: Nachhilfeunterricht für Rexroth
Wirtschaftsminister beraten erneut über ein europäisches Zulassungsgesetz für gentechnisch erzeugte Lebensmittel / Unterschriftensammlung der Reformhäuser und des BUND ■ Aus Brüssel Alois Berger
Die 12 Wirtschaftsminister der Europäischen Union diskutieren heute in Luxemburg, ob mündige Bürger wissen dürfen, was sie essen, oder ob sie das nur verwirrt. Auf dem Tisch liegt zum etwa 14. Mal ein Gesetzentwurf über die Zulassung von gentechnisch manipulierten Lebensmitteln. Im Wesentlichen geht es um die Frage, ob künftig nur ein Teil oder alle Produkte gekennzeichnet werden müssen, in denen in irgendeiner Form manipulierte Gene zum Einsatz kommen.
Bisher gilt in den meisten EU- Mitgliedsländern, daß angeboten werden darf, was nicht verboten ist. Anders als Arzneimittel und Kosmetika unterliegen Lebensmittel keiner Zulassungspflicht. Verbraucherverbände, aber auch das europäische Parlament möchten das dringend ändern. Der Dachverband der Reformhäuser und der Bund für Umwelt und Naturschutz haben in Deutschland über eine halbe Million Unterschriften für eine vollständige und eindeutige Kennzeichnung gentechnisch erzeugter Lebensmittel gesammelt. Sie boten gestern in Bonn Wirtschaftsminister Rexrodt „Nachhilfeunterricht“ an. Tatsächlich gibt es unter den zwölf Regierungen in der Europäischen Union sehr unterschiedliche Vorstellungen. Deutschland und Dänemark etwa wollen eine möglichst weitgehende Kennzeichnungspflicht, während andere Regierungen den Vorschlägen der Europäischen Kommission folgen möchten.
Die Kommission, die öfter mit Vertretern der Wirtschaft als mit Verbrauchern Umgang pflegt, hat ihr Vorschlagsrecht bisher dazu genutzt, mehr Ausnahmen als Regeln in ihre Entwürfe zu schreiben. Danach tauchte der Hinweis auf die Genmanipulation nur dann auf dem Etikett auf, wenn das Produkt selbst behandelt und dabei wesentlich verändert worden ist. Mit genmanipulierter Hefe gebrautes Bier, mit Chrymosin gereifter Käse oder das gentechnisch veränderte Paprikapulver in der Plockwurst auf der Pizza fielen unter die Ausnahmen. Ebenso der Zucker aus genmanipulierten Rüben, weil er chemisch vom Zucker aus unbehandelten Rüben nicht zu unterscheiden sei. Weder im Ministerrat noch im Parlament fand sich dafür eine Mehrheit. Eine Einigung ist schon deshalb schwer vorstellbar, weil inzwischen selbst die deutsche Regierung keinen einheitlichen Standpunkt mehr einnimmt. Während der Gesundheitsminister die alte Position hochhält, hat sich der Wirtschaftsminister auf seine Klientel besonnen und nähert sich der Meinung der Kommission an, es sei Sache der Wissenschaft, zu entscheiden, was ungesund ist. Alles andere sei eine „Diskriminierung“ von Produzenten auf dem freien Markt.
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