: Trinkhalle, Pißecke, Wartehäuschen
Der Künstler Dennis Adams zeigt „Trans/Actions“ im Antwerpener MUHKA ■ Von Jochen Becker
Da wäre man gerne dabeigewesen, als der Künstler-im-öffentlichen-Raum und Wartehäuschen- Verarbeiter Dennis Adams und Jean-Claude Decaux, Erfinder der nach ihm benannten Automatenklos und Quasi-Monopolist urbanen Mobiliars, 1992 in Marseille aufeinandertrafen. Haben sie sich über das Blaulicht in den neuen Toiletten unterhalten, bei dessen Schein Fixer ihre Venen nicht mehr finden? Oder darüber, wie Dennis Adams in Marseille eine Decaux-Bushaltestelle als Projektionsfläche umnutzte, um im populären Hafenbereich auf die touristisch ausgeblendeten Sozialbrennpunkte der Hochhausburgen weiter nördlich hinzuweisen?
J.-C.-Decaux-Objekte zahlen sich aus durch rückbeleuchtete Werbetransparente; Adams-Arbeiten nutzen diese Werbeflächen zur Plazierung mehr oder minder verschütteter Sozialgeschichte, die allerdings – wie im Falle der jetzigen Ausstellung in Antwerpen – von Degussa, Philip Morris, Winterthur Versicherung, Kredietbank und Belgoposter unübersehbar mitfinanziert werden. Die belgischen Kunstinstitute – denn auch in Brüssel ist es kein Deut anders als in Bonn, Berlin oder anderswo – müssen ziemlich in den Miesen stecken angesichts der Penetranz, mit der die Sponsoren sich kenntlich machen können: Hier holt die Werbung den Künstler wieder ein, der sich ihrer Reklameträger bedienen möchte.
Abseits der zentraltouristischen Route ist die Kulturhauptstadt Europas vom vergangenen Jahr der Vorposten eines neuen Sozialverfalls, den man ansonsten in Belfast, Lyon oder Sankt Petersburg antrifft. Ein riesiger Platz zwischen dem Antwerpener Museum für zeitgenössische Kunst MUHKA und dem der Schönen Künste liegt brach und endet in einem ungepflasterten Nichts aus Erde, Unkraut und Müll. Früher waren hier Quai-Anlagen, doch zur ersten Weltausstellung 1889 wurde das Becken zugeschüttet und mit Kopfsteinen gepflastert. Straßencafés, flämische Häuser mit ihren einladend großen Fensterflächen und vereinzelte Stadtverwaltungsbauten säumen nun den nur lose gefüllten Parkplatz, von dem aus man über den nahen Autobahnring schnell entfliehen kann: Grunge City, unheimliche Hauptstadt Zentraleuropas.
Hier regiert der „Vlaams Blok“ mit einer Stimmenzahl, die in etwa der der Migranten in dieser Hafenstadt entspräche, dürften sie wählen. So nennt Dennis Adams seine für Antwerpen entwickelte Arbeit „Einer von Vier“; ein gebräuchlicher Slogan, der das lokale Wählerverhältnis für die Neonazis wiedergibt. Drei der in Reihe aufgeständerten Werbeplakate befinden sich innerhalb des Museums, mit der Vorderseite zur Wand; das vierte Superposter steht gut sichtbar draußen an einer vielbefahrenen Straße, von den anderen durch das Fenster getrennt. „Als de mens goed is voor het water, is het water goed voor de mens – SPA Natuurlijk Mineraalwater“ (Wie der Mensch gut ist für das Wasser, ist das Wasser gut für den Menschen – SPA Natürliches Mineralwasser) prangt in weit sichtbaren Lettern auf dem monströsen Foto eines Fötus, beileibe keine polemische Erfindung von Adams, sondern in dieser Form landesweit durch die Firma Belgoposter plakatiert. Das Zeigen eines überdimensionalen Fötus ohne den Kontext von Frau und Geburt aber ist Wasser auf den Mühlen der Abtreibungsgegner: Belgische „Lebensschützer“ sehen in dieser scheinbaren Offensichtlichkeit des „ungeborenen Lebens“ – hier noch versehen mit dem schriftlichen Zusatz des „Natürlichen“ – sogleich Mord an einem Individuum („mens“). Mit der in Belgien heftig geführten Abtreibungsdebatte korrespondiert auch Adams' zweite Arbeit, wobei in einem Pissoir ein rot leuchtendes Groß-Dia die Montage eines umgedrehten Wasserglases mit dem Werbespruch „Kinder, Küche, Kirche“ des „Vlaams Blok“ zeigt. Adams' Doppel-Installation signalisiert so den einleuchtenden Zusammenhang zwischen „Lebensschutz“, Unterwerfung der Frauen unters patriarchale KKK und regionalistisch sich tarnendem Rassismus.
Im umfassenden Katalog bemühen sich die Autoren redlich, Dennis Adams einerseits in die Familie der polit-öffentlichen Hans Haackes, Jenny Holzers und Alfredo Jaars einzugliedern, andererseits seine Eigenständigkeit und die besondere innere Gebrochenheit der Arbeiten („never without double meanings“) zu betonen. Get the message, aber um die Ecke, bitte. Entsprechend werden die eingesetzten Bilder ineinander gespiegelt, gedoppelt, und müssen zumeist ohne Textbeigabe auskommen. Für ein angestrebtes Anderssein als die „Advokaten/Illustratoren der Neuen Politischen Korrektheit“ halten laut Katalog Adams' mit Leuchtkästen ausgestattete Straßen-Urinoirs her, die – ganz unkorrekt – nun mal allein Männern zugänglich seien.
In anderer Weise problematisch scheint mir da der Entwurf einer Frankfurter „Trinkhalle für einen Gastarbeiter“ (beliebter Männer!- Treff), bestehend aus zwei sich berührenden Betonzylindern. Auf dem Kiosk, der zur Pacht einem ausgewanderten Osteuropäer angeboten werden soll, befindet sich laut Modell direkt gegenüber der Verkaufstheke ein hochvergrößertes Foto vom Kopf des Kioskbetreibers. Abgesehen davon, daß der arme Mann tagtäglich in seine tellergroßen Augen blicken muß, während die Kunden sich für ihre Frankfurter Rundschau umständlich an den Zylindern vorbeidrängeln, ist diese Form des Dem- „Gastarbeiter“-was-Gutes-tun- Wollen womöglich eher kontraproduktiv. Warum soll diese Trinkhalle „für einen Gastarbeiter“ (im Antwerpener Katalog fiel der joviale Zusatz weg) das befremdliche Anderssein herausstellen, anstatt dies als pure Selbstverständlichkeit zu erachten? Zudem beschreibt Adams die trickreiche Umwandlung des Werbeträgers in ein öffentliches Kunstwerk, ohne dabei zu berücksichtigen, daß ein realer Kiosk durch seine bunten Titelseiten im Verkaufsdisplay, aber auch dank Wimpel, Zigaretten-Leuchtreklamen und aktueller Werbeposter nie den in seinem Modell konzipierten Purismus wird einhalten können.
So wirkt auch die in einem Saal des frisch renovierten MUHKA aufgesockelte Sammlung der Modelle seiner Bushaltestellen, Urinoirs und Verkaufsstände plötzlich wie Kleinplastiken, die sauber in Aluminium, glattgeschliffenem Holz, Plexiglas und Neonlicht gefertigt wurden. Gerade als Modellbau erinnern die Stadtmöbel von Dennis Adams, aber auch seine speziell fürs Museum jüngst konzipierten Bankschalter-Foto-Objekte, an Dan Grahams selbstgenügsame und gleichfalls mit halbtransparenten Spiegeln arbeitenden Pavillons: Minimal art im offenen Raum trotz Anleihen bei Dokumentarfotografie, Grafikdesign, Werbung oder Architektur. Doch möglicherweise behauptet sich gerade jene ungewohnt sorgsame und etwas befremdliche Gestaltung der Objekte inmitten eines städtischen Umfeldes sozialer Unachtsamkeit.
Dennis Adams: „Trans/Actions“. Bis 29. Mai im MUHKA (Museum van Hedendaagse Kunst Antwerpen). Der englisch-flämisch-wallonische Katalog gibt einen brauchbaren Überblick über die Arbeiten der letzten zehn Jahre. Der Frankfurter Portikus hat u.a. zur „Trinkhalle“ den deutsch-englischen Katalog „Der Müll, ( ) und der Tod“ herausgegeben.
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