■ Inseln des Glücks?: Gewerkschaften und Einwanderung
Eine weitverbreitete These besagt: In den Betrieben ist die Welt noch in Ordnung. Dank gleichberechtigter Mitbestimmung klappt es im Verhältnis zwischen Deutschen und MigrantInnen quasi optimal. Während „draußen“ Menschen beschimpft, verprügelt und verbrannt werden, weil sie woanders geboren wurden oder eine andere Hautfarbe haben, begegnet man sich in den Fabrikhallen und Büroräumen der Republik mit gegenseitigem Respekt. Rassismus im Betrieb ist tabu. Der soziale Friede an Förderbändern und in Montagehallen scheint intakt. Doch die bittere Wahrheit ist: Betriebe taugen nur sehr bedingt als Inseln der Glückseligkeit. Sichtbare schlimme Ausschreitungen – wie wir sie aus den letzten vier Jahren kennen – gibt es hier zwar nicht. Diskriminierung von AusländerInnen am Arbeitsplatz sind aber an der Tagesordnung. Zutage gefördert werden die relativ sublimen rassistischen Verhaltensmuster selten oder nur als „Betriebsunfälle“, weil sie Teil eines perfekt funktionierenden Systems sind, das dem Soziologen Thomas von Freyberg als Deutschlands „heimlicher Gesellschaftsvertrag“ gilt.
Der Frankfurter Wissenschaftler beschreibt in seinem Beitrag zu „Gewerkschaften und Einwanderung“ die „relative Ruhe in den Betrieben“ als Konsequenz aus der Tatsache, daß vor Jahrzehnten eingeführte Ethnisierungsmechanismen (noch) bestens greifen. Während formal Gleichberechtigung herrscht, wird die innerbetriebliche Arbeitsteilung bis heute durchweg hierarchisch und zum Nachteil der MigrantInnen organisiert. Als Beleg zitiert von Freyberg die Ergebnisse einer dreijährigen Studie des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main über Konfliktbewältigungen bei der kommunalen Müllabfuhr, wo über 50 Prozent der Belegschaft MigrantInnen sind.
Wie ein roter Faden zieht sich die strukturelle Benachteiligung von AusländerInnen durch die einzelnen Beiträge des Bandes. Dabei wird auch das antirassistische Engagement der Arbeitnehmervertretungen kritisch unter die Lupe genommen. So erfährt der Leser, daß die Gewerkschaften erst lernen mußten, den Einwanderern Bedeutung beizumessen. Bis in die frühen 70er Jahre verstanden sie sich laut Peter Kühne lediglich als Lobbys der deutschen Arbeiter und erreichten – als sich die ersten Rezessionskurven abzeichneten – bei der Regierung Brandt den Anwerbestopp (1973), indem sie massiven politischen Druck ausübten. Das Argument: Der weitere Zuzug von Ausländern drücke die Tarife.
Daß die Gewerkschaften sich später für ein volles Mitbestimmungsrecht der hiergebliebenen MigrantInnen stark machten, war weniger Einsicht in Menschenrechte als motiviert von vorausschauendem Eigennutz. Was heute als revolutionäre Initiative für die Gleichstellung verkauft wird, war geboren aus der Angst, mit der Spaltung des Arbeitsmarktes am Ende selbst Verlierer zu sein.
Das Werk „Gewerkschaften und Einwanderung“ eröffnet viele interessante Einblicke in ein vermeintlich bis zum Überdruß beackertes Thema. Die laut Untertitel „kritische Zwischenbilanz“ hätte getrost schärfer formuliert und sprachlich ansprechender geschrieben werden könne.Franco Foraci
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