■ Filmstarts à la carte: Wo der Schnaps so silbern schillert
Der Mann Hans-Erich Viet kommt aus Friesland, ist ein guter Freund von Detlev Buck, und manche seiner Filme werden in Originalfassung mit hochdeutschen Untertiteln gezeigt. Seine Frau heißt Usch Luhn. Seine Art, Liebe zu zeigen, ist eine spezielle Art Heimatfilm, die sich aufs erfreulichste mit den gelungenen Varianten des Arbeiterfilms der Siebziger kreuzt (also nicht Rote Fahnen sieht man besser, sondern Acht Stunden sind kein Tag).
Der Vergleich hinkt nur insofern, als ein sogenanntes dramatisches Element gänzlich abwesend ist. Alles ist im nordischen Understatement gehalten, mit Musik von John Lee Hooker und Mink de Ville (?). Schnaps im Wasserkessel porträtiert in den dürren Worten der Protagonisten selbst eine Gruppe von Bürgern aus Bunde, Landarbeiter, Schnapsdrosseln, Monteure, Mägde, die sich an Zeiten in den fünfziger Jahren noch erinnern, die nachgerade feudal klingen. Neuerdings muß man ja immer betonen, daß nicht geklagt wird – als gäbe es da nicht allerhand Anlaß – also es wird jedenfalls nicht geklagt, sondern eben dürr erzählt, dazu knistern der Reisig und die weiße Schneedecke.
Dann ein frühes Pennerporträt im Super-8-Kurzfilm, in dem man Berlin nicht von unten, sondern vom U-Bahnhof Kurfürstendamm aus sieht, also gewissermaßen von mittenmang, was nicht heißt, daß man nicht plötzlich mit dem mundharmonikaspielenden Waldschrat am Nikolassee landet, den unsereins eigentlich nur von bunten LSD-Kügelchen geschmückt kennt. (Der Film heißt Wie ein Himmelhund – Verdammter Pfeffer).
Buck selbst ist auch zugegen, und zwar in dem sehr aparten wie kurzen Blue Murder – als Barkeeper.
Der sogenannte „Täterfilm“ ist ja nach wie vor ein recht unbekanntes, wenig debattiertes Genre; noch weniger ist erforscht, wie eigentlich die Kinder der Täter ihre Eltern und durch sie sich selbst beschreiben. Wilhelm Hein, ein sogenannter „Experimentalfilmer“ (das Wort suggeriert irgendwie so etwas Vorläufiges und überlaufende Aschenbecher) arbeitet schon seit einigen Jahren an einem „work in progress“ mit dem Titel To Those Who Found No Graves. Hein, der Teile des Films erstmalig auf dem Forum der Berlinale gezeigt hatte, beschreibt seinen Film als „Klagelied“, als „Versuch, so viele Spuren jüdischer Geschichte wie möglich zu retten“. Es sind aber nur Spuren jüdischen Sterbens zu sehen. Eine Handkamera, mitunter vor Erstaunen und Befremden schwankend, nähert sich verschiedenen Gedenkstätten, ehemaligen Vernichtungslagern und Friedhöfen, zum Teil von unter dem Stacheldrahtzaun. Dazu erklingen zunächst einige jiddische Kinderlieder, dann ein wenig Schönberg und schließlich Brahms' „Ein deutsches Requiem“. Gelinde gesagt ein Problem ist es, daß man mitunter den Eindruck hat, mit der Kamerabewegung werde etwas inszeniert wie die Heimkehr der Untoten, die die Stätten ihrer Vernichtung heimsuchen – eine Anmaßung für jedermann, den Nachkommen der Täter aber sollte sie erst recht im Halse stecken bleiben.
Wie zum Ausgleich zeigt das Arsenal Tsipi Reibenbachs Film Wahl und Schicksal, der in jeder Beziehung das Gegenteil ist von Heins Projekt. Reibenbach, in Israel geborene Tochter zweier Überlebender, hat aus der Erfahrung, daß an den Stellen der Vernichtung nur zu sehen ist, was die jeweiligen Staaten aus ihnen lesen wollen, die Konsequenz gezogen, die Wohnung ihrer Eltern zur Kulisse zu machen. So sieht man Spuren der Venichtung nicht an irgendwelchen erhabenen Wachtürmen, sondern an der Art, wie die beiden mit Essen umgehen. Man sieht sie essen, essen und essen, allein, zu zweit, am Schabbat mit Familie. Mariam Niroumand
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