: Offizielle Betroffenheit, heimlicher Jubel
Das offizielle Japan beklagt das historische Yen-Hoch, das die japanischen Exporte verteuert/ Doch der starke Yen belebt die japanische Binnenkonjunktur, die Wirtschaft wächst ■ Aus Tokio Georg Blume
Japanische Klagelieder über ihre ewig steigende Währung klingen in den Ohren des Westens wenig überzeugend. Seit zwei Jahrzehnten steigt der Yen-Kurs gegenüber den westlichen Währungen nahezu ununterbrochen, doch die japanischen Exporterfolge reißen deshalb nicht ab. Entgegen allen Konkurswarnungen ist noch kein japanischer Auto- oder Kameraproduzent an den Folgen von Yen-Aufwertung und den damit verbundenen höheren Exportpreisen kaputtgegangen.
Dennoch befand sich Japans Wirtschaftswelt am Mittwoch im Schockzustand. Selbst alte Hasen im Exportgeschäft wie Toyota- Chef Tatsuro Toyoda staunten, als der Yen in der Nacht zum Mittwoch in New York einen Gipfel nahm, den zuvor viele für unbezwingbar hielten: 1 Yen gleich 1 Cent lautete der neue Kurs. Massive Interventionen der japanischen Zentralbank halfen nicht. Die historische Erfahrung sprach zudem für eine weitere Aufwertung des Yen. Magische Grenzen wie die Yen-Cent-Parität wurden in der Vergangenheit nie folgenlos überschritten.
„Wir können unter diesen Bedingungen keine Gewinne mehr erwirtschaften“, stöhnte Tatsuro Toyoda, obwohl er damit gerade den jüngsten Erfahrungen widersprach. Trotz einer Yen-Aufwertung gegenüber dem Dollar um 14 Prozent im letzten Jahr hatte Toyota kaum Profitrückgänge hinnehmen müssen. Aber noch jede Yen-Aufwertung, die ohne die anhaltenden Qualitätssteigerungen japanischer Produkte undenkbar wäre und dem Land eigentlich Anlaß zum Feiern gäbe, wurde in Japan als drohende Katastrophe empfunden.
Tatsächlich erscheinen die Sorgen um die internationale Konkurrenzfähigkeit japanischer Unternehmen diesmal besonders fehl am Platz. Erst am Dienstag hatte die Regierung eine jährliche Wachstumsrate von stolzen 3,9 Prozent fürs erste Quartal 1993 bekanntgegeben, das beste Vierteljahresergebnis innerhalb von drei Jahren.
Der japanische Handelsüberschuß, der bis März eine Rekordhöhe von 225 Milliarden Mark erreichte, stieg auch im April im Vergleich zum gleichen Monat des Vorjahres weiter an. Darin liegen denn auch die tieferen Gründe für das historische Yen-Hoch. Denn einerseits hat die verbesserte Wirtschaftslage in Japan und Westeuropa den Dollar in den letzten Wochen geschwächt, andererseits treibt der gigantische japanische Handelsüberschuß besonders den Yen weiter nach oben.
Während aber die Regierung am Mittwoch nach altem Muster eine Krisensitzung des Kabinetts einberief und zugleich die Börsenkurse deutlich absackten, gab es in Tokio auch einige, die sich freuten: „Je höher der Yen, desto besser unser Service“, versprach der Manager eines Tokioter Supermarkts seinen Kunden, die nach billigeren Importprodukten Ausschau hielten.
Tatsächlich ist vor allem ein Anstieg der Verbrauchernachfrage um 5,8 Prozent im ersten Quartal für die verbesserten Wirtschaftsaussichten verantwortlich. Daß ein Wirtschaftsaufschwung, der von der Binnennachfrage getragen wird, von einem starken Yen nur profitieren kann, wollten die Verantwortlichen in Tokio freilich mit aller Macht und gutem Grund verheimlichen: Die finanz- und wirtschaftspolitischen Ansprüche des Westens an Japan auf dem nahen Weltwirtschaftsgipfel in Neapel könnten sonst ins Unermeßliche wachsen.
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