: „Lesben kommen nicht in den Himmel“
Ein bibelfestes Dorf in Mississippi versucht, auf unchristliche Weise seine Nachbarinnen zu vertreiben ■ Aus Ovett Andrea Böhm
Wenn es nur um den Zutritt ins himmlische Paradies ginge, dann würde sich Brenda Henson nicht weiter aufregen. Sollen sie ihn doch haben – den Himmel. Nur aus dem irdischen Paradies läßt sie sich nicht vertreiben. Davon besitzt sie 50 Hektar mit Magnolienbäumen, einem Fischteich, einem Fluß mit Badestrand. Und das Ganze liegt im Süden des Bundesstaates Mississippi in einem kleinen Dorf namens Ovett. Wenn die Zeit es erlaubt, dann setzt sich Brenda Henson in ihr Golfwägelchen mit Elektromotor und holpert wie eine kleine Königin auf einem rollenden Thron über die höchsteigenen Trampelpfade. „Hier kommt die Konzertbühne hin“, sagt sie nach einer scharfen Rechtskurve. „Und dahinter Schlafunterkünfte. Und hier die Küche. Ist doch klar. Sieht man doch jetzt schon.“ Unbedarfte sehen erst mal gar nichts – nur ein paar verfallene Schweineställe, einen alten Futterspeicher, ein paar alte Holzverschläge – und ein nagelneuer, zwei Meter hoher Zaun aus Spanholz, Blech und Draht. Der ist eindeutiges Indiz für das gespannte Verhältnis der Hensons zu ihrer Nachbarschaft.
James Hendry, der am anderen Ende des Dorfes wohnt, ist ebenfalls der Ansicht, daß Ovett ein wunderbar unberührtes Fleckchen Erde ist. Hier kümmern sich sechs Kirchen um 600 Seelen. Hier haben die fundamentalistischen „Southern Baptists“ das Heft in der Hand. Hier ist man Meilen von der nächsten Stadt und Welten von Sündenpfuhlen wie New York oder San Francisco entfernt. Hier wiegt die Bibel schwerer als das Gesetz – vor allem dann, wenn letzteres in der Bundeshauptstadt Washington erlassen worden ist.
Deshalb hat sich James Hendry vor zwei Jahren in Ovett mit seiner Frau Vonda und ihren beiden Kinder eine Farm gekauft – mit ein paar Schweinen, Katzen, Hunden und Kühen, die allesamt nach Countrysängern benannt sind. Als sich Ende letzten Jahres im Dorf herumsprach, daß zwei lesbische Frauen ein „feministisches Bildungs-und Ferienzentrum“ mit dem verdächtigen Namen „Camp Sister Spirit“ aufbauen wollen, da war es für ihn vorbei mit dem Frieden in Ovett. Zusammen mit dem Pfarrer seiner Baptistengemeinde, dem Reverend John Allen, gründete der Vertreter einer Drogeriefirma „Mississippi for Family Values“ – eine Organisation, die sich dem „homosexuellen Camp für unmoralische Lebensformen“ entgegenstemmen will. Hendry ist Vorsitzender dieser Verteidigungsbastion. Denn den Einzug von Brenda Henson und ihrer Lebensgefährtin Wanda nach Ovett hält er für einen gezielten Angriff der Schwulen- und Lesbenbewegung auf das ländliche Amerika. „Warum sonst“, sagt er, „kämen sie ausgerechnet hierher?“
Das fragen sich, aus anderen Gründen, auch so manche im fernen New York, San Francisco oder Washington, die mittlerweile zum nationalen Unterstützernetzwerk für die beiden Frauen zählen. Als Minderheit auf Rechte zu pochen war in Mississippi immer schon riskanter als anderswo. Auch in diesem Bundesstaat gibt es tolerantere und weniger tolerante Ecken. Ovett und das umliegende Jones County mit seinen überwiegend weißen, überwiegend armen und überwiegend erzkonservativen EinwohnerInnen aber gehören zweifellos zu letzteren. Auf der ersten Protestversammlung im Dezember letzten Jahres überschlugen sich denn auch Haßtiraden, Verschwörungstheorien und Vorurteile: Ein Farmer war überzeugt, daß Lesben die Föten schwangerer Frauen verhexen können; andere befürchteten, daß ihre Töchter ins Camp entführt werden könnten, wo „sonstwas mit ihnen passiert“; wieder andere argwöhnten, daß die Hensons Unruhe unter „unsere Frauen bringen und die Scheidungsrate in Ovett hochtreiben“. Dazwischen predigte immer wieder der Reverend John Allen von den Gefahren des „homosexuellen Vormarsches“ in Gesellschaft und Politik, während James Hendry mit Hilfe des lokalen Sheriffs Maurice Hooks Geld für seine Organisation sammelte.
Warum also Ovett? „Weil ich hier geboren bin, verdammt noch mal“, sagt Wanda Henson in eben jenem breiten Mississippi-Dialekt, den auch Hendry spricht. „Weil wir genauso hier zu Hause sind wie die anderen auch.“ Und weil das Land billig war: 60.000 Dollar haben die 50 Hektar gekostet. Mit Erspartem, Krediten und Spenden von Frauengruppen haben Brenda und Wanda, die den Nachnamen ihrer Partnerin angenommen hat, die ehemalige Farm gekauft, um hier ihren Traum zu verwirklichen: Ein Bildungs- und Ferienzentrum vor allem für Frauen; eine Alternative zur isolierten Lesbenszene in Bars und Kneipen; und ein Land- und späterer Ruhesitz. Also zogen sie mit Sack und Pack aus Gulfport an der Küste Mississippis zurück nach Jones County, wo Wanda vor 39 Jahren geboren und in einer „Redneck-Familie“ aufwuchs, in der es nur eines im Überfluß gab: Bibellektüre. Mit knapp 19 Jahren war sie Mutter und Ehefrau. Ein Jahr später geschah das für ihre Familie Unfaßbare: Wanda erklärte, homosexuell zu sein. Sie verlor ihren Job, ihre Familie; das Sorgerecht für die beiden Kinder wurde ihr entzogen. Seit dem Tag ihres Coming-out ist ihr Leben ein einziger Kampf gegen Homophobie – und gegen die christlichen Fundamentalisten in Mississippi. Sie ist auf den ersten Blick die Kämpferischere von beiden, hat jederzeit eine Schmähung über ihre Kontrahenten im Dorf auf den Lippen und läßt keinen Zweifel daran, daß jeder mit Konsequenzen rechnen muß, der sie bedroht. Brenda Henson, neun Jahre älter als Wanda, hat Inzest durch ihren Vater, mehrere Jahre als Alkoholikerin und zwei Ehen überlebt. Vor ihrem zweiten Mann und seinen Schlägen und Morddrohungen mußte sie in einen anderen Bundesstaat fliehen. Als sie Wanda vor zehn Jahren bei der Arbeit im Frauenhaus von Gulfport kennenlernte, hatten beide offenbar nicht nur die Frau fürs Leben gefunden, sondern auch einen schier unerschöpflichen Energiehaushalt gegründet. Zusammen eröffneten sie einen feministischen Buchladen, der innerhalb kürzester Zeit zu einem Krisen- und Beratungszentrum wurde. Hier trafen sich Gruppen von Inzestopfern, hier wurden Schreibkurse für Analphabetinnen angeboten, hier teilte eine Suppenküche Essen aus. Auf Initiative der Hensons fand in Gulfport jedes Jahr ein Musikfestival statt, das nun ebenso wie die Suppenküche nach Ovett verlegt werden sollte. Es ist nicht zuletzt dieses politische und soziale Engagement, daß den Gegnern der Hensons Unbehagen bereitet. Brenda und Wanda Henson haben jenen Teufelskreis aus Armut und sexistischer Gewalt hinter sich, in dem viele Frauen in Jones County heute noch stecken. Wenn sich die beiden eines „Vergehens“ schuldig bekennen, dann, „daß wir die Scheidungsrate hochtreiben“, sagt Brenda. „Aber nicht, weil wir die Frauen aufhetzen, sondern weil die Männer sie so beschissen behandeln.“
Doch diese Pläne haben vorerst James Hendry mit seiner „Mississippi For Family Values“ durchkreuzt. Das Festival wurde von den Hensons dieses Jahr aus Sicherheitsgründen bis auf weiteres verschoben; Hilfs- und Beratungsangebote werden von Frauen aus der Umgebung nur anonym in Anspruch genommen – aus Angst vor der Ächtung durch den Mainstream, wie James Hendry seine GlaubensgenossInnen nennt.
James Hendry wähnt sich selbst in einem „Krieg um die moralischen Werte Amerikas“. Dabei ist die Rolle des Kreuzzüglers dem etwas unbeholfen wirkenden Mann nicht gerade auf den Leib geschnitten. Seinen Ansprachen bei Demonstrationen oder Gemeindeversammlungen fehlt die geölte Eindringlichkeit, mit der Reverend Allen gegen die Hensons predigt. Aber im Umgang mit der Presse hat Hendry inzwischen gelernt, einen modernisierten Fundamentalismus zu präsentieren. Was ihm nicht immer gelingt. Nein, mit den Schüssen, die am 5. März auf Frauen im Camp abgefeuert wurden, habe seine Organisation nichts zu tun. Nicht mit den Bombendrohungen in der Post der Hensons, nicht mit jenem toten Hund, den jemand über den Briefkasten der Frauen hängte – der Bauch des Tieres durchschossen und mit Damenbinden zugestopft. Diese Vorfälle hält Hendry grundsätzlich für Übertreibungen der Hensons.
Zu diesem Schluß kann kommen, wer die Protokolle des Sheriffs liest. Die Schüsse auf „Camp Sister Spirit“ wurden als „Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung“ eingestuft. Von einem erschossenen Hund ist ebenfalls keine Rede. Man habe lediglich ein totes Tier vor dem Tor der Hensons im Straßengraben entdeckt – angeblich von einem Auto überfahren. „Unsere Organisation lehnt jede Gewalt ab“, sagt James Hendry. „Die Bibel sieht für Homosexuelle zwar den Tod durch Steinigen vor.“ Aber solche Methoden sind ihm, bei allem Respekt für die Heilige Schrift, zu archaisch. Die Strafe kommt ohnehin: „Homosexuelle“, sagt er mit gedämpfter Stimme, als würde er ein Geheimnis verraten, „kommen nicht in den Himmel.“
Dies gehört ebenso zu den Glaubensgrundsätzen der Southern Baptists wie die Überzeugung, daß es jedem Menschen vorbehalten ist, rational zwischen Hetero- und Homosexualität zu entscheiden – ebenso wie zwischen dem Dasein als Raucher oder Nichtraucher. In den lokalen Zeitungen in Jones County tauchen folglich immer wieder Kontaktadressen kirchlicher Beratungsgruppen auf, in denen man sich Homosexualität „abgewöhnen“ kann. Wer sich diesem Hilfsangebot also verweigert, so die fundamentalistische Logik, der will bewußt sich und die Gesellschaft schädigen.
Hendrys „Mississippi for Family Values“ beabsichtigt, die Hensons ganz legal zu vertreiben. Eine Gruppe von BürgerInnen in Ovett will den Frauen den Aufbau eines Bildungs- und Ferienzentrums gerichtlich mit der Begründung verbieten, das Camp würde eine unverhältnismäßige Lärmbelästigung darstellen, und, so die Klageschrift, den Nachbarn „mentalen Streß und Ängste“ zufügen, „Wohlbefinden und Widerstandskraft beeinträchtigen sowie den Wert ihrer Grundstücke senken.“
Der Kampf der BürgerInnen von Ovett gegen Brenda und Wanda Henson hat inzwischen nationale Schlagzeilen gemacht. Talkshow-Stars wie Oprah Winfrey oder Jerry Springer haben ihm Sendungen, Zeitungen wie USA Today, der San Francisco Examiner oder das Magazin Newsweek haben ihnen ausführliche Artikel gewidmet – in der Regel mit deutlichem Spott für die Rückständigen im rückständigen Mississippi. Das FBI ermittelt inzwischen wegen der Bombendrohungen; Justizministerin Janet Reno hat auf Druck der „National Gay and Lesbian Task Force“ in Washington VermittlerInnen des „Community Relations Service“ nach Ovett entsandt. Ohne Erfolg: „Mississippi for Family Values“ verweigerte die Kooperation.
Die Ironie der Geschichte ist, daß James Hendry den Hensons am Ende mehr genutzt als geschadet haben könnte. „Ohne den Wirbel“, sagt Brenda, „hätten wir nie soviel Unterstützung und nie so viele Spenden zusammenbekommen.“ Unter anderem der Golfwagen, den zwei Texanerinnen vorbeigebracht haben.
Die Hensons glauben, daß die Zeit letztlich auf ihrer Seite ist. Bald ein Jahr ist seit ihrem Umzug nach Ovett vergangen. In dem kleinen Postamt werden sie inzwischen freundlich behandelt; der Autohändler und seine Frau sind inzwischen zu dem Schluß gekommen, daß niemand mehr übrigbliebe, „wenn man alle Sünder aus dem Dorf jagen würde“; und immer häufiger hört man Stimmen, die die Unantastbarkeit des Privateigentums beschwören – auch wenn dieses Eigentum Lesben gehört.
Dennoch bleiben die Nervenproben: Da brüllen dreißig Kinder „Lesbenhexen“ aus dem Schulbus; da ertönen nachts Schüsse von „Jagdsportlern“; da kommen immer wieder anonyme Drohbriefe und -anrufe. Beim letzten Mal erklang eine Männerstimme. „Geht doch zurück nach Afrika.“ Solche Sprüche waren in Mississippi vor rund dreißig Jahren schon einmal zu hören. Damals schickte sich eine andere Minderheit an, scheinbar unverrückbare Weltbilder auseinanderzunehmen.
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