: Teures Autofahren mit fremdem Paß
Seit Jahren streiten die Kfz-Versicherer um höhere Prämien für ausländische Kunden / Gerichte verboten den „Balkan-Tarif“, jetzt könnte er durch die europäische Hintertür wieder Einzug halten ■ Von Vera Gaserow
Berlin (taz) – „Drittes Durchführungsgesetz/EWG zum Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)“ der Name des Paragraphenwerks ist ein Monstrum, der Gegenstand aufregend wie eine Valiumdosis. Und dennoch ist es ein brisantes Papier, das derzeit im Vermittlungsausschuß des Bundestages schmort. Hinter der harmlosen Drucksache 463/94 verbirgt sich ein Problem, mit dem sich Arbeitsimmigranten, Ausländerbeauftragte und Gerichte seit Jahren herumschlagen. Die Bonner Parlamentarier könnten diesen Dauerbrenner jetzt entschärfen oder aber mit neuer Nahrung füttern.
Es geht um die leidige Streitfrage, ob Kfz-Versicherer von ausländischen AutofahrerInnen eine höhere Prämie verlangen dürfen oder nicht. Ende der achtziger Jahre hatte das Bundesverwaltungsgericht diese Frage nach jahrelangem Streit höchstrichterlich verneint. Ein Tarifmerkmal „Staatsbürgerschaft“ sei bei der gesetzlich vorgeschriebenen Haftpflichtversicherung nicht zulässig. Die Autoversicherungen hätten weder das Recht, ausländische Kunden abzulehnen, noch dürften sie Sonderzuschläge nach Nationalitäten verlangen. Der jahrelang umstrittene „Balkan-Tarif“ schien damit vom Tisch, doch in der Praxis strickten die Versicherungen weiter an Sonderkonditionen: Weil Autofahrer mit türkischem oder italienischem Paß nachweislich häufiger und teurere Schäden verursachen – der Schadenbedarf türkischer Autofahrer etwa liegt seit Jahren um mehr als 50 Prozent über dem Durchschnitt –, treffen die Versicherungsgesellschaften tagtäglich ihre kleine, (un)feine Auslese: Kunden aus Nicht-EG- Staaten werden rechtswidrig abgewiesen, oder man bietet ihnen nur einen Mindestversicherungsschutz. Für zusätzliche Kaskoversicherungen müssen Türken oder Polen bis zu hundertprozentige Aufschläge zahlen. „Wenn jemand etwas südländisch aussieht, dann haben wir jedesmal unheimlichen Streß, den bei einer Kfz-Versicherung unterzubringen“, klagt ein Berliner Versicherungsbüro über diese Diskriminierung. Die Ungleichbehandlung bei der Kaskoversicherung hat die zuständige Kontrollbehörde, das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen, bisher zähneknirschend akzeptiert. Bei der Kfz-Haftpflicht, die gesetzlich vorgeschrieben ist, hat die Aufsichtsbehörde bisher jedoch wacker alle Sondertarife verboten.
Doch dieses Verbot gerät jetzt ins Wanken. Zum ersten Juli sollen neue EG-weite Richtlinien zum Versicherungswesen in Kraft treten. Die europäischen Regelungen verbieten zwar eine Ungleichbehandlung zwischen EG-Bürgern. Gleichzeitig weisen sie Schlupflöcher für eine Sonderbehandlung von Nicht-EG-Ausländern. Auch nach dem neuen Recht müssen Kfz-Haftpflichtversicherer ohne Ansehen der Person jeden Kunden annehmen, aber nicht zu jedem Preis. Je nach Gefahrenrisiko können sie Prämienzuschläge oder -nachlässe einführen.
Versicherungskaufleute rechnen denn auch nach Inkrafttreten des EG-Rechts mit einem ganzen Bündel von unterschiedlichen Einstufungen bei der Haftpflichtversicherung: Preisnachlässe für Frauen, weil die weit weniger unfallträchtig fahren als Männer, Sondervergünstigungen für bestimmte Berufsgruppen, aber auch hohe Tarife zum Beispiel für junge Leute oder Kunden, die überdurchschnittlich viele Kilometer verfahren. Wer jedoch an der Spitze der Unfallstatistik steht, hat garantiert mit höheren Sondertarifen zu rechnen: AutofahrerInnen mit türkischem oder (ehemals) jugoslawischem Paß. Der umstrittene „Balkan-Tarif“ hätte durch die europäische Hintertür wieder Einzug gehalten. Und das, ohne daß die zuständige Aufsichtsbehörde es verbieten könnte. Denn nach dem neuen Recht – auch das ist Europa – müssen die Tarife nicht mehr vorab genehmigt werden. Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen, so dessen Sprecherin, „kann künftig erst dann intervenieren, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“.
Der Bundesrat hat jetzt in letzter Sekunde noch einmal die Notbremse gezogen gegen diese Regelung. Er ließ ein von der Bundesregierung vorgelegtes Durchführungsgesetz, das die europäische Regelung in Kraft setzen sollte, nicht passieren. Mit seiner sozialdemokratischen Stimmenmehrheit verlangte der Bundesrat, daß ein Extrapassus eingefügt wird, der einen Sondertarif nach Staatsangehörigkeit und ethnischer Gruppierung für unzulässig erklärt. Läßt der Vermittlungsausschuß diesen Änderungsantrag Gesetz werden, dann, so prophezeit der Sprecher des HUK-Bundesverbandes der Haftpflichtversicherer, werden sich einige Versicherungsunternehmen „wohl Gedanken machen“ – Gedanken, wie sie durch andere Kriterien doch zu höheren Prämien kommen, und Gedanken über rechtliche Klagemöglichkeiten. Der Streit um den „Balkan- Tarif“ könnte in eine neue Runde gehen.
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