolben zu unterscheiden. Das Ergebnis: Fast die Hälfte aller in Bremen jemals gesichteten 929 Planzenarten sind bereits ausgestorben oder bedroht, insgesamt 138 Arten verschwunden. Und als schutzbedürftig kann heute mehr als ein Drittel der bremischen Flora eingestuft werden.
Die größte Bedeutung haben dabei die bremischen Feuchtwiesen –hier wachsen die meisten gefährdeten Arten. Im Naturschutzgebiet Borgfelder Wümmewiesen zum Beispiel findet sich noch das vom Aussterben bedrohte Sumpf-Läusekraut. Aber auch im Hollerland gedeihen über 30 seltene Pflanzen, und für Weddewarden/Bremerhaven gilt: Hier liegen die letzten Ästuarwiesen des Landes Bremen.
Doch nicht immer heißt es hinaus ins Naturschutzgebiet, um ein seltenes Pflänzlein zu erspähen: „Auch in der Innenstadt oder im Hafen gibt es Seltenheiten“, so Andreas Nagler, einer der beiden Autoren des Pflanzenatlas, der übrigens 1855 das erste mal herausgegeben wurde. Am Osterdeich fristet noch der seltene Knollige Hahnenfuß sein Daein, und wer hätte gedacht, daß sich an die Mauer am Martinianleger sowohl der norddeutsche Streifenfarn als auch die Mauerraute klammern?
Daß mit Erscheinen des Pflanzenatlas auch noch die letzten Areale friedlichen Dahinwachsens von Heerscharen von Hobby-BotanikerInnen gestürmt werden könnten, davor hat Autor Hermann Cordes keine Angst: „Naturschutz kann man nicht betreiben, wenn man die Menschen ausschließt“, findet er. Vielmehr sollen die wachsamen PflanzenliebhaberInnen Bremens auch noch die als verschollen geltende Seekanne ausfindig machen und die Auflistung ständig erweitern. skai
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