: Das Robin-Hood-Prinzip
■ Kulturaustausch mit Trockenfisch und Zivilisationsmüll: Sechs Künstler und Künstlerinnen aus Paris zeigen Arbeiten im Kunsthof an der Oranienburger Straße
Unzählige Fischköpfe schmoren in der Sonne. Stumm, mit weit aufgerissenen Mäulern und starrem Blick, als würden auch die Toten unter dem subtropischen Berliner Klima leiden. Das morbide Ensemble ist Teil einer Installation des französischen Künstlers François Giovangigli, die momentan im Rahmen des Projekts „légaliser la culture“ im „Kunsthof“ in der Oranienburger Straße 27 ausgestellt wird.
Sechs Pariser Künstlerinnen und Künstler, die jüngste vierundzwanzig, die älteste zweiundvierzig, hat der Ausstellungsmacher Jean Claude Pennes nach Berlin geholt, finanziert wurde das Unternehmen weitgehend aus eigener Tasche. Für eine Unterstützung mit öffentlichen Geldern war „légaliser la culture“ zu spontan geplant. Zwei Jahre hätte Pennes sich gedulden müssen, bis wieder „Staatsknete“ vom Kulturministerium frei geworden wäre. So lange konnte er nicht warten, zu groß war die Neugier auf den „avantgardistischen Esprit“ der Stadt. Die Unkosten für Katalog-Druck, Transport und Anreise der Künstler lassen sich durch die hohen Gewerbemieten begleichen. Im „Kunsthof“ werden fast ausschließlich Edel-Mieter angenommen, Architekten, Design-Büros, die den erhöhten Obolus im Namen der Kunst aufbringen können. Ein Finanzierungskonzept, das Dr. Ull Eisel, die den Hof verwaltet, „das Robin-Hood-Prinzip“ nennt.
Einige der KünstlerInnen sind schon vor Wochen nach Berlin gekommen, um etwas von der Atmosphäre der zusammenwachsenden Stadt in ihre Kunst aufzunehmen. Herausgekommen ist ein Kulturen-Mix par excellence. Die gebürtige Deutsche Nola Wiedmann, seit fünfzehn Jahren in Paris, malt abstrakte Bilder, Farbfelder, in die sie feine, unregelmäßige Lineaturen einschreibt: Das „Unvorhergesehene“ kommt hier zu seinem Recht. Wie Traumsequenzen muten dagegen die Gemälde der Amerikanerin Terry Ekasala an. Aus einem ungegenständlichen, zart kolorierten Hintergrund treten Gebilde hervor, die für einen kurzen Moment wie Blumen erscheinen, ehe sie wieder ins Namenlose, Unbewußte entgleiten. Die Farben zum Glühen bringt die 24jährige Fouzia Chakour in ihren Bildern. Blau, Grau, ein helles Braun, sie leuchten auf den 1,50 mal 1 Meter großen Papierbahnen, wie man es sonst nur selten sieht.
Die Kunst von „légaliser la culture“ verleugnet ihre Herkunft nicht: es ist Kunst, die aus der Großstadt kommt. Da darf auch Zivilisationsmüll, das „Fundstück“, nicht fehlen. Der 37jährige Julieth Mars Toussaint, geboren in Saint-Pierre auf der Insel Martinique, bemalt Bauschutt in düsteren, dunklen Tönen und ritzt dann dünne, an archaische Zeichen erinnernde Linien in das Holz. „Die Dichte der Intimität“ nennt die seit langem in Paris lebenden Belgierin Olga van de Bovenkamp ihren Bilderzyklus, in dem sie abstrakte und gegenständliche Elemente gleichermaßen in der Schwebe hält.
Von François Giovangigli schließlich stammt nicht nur die Installation im Hof, sondern auch das Logo von „légaliser la culture“. Wieder sind es Fischköpfe, die diesmal zu einem Beinahe-Kuß zueinanderfinden. Allzu ernst sollte man diese pessimistische Metapher jedoch nicht nehmen. Das Wichtigste bei dieser Ausstellung ist doch allem voran der Austausch, die „kreative Begegnung“, die es Gästen wie Gastgebern abseits offizieller Kontakte ermöglichen soll, einander kennenzulernen und „Gemeinsamkeiten zu entdecken“. Und tatsächlich, wie man so durch die Ausstellung geht, wird man das Gefühl nicht los, Kunst wie diese schon einmal gesehen zu haben. Wo? In Berlin. Ulrich Clewing
Kunstmesse im Kunsthof, bis 28. August, Oranienburger Straße 27, Mitte. Di.–Do. 13.30–18.30 Uhr, Fr.–So. 13.30–21 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen