: Visionen einer Wissenschaft
■ Bremer StudentInnen machten ihr eigenes Symposium über die Kulturwissenschaft
Die Quote der überdurchschnittlich Engagierten am Bremer Studiengang Kulturwissenschaft ist nun amtlich: rund 10 Prozent. Auf diesen bremischen Teilnahmequotienten brachte es nämlich das erste Symposium „Traditionen und Visionen der Kulturwissenschaft“, das am Wochenende an der Uni stattfand. Das besondere daran: Es war ausschließlich von studentischer Seite organisiert worden. Ihre Anliegen: Lobbyarbeit für die eigenen Interessen und Öffentlichkeit gegen professorale „Platzhirsche“.
DozentInnen aus allen Fachbereichen nämlich dominieren heute in der Kulturwissenschaft. „Viele Lehrende kommen aus der Germanistik, der Sozialwissenschaft oder der Philosophie. Dort haben sie ihre Identität gewonnen.“ Aber für die studentischen NewcomerInnen reiche das nicht aus, sagte Carsten Winter, einer der Bremer Organisatoren des Symposiums. Die wollen eine kulturwissenschaftliche Heimat, Interdisziplinarität alleine sei noch kein Programm, müpften die StudentInnen auf. Eine Definition von „Kultur“ müsse her, ein Berufsbild – und eine wendige, lebendige Wissenschaft – denn Kultur ist ein Prozeß.
Dahinter steckt auch der Wunsch, den Rechtfertigungsdruck endlich loszuwerden – ständig müssen KuWis ihre wissenschaftliche Existenzberechtigung erklären. Ihr Dilemma liegt in der jungen Gründungsgeschichte des Fachs. Zwar existiert die Kulturwissenschaft als Studium schon seit 1963, damals in der DDR. Ansonsten sind die Fächer Kulturanthropologie, -management und -wissenschaft aber zumeist Neugründungen. Die gab es in Freiburg, Passau, Lüneburg, Frankfurt/ Oder und Berlin, um nur ein paar Orte zu nennen. In Bremen war es 1985 soweit, als mit der abnehmenden LehrerInnenausbildung personelle Kapazitäten umgeschichtet wurden, so Winter.
Seitdem sind die jungen Studiengänge auf der Suche nach ihrer Identität – und mit ihnen die Studierenden. Dabei wurde die Gesellschaft für Kulturwissenschaft e.V., die Veranstaltungsmutter, bei diesem Symposium von großen Sympathien der Lehrenden begleitet: Alle wesentlichen Studienorte waren mit insgesamt 40 Lehrenden vertreten – und die hatten sogar auf Honorare verzichtet, um gemeinsam mit den 175 StudentInnen aus der ganzen Republik zu diskutieren. Voll des Lobes waren sie bis zur Abschlußveranstaltung: „Ein wichtige Beitrag für ein Profil der neuen Studiengänge“, fand der Dozent Gert Wegmarshaus aus Frankfurt/ Oder und bedankte sich für die die Initiative der StudentInnen.
Profil und Identität – um diese Begriffe kreisten auch die Diskussionen in den Veranstaltungen. Da war viel von Kultur die Rede, von der Medienkultur und den Kulturmedien, von der kulturellen Identität – und von der Identität der KulturwissenschaftlerInnen selbst. In kurzen Vorträgen, ganz wie in soziologischen Seminaren, wurden Welten durchstreift. Im Licht der türkischen Minderheit in Deutschland wurde erhellt, wie „das Fremde der anderen“ mindestens dazu gut ist, das Eigene deutlich zu erkennen. Und während der eine den „vielleicht problematischen, gerade erst angedachten“ Schluß zog, es könne ein „Glück gerade im Fremdsein liegen“, warnte schon der nächste davor, zu sehr das Fremde und zu wenig sich selbst zu betrachten. Auch die KulturwissenschaftlerInnen leben von eigenen Interessen, mahnte der Tübinger Dozent Bernd Warneken. Auch sie müßten sich eingestehen, daß nicht aus jedem häßlichen Forschungsfrosch ein hübscher Prinz wird und daß enttäuschte Hoffnung schnell in Haß umschlägt. Viel Gehör fand er nicht, zumal die größte Sehnsucht sich darauf richtet, überhaupt erst einen fetten Frosch in die Finger zu bekommen. Da war man sich einig: „Wir wollen unsere wirtschaftlichen Interessen in der Ausbildung berücksichtigt wissen“, kam es klipp und klar von den StudentInnen.
Noch herrscht Unsicherheit über den „Königsweg Kulturwissenschaft“ und leise Unzufriedenheit darüber, daß auch die Verantwortlichen auf dieser Tagung wenige praktische Tips auf Lager hatten. Aber verlassen wollte den eingeschlagenen Weg auf diesem Kongreß niemand, im Gegenteil: „In zwei Jahren gibt es das nächste Symposium“. Bis dahin wird die Standortanalyse und die Zukunftsforschung forciert. Berufsfelder werden genauer betrachtet und man will herausfinden, wo die bisherigen AbsolventInnen abgeblieben sind. Höchste Zeit, denn das Ende des Studiums ist ja absehbar. ede
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