: „Liebe deine Feinde, und du hast gewonnen“
■ Nelson Mandela, dem letzten großen afrikanischen Politiker dieses Jahrhunderts, ist es zu verdanken, daß Zivilität und Optimismus den Transformationsprozeß beherrschen
An ihm verzweifelt Pieter-Dirk Uys. Keiner aus den Reihen der alten herrschenden Klasse, aber auch keine(r) der „Neuen“ entkommt dem gnadenlosen Sarkasmus des südafrikanischen Kabarettisten: keine Winnie Mandela, kein de Klerk, kein Terre Blanche. Nur einer: „Er ist heiliger als Mutter Theresa“, sagt Uys, und er meint es ernst. Kein Skandal, kein schwerwiegender Fehler, der jetzt das Licht der Öffentlichkeit erblickte – nichts. Nelson Mandela, 75jähriger zukünftiger Staatspräsident der Republik Südafrika, ist auf eine Art und Weise integer, wie wir es in unseren politischen Landschaften derzeit selten erleben.
Zu schön, um wahr zu sein? Es kommt einem Wunder gleich, wie Mandela es sich zur Vorliebe macht, den Dialog mit seinen Feinden zu führen. Südafrika schien in seiner Zuspitzung auf das Unversöhnliche zwischen Schwarz und Weiß immer bloßes Emblem für Abgrund und blutigen Untergang. Nur Mandela ist es zu verdanken, daß Zivilität und Optimismus immer Motor für den politischen Transformationsprozeß waren.
Woher nahm und nimmt dieser Mann, der 27 lange Jahre im Gefängnis war, seine Kraft? Die Politisierung erlebte der junge Anwalt im Johannesburg der späten vierziger Jahre, in dem schwarze Urbanität und Kultur eine Blüte erlebten, die durch die Rassentrennungspolitik dann brutalst vernichtet wurde. Mandela und seine Partei, der ANC, fühlten sich in ihrem Kampf gegen Apartheid verbunden mit all jenen afrikanischen „Brüdern“, die die Unabhängigkeit ihrer Länder vorbereiteten, hießen sie nun Kwame Nkrumah, Julius Nyerere oder Patrice Lumumba: Millionen einfacher Menschen, dies hat der polnische Afrika-Journalist Ryszard Kapuscinski in seinen Reportagen wunderbar beschrieben, sahen in ihnen ihre eigene Würde, ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft verkörpert. Eine ähnliche Aura umgibt Mandela noch heute: Er ist ein „Tata“, ein Vater.
Von Beginn an war der ANC eine von der städtischen Intelligenz getragene Bewegung. Auch spätere ANC-Vertreter im Exil, etwa Mandelas Freund und Alter ego, Oliver Tambo, waren durchdrungen von einem liberalen, originär britisch geprägten Geist. Der deutsche Schriftsteller Hans-Christoph Buch machte sich beim ersten Geheimentreffen der Buren mit ANC-Vertretern in Dakar Mitte der Achtziger über die locker aus der Hüfte schwingenden afrikanischen Weißen und die in Anzug und Krawatte „steif“ wirkenden Schwarzen lustig. Contenance ist eben auch eine Kunst!
Wie jedoch läßt sich der lange Atem Mandelas erklären? Wie ertrug er Isolationshaft, Hungerstreiks und Repression auf der Gefangeneninsel Robben Island? „Ich habe gegen weiße Vorherrschaft und ich habe gegen schwarze Vorherrschaft gekämpft. Immer glaubte ich ans Ideal einer demokratischen und freien Gesellschaft, in der alle Menschen in Harmonie und mit gleichen Chancen zusammenleben können.“ Dies sagte Nelson Mandela 1964, als man ihn zu Lebenslänglich verurteilte. Er wiederholte die Worte 1991 bei seiner Freilassung.
Starker Wille? Glaube an die gute, gerechte Sache? Das Ziel immer vor Augen? Große Worte, aber man hört sie von vielen der alten und auch jungen Kämpen, die die Jahre mit Mandela verbrachten. Robben Island wurde zum think tank, zur Gelehrtenrepublik. Draußen in der Welt kamen und gingen die großen afrikanischen Führer, im eigenen Land entstand eine neue starke Oppositionsbewegung. Und mit dem Sozialismus, ja mit dem stand es auch nicht mehr so gut. Drinnen überzeugte Mandela besonders die Jungen, daß man auf die Revolution nicht mehr warten solle, sondern mit dem Feind verhandeln. Erster Schritt zur Freilassung aller Gefangenen war sicherlich das geheime Treffen Mandelas mit dem damaligen Premier P.W. Botha (1989), den er übrigens letztens auch besuchte – wie er auch zu seinen Gefängniswärtern gute Kontakte pflegt. „Liebe deine Feinde“, so Kabarettist Uys, „und du hast gewonnen!“
Mandela ist auf eigentümliche Art und Weise immer gleich: freundlich, distinguiert, bestimmt, ja auch steif, obwohl er nie Leerformeln spricht. Selbst Reporter, die ihn monatelang begleiteten, entdeckten keinen anderen Menschen hinter dem Politiker. Vielleicht gibt es keinen anderen Mandela. Für Breyten Breytenbach, den bekannten südafrikanischen Schriftsteller, ist Mandela eine tragische Figur. Er sei, so schreibt der Autor in seinem neuesten Buch „Return to Paradise“, „ein ewiger Gefangener“: der Weißen, seiner Ideen, des Systems, der Welt?
In Südafrika wurde zum erstenmal frei gewählt, irgendwie ist das auch revolutionär. Die letzten Tage waren kathartisch. Nkrumah, Nyerere und Lumumba sind tot. Nelson Mandela, der letzte große Politiker Afrikas, aber lebt und regiert. Südafrika war eben immer anders. Andrea Seibel
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