: Steilshooper Video-Bombe
■ War der Anschlag auf die Gesamtschule inszeniert? Von Kaija Kutter
„Was die Medien den Schülern hier antun, kann man nicht wieder gutmachen“. Schulleiter Dieter Maibaum ist erbost. Nacheinander führte er gestern einer Auswahl von jüngeren und älteren Schülern Journalisten vor, die zum Gespräch geladen waren. Sollen sie den Pressevertretern sagen, wie sie sich fühlen als Kinder, die in einem Stadtteil aufwachsen und zur Schule gehen, der gerade öffentlich zum Sündenbock gestempelt wird.
„Steilshoop“ als Adresse, das bedeutet Schwierigkeiten, ein Praktikum oder einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Es bedeutet, „angestarrt zu werden, als wäre ich ein bombender Terrorist“, erzählt Oberstufenschüler Christoph. „Wenn ich Leute von außerhalb kennenlerne, wundern die sich, daß ich nicht tot bin.“
Sonntag nacht explodierte an der Rückwand des Mittelstufen-Clubs der Gesamtschule eine Rohrbombe. Fenster waren längst wieder eingesetzt, die Möbel geradegerückt, die Scherben weggefegt, da erschien am Dienstag Springers Bild mit einer Live-Reportage, Fotos vom Anschlag, Fotos vom Bombenbasteln, der Attentäter von hinten. Der Zeitung war ein Videofilm angedient worden, das einer Agentur anonym zugespielt worden sein soll. Da griffen dann auch noch mal die Privatsender zu, Live-Reportage aus dem Ghetto mit Videoschnipseln von der Explosion.
„Durch dieses Video ist das alles erst richtig ins Rollen gekommen“, sagt der Zehntklässler Roland. Am liebsten würde er selbst einen Film drehen, wie es wirklich ist, das Leben in diesem Stadtteil, das gute Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern, die begrünten Innenhöfe, die Nachbarschaftskontakte, die vielen Initiativen der Bewohner - und dann im Offenen Kanal ausstrahlen: „Vielleicht sehen das ja ein paar Leute“.
Inzwischen hat die Kripo das Video, Lehrer durften den Tatmitschnitt ansehen. „Das war kein Schüler unserer Schule“, erklärt Dieter Maibaum. „1 Meter 90 groß, wir haben keinen Schüler von dieser Statur“. Die Aufnahmen erschienen den Steilshooper Pädagogen ungewöhnlich professionell. Keine Wackelbilder, ausgewählte Motive von Graffities, gute Standfotos. Bevor die Kamera den weglaufenden Täter verfolgt, gibt es einen Schnitt. Ein böser Verdacht macht sich breit: wurde die Tat inszeniert, um sie an Medien zu verkaufen? Die Schüler berichten von Boulevardjournalisten, die fünfstellige Summen dafür bieten, „wenn ihr was macht, und wir darüber berichten“.
Michael Brucker, Mitinhaber der Presseagentur Telepress, bestreitet, ein pekuniäres Interesse an der Weitergabe des Bandes gehabt zu haben. Im Gegenteil. Nachdem man das Video vor der Tür gefunden habe, sei die Redaktion nach „gründlicher Diskussion“ zu dem Schluß gekommen, daß man „aufrütteln muß“, zeigen muß, was passiert, „wenn man eine große Gruppe von jungen Menschen ohne Perspektive in diesen Betonblöcken unterbringt“. Zeigen statt verschweigen.
Aber auch Bruckner ist das Material nicht geheuer. Nicht das Video, die dazugelieferten Fotos vom Bau der Bombe seien von „ausgesprochen guter Qualität“, sagt er. Daß dieses brisante Paket ausgerechnet bei Telepress landete, erklärt sich Brucker dadurch, „daß ein freier Fotograf der Agentur, der selbst in Steilshoop wohnt, Verbindungen zu den Ghetto-Kings hat“. Jene legendäre Jugendgang, von der es heißt, daß es sie nicht mehr oder schon wieder gibt und deren Namen stets genannt wird, wenn in Steilshoop etwas passiert. Gegen besagten Fotografen, und nicht gegen die Agentur, so betont Brucker, richteten sich auch die Ermittlungen der Kripo, die die Laborräume am Donnerstag durchsuchte. „Wir hatten dort Material vermutet. Das hat sich nicht bewahrheitet“, sagt Polizeisprecher Jantosch.
Also alles durchgestanden für Telepress und Co. Vielleicht. Der Weiterverkauf des Videos bleibt moralisch umstritten. „Wenn man diesen Leuten ein Forum bietet, wirkt es tatfördernd“, sagt Polizeisprecher Hartmut Kapp. Und auch die Schüler antworten tapfer, ihr Ärger über Vorurteile sei größer als die Angst vor neuen Bomben. Die gingen bisher nur nachts hoch und verletzten niemanden – nichts wäre schlimmer als das.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen