piwik no script img

Wenn Mütter zu sehr küssen

Female Trouble: Wo John Waters „Serial Mom – Warum läßt Mama das Morden nicht“ einen Schritt nach vorne wagt, geht Ken Loachs „Ladybird, Ladybird“ wieder zwei zurück. Und wer muß es am Ende wieder aufwischen?  ■ Von Mariam Niroumand

Spätestens seit „Alien“ mit seinen unermüdlich Eier produzierenden, verschlingenden, schleimtropfenden Massen ist klar, daß Mutterfilm und Horrorfilm eigentlich ein und dasselbe sind. Die Alien-Ursubstanz ist bereit, ihre „Kinder“ bis aufs Letzte zu verteidigen, und gegen das, was sie dafür tut, sind Vagina Dentata und sogar die „Jaws“ lächerliche Plastiksubstrate im Kukident-Bad. Wer viele solcher Horrormütter gesehen hat und vor ihnen erstarrt ist wie die Besatzung von Ripleys Raumschiff, der hält alle anderen Genres für bloße Ablenkungsmanöver, in denen das Verdrängte nur eben noch nicht ganz heimgekehrt ist. Je kitschiger, desto Bollwerk, könnte man sagen; und so überrascht die Tatsache, daß wirklich jede Soap- opera mit einer guten und einer bösen Mutter ausgestattet ist, überhaupt niemanden, schon gar niemanden, der seinerzeit gern Douglas Sirks Melodramen sah.

Unsereins muß wohl zusätzlich noch bedenken, daß es zur gleichen Zeit, als die wichtigsten Horrorfilme enstanden, Mitte der siebziger Jahre, allerlei feministische Literatur gab, die auf die kluge Idee verfallen war, Mutter die ganze Geschichte in die Schuhe zu scheiben: „My Mother, Myself“ von Nancy Friday war nur die Speerspitze einer Bewegung, die zwar offiziell angetreten war, den Phallozentrismus der restlichen Psychoanalyse und Befreiungstheologie zu untergraben, aber gleichzeitig auch unterderhand ein bißchen Muttermord betrieb.

Gute Mutter, böse Mutter: Zwei Filme von Männern sind nun aufgetaucht, von denen der eine, Ken Loachs „Ladybird, ladybird“, auf große Zustimmung und der andere, John Waters „Serial Mom“, bestenfalls auf Desinteresse, wenn nicht herbe Kritik stieß.

„Ladybird, ladybird“ fällt aus dem Rahmen der übrigen Milieustudien des New British Cinema durch ein gewisses archaisches Flair. Eine Mutter, die wir nur als „Maggie“ kennenlernen, lebt im Niemandsland zwischen Säuferehe, Nachtclub und Frauenhaus, und gebiert und gebiert, eine echte Serial Mom. Ein Mann Jorge aus dem herzwarmen Paraguay nimmt sich ihrer an, als sie bereits vier Kinder hat. Eines Abends läßt sie die Kinder allein zu Haus, es bricht ein Feuer aus, sie kommen ins Krankenhaus, und von da an ist dem jungen Paar permanent der Staat auf den Fersen. Sozialarbeit essen Seele auf: Kaum haben sie sich ein bißchen etabliert, kommen die jungen Beamten wie die Erinnyen und nehmen ihnen das frische Kind wieder weg, einmal sogar direkt aus dem Wochenbett. Aber Maggie kann nicht anders. Wie eine Käthe-Kollwitz-Figur gräbt sie die Klauen schützend in ihre Kinder, umschlingt sie, fügt neue hinzu, schreit, schlägt um sich, beißt und faucht wenn die Erinnyen wiederkommen. Sie löst sich auf. Der Film ist voller Halbtotalen, in denen man diese ausgreifenden Arme rudern und reißen sieht, einen Boden hat sie nicht unter den Füßen. Der Staat, die da draußen, stehen immer als Riesen in der Tür; das Gesellschaftliche erscheint als erstickend Widernatürliches, wer auch nur aus dem Fenster schaut, hat schon verloren.

„Ladybird, ladybird“ stieß auf enorme Zustimmung bei der „Berlinale“, was offiziell wohl mit dem Mißtrauen gegen Sozialarbeiter und staatliche Interventionen in die sogenannte Privatsphäre begründet wurde, schließlich sind wir ja hier nicht im Osten. Unterschwellig wurde man aber das Gefühl nicht los, es doch wieder mit einer Art Muttermord zu tun zu haben, in dem eben das Gebären oder weibliche Zzzexualität schlechthin mit Zerfall, Auflösung, Hysterie und Katastrophe verbunden ward, von der einen eigentlich nur der Tod der Protagonistin oder immerhin das Ende des Film befreien konnte.

Wie anders hingegen die Verhältnisse bei „Serial Mom“. Das Grundsentiment dieses Film ist ein gewisser unbändiger Frohsinn, dessen aggressive Ausbuchtungen die Protagonistin komplett in der Hand zu haben scheint. Kathleen Turner ist Beverly Sutphin, eine stramme Rose aus Suburbia, die inmitten von Rice Crispies, Recycle-Sortimenten und vor dem Fenster singenden Vöglein mit Ehemann Eugene, Tochter Misty und Sohn Chip lebt.

Wenn einem der Ihren ein Leids geschieht, wenn die Tochter von ihrem Date versetzt wird, wenn der Sohn vom Lehrer eine Abmahnung bekommt – Beverly geht und killt, sticht, erschlägt, mit Genuß, Effizienz und Witz, um sich hernach wieder an den Abendbrottisch zu setzen und weiterzumachen. Ihrer Nachbarin, die sich weigert, ihren Müll ordentlich zu trennen, treibt sie die Schamesröte mit obszönen Anrufen ins Gesicht. Sie mag es andererseits nicht, wenn „brown words“ am Tisch fallen, wenn der Freund des Sohnes keinen Sicherheitsgurt benutzt oder wenn jemand in der Nase popelt, was man ja verstehen kann. Eine große Rolle spielen die Horrorvideos mit den rausgerissenen Herzen, die die lieben Kleinen immer ansehen. Hier, bei John Waters, kriegen sie den Stellenwert, der ihnen zusteht: sie haben nicht einen Hauch von Einfluß auf die in Ruhe vor sich hinpickelnden Adoleszenten; die einzige, die hier killt, ist Mutter, die solche Videos völlig kalt lassen.

Ein Highlight ist die Gerichtsverhandlung. Längst pflastern Leichen ihren Weg. Hier ebenso zentral wie in „Ladybird, ladybird“ ist die Gerichtsverhandlung der Moment, in dem beide Filme ihre kleinen Frauenkosmen dem väterlichen Gesetz öffnen. Was bei Ken Loach direkt in die Orestie des Ayschylos oder jedenfalls in blutiges Staatstheater führt, ist bei Waters ein Starauftritt der Turner. Sie verteidigt sich logischerweise selbst. Während sie oberhalb des Tisches blond onduliert zum Hohen Gericht spricht, setzt sie darunter mit rhythmischen Bewegungen der Beine den Hauptbelastungszeugen außer Kraft; währenddessen sitzt Hollywood schon bereit, die Geschichte dieser armen Frau zu verfilmen. Als das Verfahren mit einem Triumph der unschuldigen Beverly endet, muß allerdings die Geschworene dran glauben, deren weiße Söckchen Frau Sutphin geärgert haben ...

Natürlich ist der Film, in seiner wunderschönen Hochglanz-Buntheit, auch das, was Waters sehen wollte: eine Soap-opera mit umgekehrtem Düsenantrieb, die den Hausfrauenimpuls der absoluten Selbstaufgabe in der Aggression gipfeln läßt, die er immer mühsam in Schach halten mußte. Aber schauen Sie sich die Turner an: groß, kräftig, im Bett vor Freude grunzend; die ist auf keiner der beiden Seiten endgültig zu Hause. Sie ist eine Verwandte von Edward Scissorhands, eine wandelnde Wunschmaschine, ein Flüchtling aus den „Golden Girls“, eine Kollegin von „Devine“ ohne Female Trouble, kurz: sie ist, was früher „polymorph-pervers“ hieß, ein Alien, von dem man noch viele Kinder sehen möchte.

„Ladybird, ladybird“ von Ken Loach, Buch: Rona Munro. Kamera: Jonathan Morris. Mit: Crissy Rock, Vladimir Vega, Sandie La Velle. GB 1993/94, 102 Min.

„Serial Mom – Warum läßt Mama das Morden nicht“, Regie und Buch: John Waters. Kamera: Robert M. Stevens. Mit: Kathleen Turner, Sam Waterston, Ricki Lane, Matthew Lillard. USA 1993, 96 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen