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Auf Zuruf die Grundrhythmen

Die Pionierzeit der CD-I ist zu Ende, es folgt bereits interaktiver Trash – vom CD-Pin-up zur als Rap vorgetragenen Hilfe-Datei  ■ Von Thomas Kallweit

Seit rund zwei Jahren schwillt sie, nicht nur auf Fachmessen, unüberhörbar an: die Rede von den „audiophilen Fossilen“. Gemeint sind die „herkömmlichen“ Tonträger – Tape, Platte und CD – im Unterschied zu den „neuen“, Bilder und Töne beherbergenden Speichermedien CD-I(nteractive) von Philips und der Bild-CD von Kodak. Was seitdem in den Etwicklungsabteilungen der Computerbranche unter dem Schlagwort „Multimedia“ vorangetrieben wurde, ist heute soweit marktfähig, daß erste Folgen abzusehen sind. Auch für die Hör-, Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten der „User“.

Am Anfang war, wie immer, Pop. Noch leicht staunend begegnete die Musikpresse den Veröffentlichungen von Peter Gabriel und den Residents im Frühjahr dieses Jahres. Beide – aus ganz unterschiedlichen Ecken kommend, doch als selbsternannte „Avantgarde“-Interpreten neuen Technologien immer schon aufgeschlossen – warfen ein „interaktives“ Produkt auf den Markt, sprich: eine CD, die für den User an bestimmten Stellen Eingriffsmöglichkeiten bietet.

Für Gabriels „Explora“ waren 20 Programmierer etwa zwei Jahre bei einem geschätzten Etat von 500.000 Dollar tätig. Die Residents fanden für ihre „Freakshow“-CD animatorische Unterstützung von Illustrator Jim Ludte, der schon einige MTV-Spots konzipierte.

Mit der Maus in die Manege

Während Gabriel sich und seinen weltmusikalisch ausgerichteten RealWorld-Studios quasi selbst ein virtuelles Denkmal setzte, bevorzugten die Residents eine interaktive Spielhandlung. Wer schon einmal eine Computermaus in der Faust hatte, stelle sich das so vor: Nach Ablauf des Vorspanns befinden wir uns inmitten der Manege eines Zirkus. Per Mausklick kann gewählt werden, welcher Vorhang verschiedener Bühnen aufgeht, dann spielen sich – nomen est omen – Komplettanimationen Gehandicapter ab. Sie heißen „Harry the Head“ oder „Wanda the Wormwoman“.

Hat man die Show satt, verläßt man das Zelt, streift über den nächtlichen Vorplatz und schnüffelt in die Wohnwagen der Freaks rein. Dort kann man den Zirkusdirektor weintrinkend, zigarrenpaffend vor der Glotze erleben, kann ihn beim Channelhopping stören; plötzlich erscheint auf dem Fernseher ein Musikvideo-Clip der Residents. Auch für Hintergrundwissen ist gesorgt: Fotoalben geben Aufschluß über die Geschichte historischer „Freaks“ zu Anfang des Jahrhunderts. Und die Eigenwerbung kommt auch hier nicht zu kurz: In einem Zelt in Form eines großen Auges, dem Emblem der Gruppe aus San Francisco, findet man hinter beschrifteten Schleusentüren Entsprechendes zu „Merchandize“, „Video“ und „Music“.

Sound plus Bild plus Text

Das ist alles erst der Anfang – und doch doch zum Teil schon erstaunlich elaboriert. Gerade im Gimmick-Bereich, in dem das Neue sich noch quasi selber testet. Peter Gabriels Kopf etwa begleitet einen zeitweilig in der linken oberen Bildschirmecke, gibt Statements ab über die Entstehungsbedingungen der letzten Audio-CD. Per Bild-im-Bild-Video kann man simulierterweise durch die Gänge des RealWorld-Studios watscheln, Türen öffnen und der Band bei den Aufnahmen zugucken. Wir dürfen Gabriels Paß einsehen – draufgeklickt morpht sich sein Gesicht vom Säugling bis zum Totenkopf.

Zumindest der Vollständigkeit halber sei noch ein dritter Pionier erwähnt: „No World Order“ von Todd Rundgren. Auf seiner CD-I(nteractive, ausschließlich auf Philips-Playern laufend) gibt es etwa tausend Musiksegmente, das heißt zwei bis vier Takte lange Stücke, die frei ausgewählt werden können. Sie sind Mix-Varianten diverser Musiker/Komponisten wie Hal Willner, Don Was oder Jerry Harrison. Deutlich wird hier bereits die große Datenmenge, die

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eine CD-ROM in der Lage ist, zu speichern. Zum Vergleich: Eine HD-Diskette faßt 1,2 MB, eine CD-ROM hingegen etwa 620 MB. Diese hohe Speicherrate ist es (neben der Digitalisierung als Grundvoraussetzung), die die multimediale Kombination von Sound plus Bilder plus Text erst ermöglicht.

Erster Künstler auf dem deutschsprachigen Markt in punkto Interaktivität war übrigens Herbert Grönemeyer – seine 5-Track-„Chaos“-CD-ROM erschien bereits letztes Jahr im Herbst. Wesentlich eingeschränkter hier der Aktionsradius des Users: Videoclips sind aktivierbar, dazu lassen sich die Songtexte „abscrollen“, mehr nicht. Zudem ist die Bildauflösung relativ grobkörnig.

IBM, Macintosh und gemischte Mode

Das liegt daran, daß seine CD- ROM eine sogenannte „hybride“ ist: Sie läuft anders als die oben genannten auf zweierlei Computerlaufwerken: (IBM-kompatibler) PC oder Apple Macintosh. Ein weiteres Format stellt die „Mixed- Mode-CD“ dar. Sie ist sowohl auf althergebrachten reinen Audio- CD-Playern abspielbar als auch auf einem Computer-Laufwerk. Wer das hat, kann wiederum, wie bei der kürzlich erschienenen CD des Jazzers Jason Miles, Zusatz- Textinformationen abrufen; was in dem Fall bloß bedeutet, daß sein Label den Labelkatalog auf dem Bildschirm statt im Coversheet zeigt.

Die nächste Zeit wird erst einmal eine Verbreit(er)ung dieser Anfänge bringen: David Bowie etwa hat eine CD-ROM in Arbeit, die in vielem der von Gabriel entspricht.

Fest steht zudem, daß Medienkonzerne wie Sony, Time Warner, MCA und Paramount seit geraumer Zeit ihre Entwicklungsabteilungen für interaktive Tonträger stehen haben, um in medias res bezüglich digitaler Strategien für die neue Consumer Acitivity zu gehen. Prince, Madonna, Thomas Dolby lassen ihre virtuellen Visionen bereits ausarbeiten. Michael Jackson, heißt es, sei gar dabei, eine interaktive Fernsehsendung zu produzieren.

Hierzulande wird es demnächst eine BAP-CD-ROM geben – die interaktive Version der letzten CD „Pik Sibbe“, BAP-Quiz und Fotoalbum inklusive.

Doch auch jenseits des unmittelbaren Pop-Sektors existiert bereits ein reger Handel mit interaktiven CDs, hierzulande großenteils via Mailorder. Da die meisten der auf etwa 8.000 Stück weltweit geschätzten CD-ROMs im Handel aus den USA kommen, werden die CD-ROMs von hiesigen Versandunternehmen per Stückzahl ein- und weiterverkauft – woraus sich ergibt, daß es kein geschlossenes Vertriebssystem gibt. Im Angebot: Klassik-CD-ROMs der amerikanischen Voyager-Company – Beethovens Neunte, Strawinsky, Brahms und Mahler als Computeranschauungsmaterial: Hörbeispiele einzelner Instrumentenstimmen sind abrufbar, samt historischer Informationen zu den Komponisten.

Auf dem sogenannten „Shareware“-Sektor machen CD-ROMs zu Dumpingpreisen die Runde – erster Interaktiv-Trash: zum Beispiel Sammlungen sogenannter WAV-Dateien, die auf etwa 620 MB superviele (GEMA-freie) Sounds parat halten, welche dann sowohl Werbemusiker nutzen können als auch User, die nur zur Programmeröffnung durch einen Preßlufthammer oder ein analoges „Bleep“ begrüßt werden wollen. Der Mac-CD-ROM Versand TIZA aus Düsseldorf wirbt für eine „Rock Rap'n Roll“ betitelte Silberscheibe mit den Worten: „Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine richtige Begleitband, die auf Zuruf die Grundrhythmen zehn verschiedener Musikrichtungen spielt, sowie einen Arrangeur, der Ihre wie unbeholfen auch immer vorgetragenen musikalischen Gehversuche in gefällige Stücke verwandelt. Und obendrauf gibt's noch die passenden Spracheffekte jeder Stilrichtung: ,Ooooh, baby!‘ Als Dreingabe enthält die CD übrigens die erste als Rap vorgetragene Hilfedatei der Welt.“

Auf der Suche nach dem Format

Der Boom zeichnet sich bereits im Stadtbild ab: Erste CD-ROM-only-Shops eröffnen, die neben Musik-CD-ROMs interaktive Lernprogramme, „Reisen“ (nach dem Motto: wenn ich nicht nach Hawaii kann, laufe ich von zu Hause aus über Monitor drauf rum), Lexika und so weiter anbieten – das Medium ist universal nutzbar. Auf World Media Interactive, einer interaktiven Zeitschrift für neue Medien, die mit der „World Media Art Gallery“ ein Forum für die Veröffentlichung rechnererzeugter künstlerischer Arbeiten“ enthält, sind Künstler und Computerkreative aufgerufen sich zu beteiligen.

Auch Theresa Orlowski ist interaktiv: Schon mehr als 100 Pin- up- und Porno-CD-ROMs sind derzeit erhältlich. Neue Firmen entstehen, die „Synergien“ ausnutzen, zum Beispiel Musikbranchenerfahrungen mit dem Wissen von Computercracks, etwa IMV mit Sitz in Hannover und Halle. Verleger Ulrich Hornberg hatte bis dato den Ausfahrt-Musikverlag, nun plant er mit Partner Kai Lotze eine interaktive Compilation mit „bedeutsamer Elektromusik von Depeche Mode bis Kraftwerk.“

Dem ganz großen Durchbruch steht allerdings bislang der Preis im Weg: Die meisten CD-ROMs kosten um die hundert Mark. Und: Viele laufen nur auf Apple Mac – dabei haben in Deutschland, anders als in den Staaten, etwa 90 Prozent der User einen PC. Das bedeutet, das Medium bleibt vorerst nur einer Minderheit professionell mit Mac Arbeitender vorbehalten.

Doch ähnlich wie auf dem Videomarkt wird sich über kurz oder lang ein einheitliches Format durchsetzen – schon weil die Großkonzerne das brauchen. Hollywoods Spielberg und Lucas – mit beiden Beinen schon dick in der Adventure-Game-Branche, sind bereits daran, interaktive Versionen von „Jurassic Park“ und anderen Spielfilmen zu entwickeln. Die erste interaktive Game-Show gibt es seit April auf dem Kabelkanal. Für Kinder. Die dürfen per Telefonanruf einen Troll namens „Hugo“ durch Bergwerkminen schicken. Nach eigenen Angaben investiert der Sender noch in diesem Jahr einen Betrag in zweistelliger Millionenhöhe.

Doch für apokalyptische Szenarien eignet sich die interaktive CD genau so schlecht wie für eine technikfrohe Beschwörung virtueller Zukunften oder den alten Horror vor der „künstlichen Intelligenz“ taking over: So schön die Nova- Media-Apologeten mit Begriffen wie „Kreativität“ und „größerer Entscheidungsvielfalt beim Consumer“ gurren, ich habe auf „Explora“ Gabriels redenden Kopf nicht dazu bringen können, rückwärts zu reden. Das war im Schöpfungsplan der Programmierer nicht vorgesehen. Ein interaktives Medium ist nämlich immer nur so interaktiv, wie sein Programmierer es vorgibt.

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