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Wie Kohl Geschichte schreiben läßt

■ Gestern wurde in Bonn das "Haus der Geschichte" eröffnet. Auf 4.000 Quadratmetern und mit viel medialem Aufwand entstand auf Helmut Kohls Geheiß ein Eldorado für Sinnhungrige - bruchlose BRD-Geschichte..

Gestern wurde in Bonn das „Haus der Geschichte“ eröffnet. Auf 4.000 Quadratmetern und mit viel medialem Aufwand entstand auf Helmut Kohls Geheiß ein Eldorado für Sinnhungrige – bruchlose BRD-Geschichte light für die ganze Familie.

Wie Kohl Geschichte schreiben läßt

Was keiner der Kontrahenten um die historischen Museumsbauten in den 80er Jahren geahnt hat: die alte Bundesrepublik ist dahin, aufgegangen in die neue und damit auch museumsreif. Gestern nun hat das „Haus der Geschichte“ seine Pforten, nein eigentlich seine Glastüren geöffnet. Transparenz ist das Stichwort Nummer 1 und Bürgernähe die Nummer 2.

Das Foyer des Museums ist direkt mit der U-Bahn verbunden, und wer's eilig hat, kann mit dem Fahrstuhl, Eintritt frei!, gleich ins zweite Stockwerk fahren, um sich an den torkelnden Hubschraubern auf der riesigen, die Anti- AKW-Demo in Kalkar darstellenden Fotowand zu ergötzen.

4.000 Quadratmeter haben die Aussteller mit 7.000 Objekten vollgestellt, und sie haben das ziemlich geschickt gemacht. Verstellbare Stahlgitterwände, gut seh- bzw. begehbare Objekte, nirgendwo der Versuch weihevoller Präsentation, dafür aber der deutliche Einfluß poppiger Inszenierungskunst.

Der Witz der Architektur liegt in drei miteinander verbundenen ansteigenden Ebenen, mit einer Art Krypta, die der unmittelbaren Nachkriegszeit gewidmet ist. Die Deckenkonstruktion über den hohen Räumen gemahnt an Charles Moore: gläserne Tonnensegmente, die über Prismen gefiltertes Tageslicht einlassen.

Der „mediale“ Aufwand ist beträchtlich: von den zahlreichen Vorführräumen über Dokumentation und Archiv bis zu einer ausladenden Cafeteria im ersten Stock. Museum als „Erlebnisraum“ für die Sinnhungrigen.

Denn um Sinnvermittlung geht es im Haus der Geschichte. Die Erfolgsstory Bundesrepublik wird gefeiert, wenngleich nicht auf die vielfach prognostizierte primitiv-einseitige Weise. Die Studentenbewegung erhält ihren Anteil am musealen Flächennutzungsplan, teils sogar mit einfühlsamen Exponaten wie dem Bücherregal eines „normal“- linken Studenten oder Aktien- Fakes für die Springer-Enteignung. Auch die Friedens- und die Anti-AKW-Bewegung wird bedacht, letztere mit jenen Pässen der „Freien Republik Wendland“, die aussehen, als ob sie schon im Hinblick auf ihre jetzige museale Bestimmung hergestellt worden wären. Selbst die Frauenbewegung hat ihr liebloses Eckchen.

Es herrscht also Pluralismus. Was fehlt, ist die Dokumentation der schroffen Brüche in der Geschichte der BRD, die Kluft zwischen den Generationen. Erst die ganz und gar in der Existenzsicherung aufgehenden, autoritätshörigen Menschen der Nachkriegszeit, dann die experimentierfreudige, der universellen Machbarkeit des Fortschritts anhängende Generation der 60er und 70er Jahre, schließlich der große zweite Paradigmenbruch der späten 70er Jahre, der in der ökologischen Bewegung anhebt, um sich dann in die Gesellschaft der BRD durchzufressen.

All dies wird zwar gezeigt, aber in sanften Übergängen. Die Rekrutierung der „Gastarbeiter“ etwa wird mit Großfotos der ankommenden Eisenbahnzüge, den Ausweisdokumenten der damaligen Zeit, mit anrührenden kleinen Familienbildern dokumentiert. Aber kein Foto, kein Dokument, das die elenden Lebensbedingungen, die Mechanismen der erzwungenen Anpassung, aber auch den Widerstand zeigen würden, etwa den großen Streik bei den Kölner Ford-Werken 1973. Als ob der Rassismus eine Erfindung der frühen 90er sei.

Ähnlich verhält es sich mit der Darstellung des „Linksterrorismus“ in einem der RAF gewidmeten Gruselkabinett. Nicht gegen die Fotografien der RAF-Opfer wäre hier Einspruch zu erheben, sondern daß den Opfern der gewaltigen Sicherheitsmaschine keine Erwähnung geschieht, daß nichts zu sehen ist zur „innerstaatlichen Feinderklärung“ jener Jahre, von der Jagd auf intellektuelle „Sympatisanten“. Die Machteliten haben es vorgezogen, den deutschen Herbst zu vergessen, und die Ausstellungsmacher sind ihnen hier gefolgt.

Wie zu befürchten war, ist auch die nationalsozialistische Vorgeschichte der BRD fast völlig ausgeblendet. Über den KZ-Staat wird in einer „Black box“ informiert, um die man auch einen großen Bogen machen kann.

Viele Exponate belegen eindrucksvoll das Nachkriegselend, die Suche nach den verschollenen Verwandten, den Erfindungsreichtum der Überlebenden. Daß aber bis in die späten vierziger Jahre hunderttausende D.P.s (displaced persons) durch Deutschland irrten, wird nur am Rande erwähnt.

Unter einem Orginal-Verpflegungsausweis für einen ehemaligen KZ-Häftling steht diese denkwürdige Erklärung: „Ehemalige KZ-Häftlinge erhalten besondere Ausweise. Sie bekommen bessere Verpflegung und Unterbringung. Weniger als Entschädigung für das erlittene Unrecht, als vielmehr, um ihre Gesundheit wiederherzustellen.“ So kann man sich des Problems der Behandlung von Antifaschisten in der Nachkriegszeit auch entledigen.

40 Prozent der Ausstellungsfläche sind nach den Worten des Museumsdirektors Schäfer der DDR bzw. gesamtdeutschen Themen gewidmet. Von dieser Aufteilung ist wenig spürbar. Im großen und ganzen wird die Geschichte der DDR als Geschichte eines Unterdrückungssystems behandelt, und mit einfallsreichen Arrangements aufbereitet: ein roter Riesenteppich etwa, auf dem die zehn Gebote der sozialistischen Moral eingewebt sind, und der von Rechtfertigungsdokumenten zum Mauerbau umgeben ist.

Es ist sicher unerläßlich (und verdienstvoll), den „Fall“ Robert Havemann zu dokumentieren oder die fatalen Folgen zu zeigen, die die restriktive Kulturpolitik der SED für viele Schriftsteller und Filmemacher zeitigte. Aber was erfährt man über die Menschen in der DDR jener Tage, was darüber, wie sie ihre „Brüder und Schwestern“ drüben sahen, wie sie sich einrichteten zwischen Sehnsucht und Pragmatismus – nichts davon im Haus der Geschichte.

Die Vielzahl ausgestellter DDR- Exponate dient letztlich nur dem Ziel, von der Bundesrepublik als überlegener Zivilisation zu künden. Daran können auch die Transparente und Plakate der großen Demonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989 nichts ändern.

Natürlich haben die Ausstellungsmacher begriffen, daß von den klassischen Insignien der Macht, von Fahnen, Staatsmusiken und feierlichen Urkunden heutzutage keinerlei Faszination mehr ausgeht. Sie haben es bei Konrad Adenauers Mercedes-Karosse belassen, bei dem Regierungs-Salonwagen (keine Erwähnung amouröser Anekdoten!) und bei der Bestuhlung des alten Bundestages, die allerdings mehr vom Zerfall der Legislative zeugt als von herrschaftlicher Pracht.

Nicht diese Imponiergegenstände der Machtausübung, erst recht nicht die kleinen Exponate der Selbstdarstellung wie die überreichlich vertretenen Plakate vermögen das Geschäft der politischen Identifikation zu besorgen. Das geschieht vielmehr auf indirekte Weise, mit den Mitteln der Alltagsästhetik. Diese Kollektion von Staubsaugern, Mixgeräten, Kofferradios und Petticoats, die vollständig eingerichtete Milchbar der 50er Jahre, das wiederaufgebaute Kino und der Zeitungskiosk – das alles überwältigt den reserviertesten Besucher. Welch ein Universum der Scheußlichkeiten! Allein dieses Ensemble garantiert den Erfolg der Ausstellung und ihres politischen Auftrags. Christian Semler, Bonn

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