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Zwischen „Kolafu“ und den „drei Sternen“

■ Von der Weimarer Republik über die Zeit des Nationalsozialismus bis in die Bundesrepublik der Nachkriegszeit : Ein politischer Streifzug durch Hamburgs schwule Kneipen- und Stadtgeschichte mit Jens Michaelsen

Hamburg, auch in schwuler Hinsicht ewige Zweite hinter der Metropole Berlin, hat zumindest in der literarischen Verarbeitung homosexueller Lebenswelten die Nase vorn. Dem britischen Autor Stephen Spender ist es zu verdanken, daß wir uns heute ein Bild des schwulen Hamburgs am Ende der Weimarer Republik machen können. In seinem Roman „Der Tempel“ beschrieb er mit Verwunderung und Begeisterung den Lebensstil der schwulen Jeunesse dorée der Hansestadt, die ein neues Körperbewußtsein und avantgardistischen Kunstgeschmack zu verbinden wußte.

Großgeworden in britisch-prüden Zwängen, erlebte der aufstrebende Literat hier einen Sommer lang ein ungeahntes Ausmaß an Sinnenfreude und Lebenslust. Im Gegensatz zu seinem Freund Christopher Isherwood, der sich zur gleichen Zeit fasziniert in die proletarische Seite des Berliner Nachtlebens schmiß und daraus die literarische Vorlage für „Cabaret“ schuf, bewegte sich Spender - wie es sich für Hamburg gehört - anfangs vorwiegend im Milieu der Kaufleute und Banker. Und die wohnen in Hamburg nun mal in weißen Villen rund um die Alster.

„Absonderliche Männer“

Doch die Kids der Upper-Class zog es schon damals in andere Gefilde:

„Sie kamen zu einem Lokal namens ,Drei Sterne–. Von ein paar rohen Holztischen und -bänken abgesehen, war es unmöbliert. Es hatte die Atmosphäre eines trüben Gemeindesaals. Auf einer Bühne spielte eine Band aus unbegabten Musikern Jazz. Einige Paare tanzten vergnügt. Absonderliche junge Männer in Frauenkleidung gingen augenrollend von Tisch zu Tisch, tätschelten Männer unter dem Kinn und riefen ihnen aufreizende Schlüpfrigkeiten zu.

An einigen Tischen saßen durchaus ehrbare, besser gekleidete Leute, bürgerliche Ehepaare, die zufällig hereingeschneit schienen (aber vielleicht hatten alle ihre Gründe, hier zu sein). Sie schienen die Verderbtheit um sie herum nicht wahrzunehmen, nickten den papageienhaften Transvestiten freundlich zu und ließen deren Gekreisch lächelnd abprallen. (...) Joachim und seine Freunde schoben sich durch. (...) „Seht, alle kommen sie hierher. Ob Politiker, Geistliche, Bankiers, Kaufleute, Lehrer, Soldaten oder Dichter, sie landen alle zuletzt im „Drei Sterne“.“

Ein Lokal „Zu den drei Sternen“ gab es tatsächlich. Es lag in den „Hütten“, also in der Neustadt. Damit ist der erste der drei magischen Stadtteile für Hamburgs Schwule jener Zeit genannt. Die beiden anderen waren - wie heute - St.Georg und St.Pauli. Auch der Name Joachim verweist auf eine real existierende Person. Gemeint ist der Fotograf Herbert List, der damals mit seinen Porträts unbekleideter Männerkörper eine neue moderne Fotokunst schuf und damit den heutigen schwulen Körperkult vorwegnahm.

Jene drei Stadtteile beherbergten eine ganze Reihe schwuler Lokale. In St.Georg gab es die „Tusculum-Bar“ und das „Adria", in der Neustadt lagen „Walhalla-Diele und Café“ sowie das „Stadtkasino“. Viele dieser Läden hatten Live-Musik und Tanz zu bieten. Wo es Kleinkunst und Kabarett gab, wie im „Bronzekeller“ in der Neustädter Straße, mischten sich Schwulen- und Künstlerszene. Eine Mischung, die im Nationalsozialismus überwintern half. Sogar der noble „Alsterpavillon“ hatte seine schwulen Zeiten, wenn man sich am Wochenende auf der dortigen Empore traf.

Der Matrosen-Mythos

Natürlich hatte schon damals die Gegend am Hafen ihren besonderen Reiz. Der Matrosen-Mythos zog viele Schwule nach dem Motto „Schön ist die Liebe am Hafen“ in die Straßen, Kneipen und Absteigen von St.Pauli. Doch das Klima war nicht nur offen und weltoffen: Der Paragraph 175 stellte Homosexualität nach wie vor unter Strafe. Denunziationen und Verhaftungen gehörten zur Tagesordnung. Daß Sex oft mit Geld bezahlt wurde, verstand sich von selbst in einer

Gesell-schaft, die gleichbe-rechtigte und ehrliche Beziehungen zwischen Männern behinder-te.

Stricher waren es, denen es unter den Nazis als erste an den Kragen ging. Plötzlich war es vorbei mit den kleinen Freiheiten,die im Hamburg der Weimarer Republik trotz des Paragra-phen 175 gelebt wurden.

Gerade im Hinblick auf Homosexualität ist die These, daß in der Hansestadt der Nationalsozialismus gar nicht so schlimm war, revisionsbedürftig. Die Festgenommenen wurden ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel, „Kolafu“ genannt, eingewiesen. In Kriminalstatistiken verzeichnet Hamburg oft eine höhere Zahl von Delikten als vergleichbare Großstädte.

Mit welcher Systematik die Nazis ihren Verfolgungsapparat organisierten, macht ein interner Bericht der Streifendienstwache am Hauptbahnhof vom Dezember 1934 deutlich:

„Die Aufgaben der Hitler-Jugend-Wache bestehen darin, die Gefahr, die der ganzen deutschen Jugend durch die Homosexualität älterer Personen droht, nach Möglichkeit von ihr fernzuhalten, oder wenn möglich, ganz zu beseitigen. (...) Dass diese Aufgaben, z.B. die Beobachtung einzelner, verdächtiger Elemente sehr zeitraubend und schwierig ist, sei außerdem noch erwähnt. Die Wache hat außerdem die Aufgabe, im Hauptbahnhof und in der Umgebung (...) die verbrecherischen Elemente zu stellen und sie dem Kriminalposten zu übergeben. Eine engere Verbindung der Arbeit besteht mit dem Kriminalposten an sich schon, und mit vereinten Kräften ist es jetzt gelungen, den Hauptbahnhof sauber zu halten.“

Die „Ho-Organisation“

Der Arbeitsbericht beschreibt anschließend „einige Fälle, die besonders krass hervortreten“, wobei er zunächst von einer „Organisation der Homosexuellen“ ausgeht:

„Zusammenkünfte der Ho.-Vereinigung haben in einem Gemeindesaal der Hauptkirchen stattgefunden. Maßgebende Leute in Hamburg, deren Namen uns bekannt sind, haben ihr Vorträge gehalten, obwohl sie genau die Art und das Ziel jener Organisation kannten.“ Schließlich schränkt er aber ein: „Man mag sich streiten, ob es tatsächlich eine Organisation von Ho. gibt. Die Tatsachen weisen jedenfalls darauf hin, daß unter diesen Leuten die engste Verbindung herrscht und dass sie finanziell sehr stark sind.“

Zu wünschen wäre den Homosexuellen in dieser Zeit jener Zusammenhalt gewesen. Ob er allerdings tatsächlich bestanden hat, darüber streiten sich heute Historiker und Zeitzeugen. Tatsache aber sind 120 verschiedene Fälle, denen im November allein durch die Hitler-Jugend-Wache am Hauptbahnhof nachgegangen wurde. Was den Schwulen die folgenden Jahre bescherten, ließ schon der Nachtrag zum Arbeitsbericht ahnen:

„Neben dem Fang von homosexuellen Männern und dem Schutz der Jugendlichen vor jenen Elementen, bleibt noch ein sehr wichtiger Punkt zu erwähnen, die Schulung des Streifendienstes und der H.J.-Wache. Die Schulung auf oben erwähntem, wie auch auf fürsorgerischem Gebiet findet ein bis zweimal wöchentlich statt und wechselt mit der militärisch-felddienstlichen Ausbildung ab.“

Während man in Hamburg den „Fang“ der Homosexuellen organisierte, richtete man im Berliner Polizeipräsidium zur gleichen Zeit ein Sonderdezernat Homosexualität ein. Daraus wurde im Oktober 36 schließlich die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“. Es begannen Jahre der schlimmsten Verfolgung für Homosexuelle jeglichen Alters und jeder sozialen Schicht.

Bis dahin waren es neben den Strichern vor allem junge Männer unter 21 gewesen, die nach dem - 1935 verschärften - Paragraphen 175 verurteilt worden waren. Daß die Nazis die Verfolgung von Homosexuellen und ungewollt Schwangeren in einer gemeinsamen Zentrale organisierte, läßt ebenso wie die vielbeschworene „Schutz der Jugend“ deren Absichten erkennen. Nazi-Deutschland brauchte Nachwuchs: Junge Herrenmenschen, die bereit waren, in den Krieg zu ziehen.

Schwule als „Volksfeind“

Hamburg hatte bei dieser Formierung der Gesellschaft Vorreiter-Funktion. 1937 erschien hier das Buch „Homosexualität und Strafrecht“, in dem der Jurist Rudolf Klare „durch homosexuelle Betätigung das höchste Recht von Volk und Staat auf Reinhaltung der blutsmäßigen Werte im Volk“ verletzt sah. Das Jahr 1938 verzeichnete dann auch die meisten Verurteilungen während des gesamten „Dritten Reiches“.

Schon ein Jahr zuvor war in Hamburg ein Kriminalkommissariat eingerichtet worden, daß sich ausschließlich auf die Verfolgung von Homosexuellen konzentrierte. Dienststellen wie diese sorgten dafür, daß die Zahl der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus mehrere Zehntausende betrug, wovon viele in Konzentrationslager, vor allem in die Moorlager im Emsland, eingeliefert wurden.

Schwulenhochburg Hamburg

Trotzdem konnten sich einige wenige Schwulenlokale während dieser Zeit halten. Nach Kriegsende trugen sie dazu bei, daß Hamburg eine Schwulen-Hochburg wurde. Von vier Lokalen im Jahr 1948 stieg die Zahl 1951 auf elf und 1954 auf siebzehn an. Diese Kneipenkultur entstand durch Not, denn von der allgemeinen Wohnungsknappheit waren die Schwulen besonders hart betroffen. Nur dort waren sie vor den Nachstellungen und Bespitzelungen durch Vermieter und Wirtinnen geschützt, bei denen sie zumeist zur Untermiete wohnten.

Das Kriegsende bedeutete für die Schwulen eben keine „Stunde Null“, bestand doch der Paragraph 175 in der von den Nazis verschärften Fassung bis 1969 fort. Wie zur Nazizeit war man auf gegenseitigen Schutz und Hilfe angewiesen. Tatsächlich lief die Polizei häufig ins Leere, wie eine kriminologische Dissertation aus dem Jahre 1957 zu berichten weiß:

„Die regelmäßige Überwachung (...) bringt keine spürbare Besserung, zumal diese Beamten in den einschlägigen Kreisen bekannt sind, und ihr Erscheinen in den Lokalen einen geradezu mustergültigen Lokalbetrieb auslöst.“

Literaturhinweise: Stephen Spender: Der Tempel, München 1991 und Wolfgang Voigt: Hamburg ahoi! Berlin 1982

Der Autor arbeitet im „Arbeitskreis Schwule Geschichte Hamburg“ mit, Kontakt über „Hein und Fiete“, Kleiner Pulverteich 17-21, 20099 Hamburg

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