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Fans in schiefer Kurvenlage

■ Bei der Renovierung des Weserstadions wollen die Fans des SV Werder als rechtmäßige Bewohner der Ostkurve ein starkes Wörtchen mitreden

An prominenter Unterstützung mangelt es nicht: Otto Rehhagel, Cheftrainer in Bremen, bekannte den Fans: „Ich bin von Natur aus eigentlich auch kein Sitzmensch“, und der große Cesar Luis Minotti aus Maradonaland ermunterte die Bremer: „Als ich jung war, wollte man mir im Stadion das Rauchen verbieten. Seitdem rauche ich. Bleibt auch Ihr standhaft. “

Es geht aber weder um's Sitzen noch um's Rauchen, sondern um's Stehen, genauer: Um die Stehplätze der Ostkurve. 1992 war die Renovierung des Weser-Stadions von Norden wie von Süden her bis an die Ostkurve der Werderfans herangekrochen. Die feierliche Inbetriebnahme des vorerst letzten Bauabschnittes, der Südtribüne, mit bis dato in der Bundesrepublik einmaligen Logenplätzen versetzte die grünweißen Fans in Angst um ihre angestammten Stehplätze: Die Kräne der Baufirmen waren drauf und dran, dem Sitzunwesen auch in der heiligen Ostkurve zum Durchbruch zu verhelfen. Diese Entwicklung würde sich rein buchhalterisch rechnen. Werder-Willi Lemke hatte mit den Logen geschäftlich ein echtes Schnäppchen gemacht: Sie nahmen nur 0,8% der Stadionkapazität ein, brachten aber 20% der Zuschauereinnahmen. Die Tribüne als Bolzplatz für Bonzen?

Außerdem kurvte eine zweite Diskussion durch die Ovale der Stadien: Zwei Katastrophen im Brüsseler Heysel-Stadion (1985: 39 Tote) und im englischen Sheffield (1989: 96 Tote) hatten eine umfangreiche Sicherheitsdebatte ausgelöst und beim europäischen und beim Weltfußball-Verband strenge Auflagen provoziert, an denen die Stadionbetreiber noch heute knabbern: Ab 1998 dürfen internationale Spiele nur noch von Sitzplätzen aus beobachtet werden. Entweder die Stadien bauen bis dahin um, oder die Stehplätze müssen frei bleiben, was zu einem erheblichen Einnahmeverlust führen würde.

Im Bremer Weserstadion sieht das zum Beispiel so aus: In der Westkurve sind derzeit noch 3.000 Stehplätze, in der Nordgeraden 5.500, in der Ostkurve derzeit 9.700. Bereits heute darf der SV Werder bei „Spielen mit erhöhtem Risiko“ (und dazu gehören internationale Spiele mit mehr als 25.000 Zuschauern) nur noch 20% Stehplatzkarten verkaufen. Bei 40.000 Besuchern sind das 8.000 Stehplätze, bleiben rund 10.000 freie Plätze. Bei einem Kartenpreis von durchschnittlich 15 Mark sind das 150.000 Mark Einnahmeverlust.

Außerdem, so argumentiert Reinhard Hoffmann, Geschäftsführer der für die Vermarktung des Weserstadions zuständigen Sport und Freizeit GmbH, würden an Bremen sämtliche Spiele der Nationalmannschaft vorbeigehen, wenn es nicht schleunigst umgebaut würde. Und: die Bundesrepublik hat sich für die Austragung der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2006 beworben. Das Bremer Hochbauamt hat derzeit ein Modell parat, nach dem die zu bauende Ostkurve mit 3.500 Stehplätzen und 6.000 Sitzplätzen ausgestattet würde.

Am liebsten wäre dem Geschäftsführer aber eine Kombi-Lösung, bei der je nach Bedarf Sitz- und Stehplätze auf- bzw. auch wieder abgebaut werden könnten. Aber weil der Stadt Bremen als Stadioneigner schon für die billige Lösung (25 Mio.) des Hochbauamtes das Geld fehlt, wagt er gar nicht, an sowas zu denken. Zumal da auch noch technische Probleme ungelöst sind: Die unterschiedliche Stufenhöhe bei Sitz- und Stehplätzen, die Montage von Drängelgittern etc. Welche Lösung auch immer dabei herauskommen mag, sie wird noch auf sich warten lassen: Die Bremer Koalition aus SPD, FDP und Grünen hat sich den Ausbau des Stadions bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 1995 schon längst von der Backe geputzt.

Die Fußball-Fans sind diesmal ausnahmsweise nicht böse darüber. Denn wenn sie auch derzeit als einzige Zuschauergruppe bei Spielen des SV Werder ungeschützt im Regen stehen: Der Status Quo ist ihnen lieber als die Sitzplatzkurve. Fußball ist für die grünweiß-gestylten Werder-Anhänger Jubel, Trubel, Heiterkeit, und das geht nicht im Sitzen.

„Sitzen ist für'n Arsch“ heißt deshalb auch die Kampagne, mit der die Fans seit drei Jahren wie die Bewohner des gallischen Dorfes gegen die „Yuppisierung“ ihrer Kurve angehen. Seit 1991 gibt es im Bremer Fanprojekt eine Gruppe von Jugendlichen, die die Ostkurve zu Fansache gemacht und eigene Vorstellungen entwickelt haben. Im Maßstab 1:50 entstand im Modell der Prototyp einer freizeitgerechten Ostkurve, die den Jugendlichen auch Raum für Aktionen vor dem Anpfiff oder nach dem Abpfiff boten. Das Fußballstadion sollte eine Art Erlebnisraum für Jugendliche, das Innenleben der Kurve entsprechend mit Räumen ausgestattet werden. Und auch die Stehbedürfnisse der Fans waren im Modell befriedigt. Auf der Stammseite der Kurve sollten die Stehplätze über die ganze Breite der Kurve hochgezogen werden, in Richtung Südtribüne sollten im unteren Bereich Stehplätze (insgesamt 3.000), im oberen Sitzplätze gebaut werden. Ein Clou des Modells: Innen- und Außenleben in der Kurve waren durch direkte Zugänge miteinander verbunden, die Infrastruktur für Freizeitaktivitäten sollte auch gegenüber dem Stadtteil offen sein: Der Versammlungssaal für 800 Leute, die Gruppenräume, das Fotolabor, etc.

Als das Modell fertig war, stolze drei Meter breit und 1,50 Meter in der Tiefe, da fuhren die Fans wie auch das Fanprojekt von allen Seiten Lob ein. Passiert ist bislang aber nichts. Denn noch im gleichen Jahr 1991 fand eine Bürgerschaftswahl statt, und als sich die Regierung dann gefunden hatte, war der Umbau der Ostkurve als eine der ersten Maßnahmen der Ampel-Regierung überhaupt vom Tisch und mit ihr alle Versprechen, den Fans den Platz in der neuen Kurve zu sichern.

Mittlerweile gibt es wieder andere Gedanken, die hin und her gedreht werden. Der SV Werder sollte das Stadion kaufen und mit einem geschäftlich attraktiven Ausbau (wie beim Sporthep in der Westkurve) eine langfristige Finanzierung managen. In der SPD wird sogar darüber diskutiert, ob der Verein nicht das benachbarte und zufällig auch etwas marode Stadionbad mit in eine Lösung des Ostkurven-Problems aufgenommen werden könnte. Spruchreif ist aber noch nichts. taz

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