: Eine Lobby fürs Archiv
Einfahrende Züge, Free Jazz und Filme ohne Kino: Die Kunsthalle Zürich zeigt Arbeiten des diesjährigen DAAD-Stipendiaten Stan Douglas ■ Von Jochen Becker
Die Kunsthalle Zürich spielt eine unklare Rolle. Unentschieden zwischen musealer Repräsentation und Abspielstätte des Kunsthandels, pflegen deren Betreiber einen opaken Stil. Durch eigens angefertigte Kataloge, ein großzügiges Entree, Eintrittsgeld und weit-weiße Räume tritt die Kunsthalle als Institution auf. Hier erhält der schon etablierte Nachwuchs eine Chance zur hochwertigen Präsentation. Im Unterschied zu Museen und Kunstvereinen liegen die Räume für zeitgenössische Kunst nicht im Herzen der Stadt, sondern auf einem „Industriegelände im Wandel“, direkt am Autobahnzubringer. Hier werden auch keine thematischen Ausstellungen mit Ortsbezug kuratiert, vielmehr marktübliche Einzelkünstler vorgezeigt. Das von Galerien für aktuelle Kunst eingerahmte Gebäude ebnet und nobiliert den Weg, welchen die Händler vorbahnen. Und so machen es die in der Positionierung der Kunsthalle vermuteten Beziehungen schwer, die Arbeiten für sich zu betrachten.
Der 34jährige documenta-Teilnehmer Stan Douglas aus Vancouver, Kanada, ist ein Shooting-Star. Die mit straffer Hand organisierte Europatournee – Centre Pompidou in Paris, Nationalmuseum Reina Sofia in Madrid, Kunsthalle Zürich, Witte de With in Rotterdam, ICA London sowie Stipendium des DAAD in Berlin – verankern ihn sicher im Hafen großer Sammlungen. Seine aufwendigen Multimedia-Installationen benötigen, auf Dauer gesehen, viel Platz und technische Assistenz für Filmprojektionen oder den Midi-gesteuerten Flügel, was letztendlich nur ein Museum aufzubringen vermag. Auch die Auswahl seiner Referenzen – Arnold Schönberg, Marcel Proust, klassischer Free Jazz, historisch wertvoller Stummfilm – wirkt ambitioniert: High Culture in Progress.
Vom Umschreiben zum Urheberschutz
Umschreiben, Montieren und Neuinterpretieren historisch sedimentierter Materialien sind die Arbeitsbereiche von Stan Douglas, auf der Suche nach verlorenen Zeiten. Für die kombinierte Film- und Toninstallation „Overture“ (1986, sieben Minuten) arrangierte er gesprochene Teile aus dem Proust-Werk mit auf Leinwand projizierten Eisenbahnfahrten durch die Rocky Mountains der Jahrhundertwende, die aus dem Archiv der Edison Film Company stammen. Eine an der Lokspitze fixierte Kamera nimmt die sich durch den Fels windenden Gleise in Fahrtrichtung bis zum Verschwinden im Tunnel auf, ohne daß ein Aufnahmeleiter noch benötigt würde. Die „Handschrift“ des Sammlers tritt vor der automatischen Kamera zurück, doch paradoxerweise genießen diese Gerhard-Richter-mäßig verwaschenen Panoramabilder urheberrechtlichen Schutz.
Auch Douglas demonstriert knapp 100 Jahre später Distanz zur künstlerischen Kreation. Jedoch löst sich die Autorenschaft nicht einfach durchs Autoreverse der Bild- und Tonschleifen auf. „Der durch die Ausstellung erweiterte Film“ – eine Bezeichnung, die aus dem Katalogtext von Jean-Christophe Royoux stammt – erhält eine erneute, urheberrechtlich relevante Bedeutung durch Douglas' zugegebenermaßen verhaltenes Auftreten als Installateur und Arrangeur fremden Materials: Die – ähnlich der GEMA – als Rechtsvertretung der Künstler agierende „VG Bild-Kunst“ müßte selbstverständlich auch seine Interessen wahren.
Für die schon auf der letzten documenta gezeigte Videodoppelprojektion „Hors champs“ (1992, 14 Minuten) greift Douglas auf selbstproduziertes Archivmaterial zurück. So ließ er im Fernsehstil jener Zeit Albert Aylers Free-Jazz- Stück „Spirit Rejoice“ von 1965 neu einspielen. Die vier Musiker interpretieren den Klassiker vor neutralem Studiohintergrund; die Aufzeichnung ist durch bedächtige Kamerabewegungen wie in Watte gepackt. Auf der einen Seite der frei von der Decke hängenden Leinwand sieht man die endgültige Schnittfassung des schwarzweißen Free-Jazz-Clips; auf der Rückseite die restlichen, sonst wegfallenden Aufnahmen: Hier sucht die Kamera rasch nach einer neuen Position, wird die Schärfe nachgezogen und werden wie nebenbei auch Musiker gezeigt, wenn sie – auf ihren Einsatz wartend – den anderen Stimmen des Quartetts lauschen. Spielen und Zuhören, In- und Out- Takes sind hier zwei Seiten der Medaille und verdeutlichen im Unterschied zur Mono-Struktur des Fernsehens den kollektiven Entstehungsprozeß freier Musik.
Befreite Musik in der Falle der Hochkultur
Neben einer – etwas pathetischen – Widmung an das „Volk von South Central“ erinnert Douglas hierbei auch an die zahlreichen farbigen Jazzer, die aufgrund rassistischer Verfolgung oder ökonomischer Notlagen nach Paris auswanderten, indem er die Wiederaufnahme des Ayler-Stücks durchweg mit in Frankreich lebenden amerikanischen Musikern besetzte. Er verweist auf eine emanzipative Epoche, deren künstlerische Produkte nunmehr – Adorno ist ja schon lange tot – nicht mehr um Anerkennung ringen müssen. Durch den vordringlich historisierenden Stil verdrängt Douglas die befreite Musik ins Abseits des Vergangenen und plaziert sie als verfügbare Masse bildungsbürgerlicher Hochkultur.
Die bislang letzte Arbeit „Persuit, Fear, Catastrophe: Ruskin B.C.“ (1993, 15 Minuten) bezieht ihre Spannung aus den Referenzen an Arnold Schönbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene – Bedrohliche Verfolgung, Angst, Katastrophe“, gespielt auf einem führerlosen Konzertflügel, und der elektronisch damit gekoppelten Filmprojektion eines Polizeifalls im kanadischen Örtchen Ruskin. Die dramatische Musik, eigentlich für bilderlosen Vortrag vorgesehen, läßt die Filmvorführung zwischen 30er Jahre und Jetztzeit kippeln. Die Vermißtenstory aus den Gerichtsakten, angesiedelt zwischen einem neogotischen Wasserwerk, der Polizeistation und einer Containersiedlung, kommt ohne rechte Handlung aus und erinnert so an den bunten Leerlauf von „Twin Peaks“. Doch Douglas müht die Cinemathographie, setzt Film-noire-Leuchten, schneidet wie im Stummfilm und präsentiert eine Turbine, als wäre sie eine Skulptur.
Wenige Jahre nach Fertigstellung der Begleitmusik mußte der jüdische Komponist nach Kalifornien flüchten. Unter seinen dortigen Schülern befanden sich spätere Hollywood-Komponisten, die seinen Sound zum Ausdruck extremer Emotionen nutzten. Ruskin wiederum, eine um die Jahrhundertwende in British Columbia gegründete und nach dem Kunstkritiker John Ruskin benannte sozialreformerische Landkommune, bot vielen ausgewanderten Chinesen und Japanern Exil, bis letztere ab 1942 als „enemy aliens“ interniert wurden. Erneut drängen sich durch Douglas' Stil hochkulturelle Referenzen in den Vordergrund, ohne dem konzeptuellen Potential multipler Anschlußfähigkeiten (Ruskin und Schönberg, Exil vor den Deutschen in Hollywood und Deportation wegen der Deutsch- Japanischen Allianz, Reform des Sozialen und der Musik) genügend Raum zu lassen. Stan Douglas soll früher als DJ gejobt haben. Vielleicht legt er ja auch mal wieder eine etwas tanzbarere Platte auf.
Bis 7. August in Zürich; vom 10. September bis 30. Oktober im Rotterdamer Museum Witte de With.
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