: Der Clip zum Streichquartett
■ Vor der Aufführung seiner Video-Oper „Pandora“: Detlef Heusinger über die neue Theatralik in der neuen Musik
Die heurige „Pro Musica Nova“ steckt voller Theater. Im Dom erklingt ein „Gesamtkunstwerk“ aus Musik, Licht und Architektur, es gibt allerhand Tanz und Bewegung, das mindeste ist schon, daß die Musiker dramatisch im Raum verteilt sind. Und von dem Komponisten Detlef Heusinger, aufgewachsen in Bremen, erleben wir heute abend eine „Video-Oper“ für Streichquartett und selbstgedrehte Filme auf drei Bildschirmen. Die taz fragte Heusinger, was uns das alles sagen will.
Wieso kommt denn jetzt plötzlich so viel Bewegung in die Musik? Früher hätte man sich das als Firlefanz versagt.
Es gibt eine Menge Komponisten, die aus dieser Isolation ausbrechen wollen, indem sie sich auch mit anderen Künsten befassen. Sowas ähnliches gab's um die Jahrhundertwende schon mal mit dem Drang zum Gesamtkunstwerk, als man mit Düften arbeitete und Skrjabin das Farbenklavier erfand.
Ist das nicht auch ein bißchen Werben ums verlorene Publikum?
Das kann schon auch sein. Was mich betrifft: Ich hoffe, daß einige meiner Werke den hehren adornitischen Ansprüchen an die absolute Musik genügen, ich nehme aber auch zur Kenntnis, wie wichtig das Fernsehen geworden ist, und ich denke, daß nicht nur Popgrößen sich mit den Möglichkeiten des Videoclips beschäftigen dürfen.
Ihr Kollege Heiner Goebbels sagte mal, wer von Avantgarde reden wolle, müsse von Prince reden. Das sei noch einer, dem ständig Neues einfällt, ohne daß seine Musik an Allgemeingültigkeit verliert.
So würde ich das nicht sehen. Mit der fortgeschrittenen Musik war's doch immer so, nehmen Sie damals die Fürstenhöfe, daß sich erst einmal nur die Leute mit einer gewissen Vorbildung dafür erwärmen konnten. Daß diese Vorbildung heute ausstirbt, ist natürlich tragisch.
Ist das nicht ein bißchen defensiv?
Na gut, man muß schon auch sagen, daß die Komponisten da beteiligt waren. Die waren in den Sechzigern so damit beschäftigt, den Strukturen des Serialismus genüge zu tun, daß sie ein Publikum nur gestört hätte. Aber das ist ja nicht mehr so.
Heute dagegen ist geradezu eine neue Romantik ausgebrochen, ein Schwelgen in Klängen und spirituellen Inszenierungen. Ist das jetzt die populärere Form der Abkehr von der Welt?
Das weiß ich nicht. Wenn Sie es aber eine neue Innerlichkeit nennen, dann bin ich einverstanden. Es gibt aber auch ganz andere, auch gegenläufige Tendenzen. Der Tiergarten des Herrn ist groß.
Heute abend hören wir Ihre „Pandora“. Nun ist ja die Geschichte von der Pandora, aus deren „Büchse“ alles Verderben kommt, einer der schwerwiegendsten Menschheitsmythen überhaupt. Wieso haben Sie sich das auf den Buckel geladen?
Ich bin ja schon lange einer Art Griechenfetischismus verfallen, schon allein wegen des Bilderreichtums dieser Mythologie. Das Pandora-Motiv hat mich gereizt, weil sich in ihm der Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat bemerkbar macht, der Übergang auch zum Stigmatisieren des Weiblichen. Aber natürlich ist das ein Stoff, den man nicht in zwei, drei Wochen abhandeln darf. Ich habe dreieinhalb Jahre lang sowas wie Mythenrecherche betrieben, womit ich vor allem auch philosophische Studien meine, und dann erst sind wir nach Kroatien gefahren, um diese ganze Pandorawelt bildnerisch herzustellen...
Ins Kriegsgebiet?
Nicht direkt. Wir haben in einem Amphitheater in Tuzla gedreht, in einem Colosseum, überall wo es nach Antike aussah. Wir haben einfach den Vorteil genutzt, daß es dort zur Zeit keinerlei Touristen gibt. Deshalb konnten wir arbeiten, ganz als hätten wir das Gelände gemietet. Da ist man natürlich als Filmemacher, ohne es zu beabsichtigen, fast ein Kriegsprofiteur. Aber eigentlich sind wir da hingefahren, um uns mit dieser kriegerischen Situation auseinanderzusetzen. Die hat ja, gerade was die Massenvergewaltigungen betrifft, mit dem alten Pandora-Mythos schon noch zu tun. Wir haben aber dann tunlichst darauf verzichtet, es wäre mir wie eine Ästhetisierung dieses Schreckens vorgekommen. Jetzt entnehmen wir die Kriegsbilder direkt dem Fernsehen.
Und Ihr Streichquartett ist dann die Musik zum Film?
Nein. Erst kam der Film, dann hab ich die Musik geschrieben, und dann haben wir nach der Musik den Film geschnitten.
Nun hören wir da erstmals seit langem wieder eines Ihrer Werke in Bremen. Dabei sind Sie ja eigentlich hier aufgewachsen. Könnten sie sich vorstellen, eines Tages wieder zurückzukehren?
Naja, wenn man vom Komponieren leben will, muß man vor allem auf Achse sein, schon weil die Beschäftigungsmöglichkeiten recht rar sind. Ich glaube, ich habe inzwischen in zwanzig Städten gelebt. Das hat immerhin den Vorteil, daß mich mindestens fünf davon als „ihren“ Komponisten betrachten und hie und da fördern, und was wichtiger ist: nicht nur fünf Städte, sondern eben auch fünf Rundfunkanstalten.
Welche Rolle spielt denn überhaupt der Rundfunk beim Einkommen eines deutschen Komponisten?
Ich würde sagen, neunzig Prozent. Die Theater spielen da kaum eine Rolle. Selbst wenn ich in deren Auftrag eine Oper mache, läuft das nur mit dem Rundfunk als Rückendeckung. Die Theater machen momentan nichts anderes mehr als Uraufführungen. Das bringt dem Indendanten Ansehen, bei der Premiere hat man das Haus voller Presse, und danach vergessen sie das Stück, auch wenn es das Publikum gar nicht so sehr verschreckt hat. Auf diese Weise kann sich natürlich schlecht was entwickeln, und es bleibt dabei, daß die Musik der Zeit kaum zu hören ist. Ich erinnere da immer wieder gerne an Beethovens Lehrer, der einmal einem für die damalige Zeit sehr sonderbaren Konzert beigewohnt hat: Es wurden nämlich nur tote Komponisten aufgeführt. Das sei ja schon mal sehr interessant, sagte er hinterher, aber ansonsten sollte man das doch tunlichst lassen. Fragen: Manfred Dworschak
Detlef Heusingers Video-Oper „Pandora“ wird heute abend um 20.30 Uhr in der Kirche Unser Lieben Frauen aufgeführt
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