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Der Blick in den Time-Tunnel

■ Minimalkunst der unterhaltsameren Sorte: Sieben Künstlerinnen und Künstler zeigen „Übergangsräume“ in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst

Am Ende war der weiße Würfel. Der hermetisch geschlossene Kubus gilt bis heute als Inbegriff der Konzept- und Minimalkunst der 70er Jahre: Abweisend gegenüber dem Rest der Kunstgeschichte, deren Summe der Würfel praktisch umfaßt und gleichzeitig auslöscht; abweisend aber auch gegenüber allen Kritikern, und dem Rest des Publikums sowieso. Leichtes Frösteln erfährt noch heute, wer z.B. im Neuen Museum Weserburg mit den reinweißen Kuben von Sol LeWitt konfrontiert wird, dem Gründervater der Konzeptkunst. Wie dessen Würfel zu knacken ist, demonstieren nun die Kinder und Kindeskinder LeWitts: In einer kleinen, ausgesuchten Schau in der GAK (Gesellschaft für aktuelle Kunst), also direkt gegenüber der aktuellen LeWitt-Retrospektive, zeigen sieben junge Künstlerinnen und Künstler, wie sie – nach dem Ende aller Kunst – den Raum nun nochmal ganz von vorn aufbauen.

Und zwar in aller Ruhe. Von den pathetischen Gesten der Konzeptriesen hat man sich abgesetzt. Die geringsten Mittel sind z.B. Monika Brandmeier gerade recht, um auf den denkbar einfachsten Begriff von „Raum“ zu kommen: ein Blatt, in die Ecke zwischen Wand und Boden gelegt - fertig ist die Laube. Ein Band, mehrfach gefaltet und dann halbfertig auf den nackten Galerieboden gestellt: ein bescheidener Raum im Raum, der den Charme des Unfertigen verspüht.

Brandmeiers Objekte sind vielleicht typisch für viele der hier gezeigten Ansätze. Der Ausstellungstitel „Übergangsräume“ klingt zwar ziemlich allgefällig; aber es geht den Künstlerinnen und Künstlern tatsächlich oft um Übergangslösungen: zwischen Fläche und Raum; zwischen Objekt, Architektur und Möbel; zwischen Innen- und Außenraum. Keine monumentalen Klötze, sondern zumeist feingliedrige und -sinnige Konstruktionen. Die Erbengeneration der Konzeptualisten tritt eben „längst nicht so dogmatisch“ auf, sagt die GAK-Leiterin Eva Schmidt. Freilich müssen sich die Nachkommen auch nicht mehr von der Last der kompletten Kunstgeschichte freistrampeln. LeWitts Kuben haben schließlich den Weg erst freigeräumt, auf dem seine Nachfolger nun nach Belieben wandeln dürfen. In seinen besten Arbeiten würfelte LeWitt all die Möglichkeiten aus, einen einfachen, stereometrischen Raum zu konstruieren; nichts wird ausgelassen; alle Ergebnisse stehen gleichberechtigt nebeneinander. Sich zwischen diesen zu entscheiden, sie auszuprobieren - diese Arbeit haben nun wieder die Jüngeren.

Das ist allerdings keine allzu systematische Arbeit, wie auch die GAK-Ausstellung kein systematischer Katalog der jüngeren Plastik sein will. Eva Schmidt hat eher eine spielerische, „assoziative Zusammenstellung“ gewählt. Und so berühren sich die halbfertigen Kisten und Kästen an allen möglichen Ecken und Kanten, ganz leicht.

Brandmeiers Miniaturräume z.B. winken recht heftig den Objekten des benachbarten Wolfgang Wagner-Kutschker zu. Auch bei ihm präsentiert sich ein ziemlich offener Raumbegriff: Keine seiner schwarzen Kisten ist so richtig dicht; sämtliche Wände schief verrutscht; es existiert kein Oben und kein Unten mehr in diesem Raum. Bei Brandmeier scheint alles noch in zaghaftem Aufbau begriffen; Wagner-Kutschkers Kisten hingegen bieten ein Bild der Zerstörung - hier ist die Welt aus den Fugen; hier haben sich die Koordinaten unserer alltäglichen Wahrnehmung verflüchtigt. Was aber womöglich vielleicht erzdidaktisch und nach Wahrnehmungsschule klingt, wird hier mal in recht lockerem, mithin heiterem Ton vermittelt - auch das ist ein Unterschied zu den gestrengen Vätern der Konzeptkunst.

Am ganz anderen Ende setzt hingegen Jürgen Albrecht an, um dem geschundenen Raum neue Dimensionen zu verleihen. Dort nämlich, wo LeWitt & Konsorten den Raum erst ins Chaos, dann ins blanke Nichts auflösten, den Innenraum nach Außen kehrend. Den Rest haben dann jene besorgt, die den unermeßlichen Spielmöglichkeiten der sog. Neuen Technik anheimfielen und den Raum in allen 28 Dimensionen, Formen und Farben durchkasperten. Um eine atemberaubende Raumsimulation zu erzeugen, benötigt Albrecht hingegen nur eine einfache Pappschachtel: In der entfaltet sich, wenn man nur lang genugt hineinschaut, ein schwer faßbarer Raumeindruck, irgendwo zwischen idealer Renaissance-Architektur, modernem Siedlungsbau und Time-Tunnel. Albrechts Kartons sind gänzlich gegen den Galerieraum abgeschottet; dennoch strahlen sie - wie alle Arbeiten in der GAK - eine einladende Offenheit aus, die dem hermetischen, alten Würfel ganz und gar entgegensteht. Thomas Wolff

„Übergangsräume“, bis 4. Mai in der GAK, Teerhof 21

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