: Aktiv gegen die Magnetwellenflut
■ Norddeutscher Bürgerinitiativ-Verband im Kampf gegen Elektrosmog Von Marco Carini
„Einen ungeheuren Forschungsbedarf“ sieht Wulf Jütting „beim Thema elektromagnetische Wellen“. Der zweite Vorsitzende des schleswig-holsteinischen Bür–gerinitiativ-Verbandes gegen Elek–trosmog hat keine Lust mehr, „Versuchskaninchen zu spielen“.
Er steht damit nicht allein. Bereits vor zwei Jahren gründete sich in Neumünster der Landes-Verband gegen Elektrosmog, in dem mehr als ein Dutzend lokale Initiativen mitarbeiten. Jütting: „Fast alle Wissenschaftler sind sich einig, daß elektromagnetische Wellen eine noch weitgehend unbekannte Wirkung auf den Körper haben - trotzdem wird ein Funkturm nach dem nächsten hochgezogen.“
Die Angst vor Elektrosmog geht um. Immer mehr Studien aus der ganzen Welt liefern Hinweise darauf, daß elektromagnetische Felder viele Krankheiten befördern. So kommt eine Studie des schwedischen Instituts für Umweltmedizin zu dem Ergebnis: Für Kinder, die weniger als 50 Meter von Hochspannungsmasten entfernt wohnen, verdoppelt sich das Leukämie-Risiko. Zum Vergleich: laut GAL befinden sich in Hamburg zehn Spielplätze und 19 Schulen direkt unter Hochspannungsleitungen.
Bei einer Umfrage des Fellbacher „Institut für baubiologische Anwendungen“ unter über 1000 Menschen, die in unmittelbarer Nähe von Hochspannungsleitungen leben, klagten 97 Prozent der Befragten über Gesundheitsbeschwerden. Mehr als die Hälfte von ihnen hat mit häufigen Kopfschmerzen, Über-Nervosität, permanenter Reizbarkeit oder Schlafstörungen zu kämpfen.
Doch da der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung noch im Dunkeln liegt, spricht die Telekom von „Panikmache“ und „pseudowissenschaftlichen Untersuchungen“. Die Bürgerinitiativen gegen den Elektrosmog hingegen werfen den Funkturmbetreibern vor, mögliche Gesundheitsgefahren „herunterzuspielen“ und den Forschungsergebnissen mit „Ignoranz“ zu begegnen.
Niemand kann dem Elektrosmog entkommen. Um jede Wechselstrom-Leitung, egal ob 380.000 Volt-Hochspannungstrasse oder das 220 Volt-Kabel, das den Toaster und den Radiowecker versorgt, bauen sich elektromagnetische Felder unterschiedlicher Stärke und Frequenz auf.
8000 Rundfunk- und Fernsehsender, militärische und zivile Funkstationen und Fernmeldesatelliten strahlen unaufhörlich elektromagnetische Wellen in hoher Konzentration ab. Doch auch Fernseher, Radios und Mikrowellen sind dauerhafte Strahlenquellen. Wulf Jütting betont: „Schon heute haben wir von allen Ländern die höchste Belastung mit Elektrosmog.“ Und die verdopple sich zur Zeit noch alle vier Jahre.
Einen Hauptanteil am Wellen-Boom trägt dabei der massive Ausbau des Mobilfunknetzes. Zur Zeit überzieht die Telekom die Republik mit über 3500 Funktürmen und Antennenträgern, die im Abstand von knapp 20 Kilometern zueinander eine flächendeckende Versorgung des D1-Mobilfunknetzes sichern sollen.
Diese Flut der Funktürme hat auch im Norden die AnwohnerInnen auf den Plan gerufen, die sich vor dem Wellensalat fürchten. Ob in Ammersbek, Surendorf oder Barsbüttel, Albsfelde oder Lankau - seit Anfang der neunziger Jahre protestierten immer mehr Schleswig-HolsteinerInnen gegen den Neubau von Antennenträgern.
Zum Teil mit Erfolg. In Suren–dorf bei Kiel sorgten die AnwohnerInnenproteste dafür, daß der gemeindliche Bauausschuß den Bau eines Antennenmastes ablehnte, in Albsfelde bei Ratzeburg sprach sich die Gemeindeversammlung einstimmig gegen den Neubau eines Fernmeldeturms aus.
Als Anfang der 90er Jahre in Barsbüttel, an der Ostgrenze von Hamburg, zwei neue Funktürme geplant wurden, begann sich auch Margarete Hoffmann „mit den Gefahren elektromagnetischer Wellen und Felder zu beschäftigen“. „Während die USA 60 Millionen Dollar in die Erforschung der von elektromagnetischen Wellen und Feldern ausgehenden Gesundheitsgefahren steckt, fehlen solche Forschungen in Deutschland fast ganz“, klagt die Apothekerin.
Die Barsbüttler Elektrosmog-Initiative, der auch Wulf Jütting angehört, ist so etwas wie das Herzstück des Elektrosmog-Landesverbandes geworden. Gegen die Türme vor der eigenen Haustür protestierten die BarsbüttlerInnen bislang mit unterschiedlichem Erfolg: Ein 316 Meter hoher Funkturm, der in der Barsbüttler Feldmark den überlasteten Hamburger Funkturm entlasten sollte, wird nach den AnwohnerInnen-Protesten jetzt auf Hamburger Gebiet errichtet: am Höltigbaum. Gegen einen weiteren, kleineren Teleturm südlich des Barsbüttler Friedhofs klagte ein Anwohner erfolglos. Die Klage wurde vor wenigen Tagen vom Verwaltungsgericht Schleswig abgewiesen, da nach Meinung der Richter eine mögliche Gesundheitsgefährdung unbewiesen sei.
Doch die Rechtssprechung ist hier uneinheitlich. So verhinderten 1992 nacheinander das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg, daß der bereits erbaute 81 Meter hohe Funkturm mit der Abstrahltechnik für Mobil- und Richtfunk versehen wird, da Gesundheitsgefährdungen für die AnwohnerInnen nicht ausgeschlossen werden könnten.
Auch in Gelsenkirchen drehten die Richter die Beweislast um und bewerteten das Interesse eines Klägers, „nicht schutzlos dem unkalkulierbaren Gefährdungspotential dieser neuen Fernmeldetechnik ausgeliefert zu werden“, als „in hohem Maße schutzwürdig“.
Unkalkulierbar werden die Gefahren wohl so lange bleiben, bis massive Forschungsprogramme den Elektro-Smog durchleuchten. Immerhin hat der Lübecker Humanphysiologe Leberecht von Klitzing nachweisen können, daß die Strahlung des D-Mobilfunks die menschlichen Hirnströme zu verändern in der Lage ist. Doch Veränderung, so betonen die Betreiber, heiße nicht zwangsläufig auch Gesundheitsgefährdung.
Wie sich die zunehmenden Wellen immer mehr in die Quere kommen und gegenseitig beeinflussen, zeigt sich bislang eindeutig nur im unbelebten Bereich technischer Gerätschaften. Dem Benutzer eines Autotelefons schnellte unlängst der Airbag entgegen - fehlgesteuert durch die Funksignale.
Aus einer Kirchenorgel in St. Korbian, nahe München, tönten plötzlich Nachrichten des Senders „Free Europe“. Und der stolze Besitzer eines nagelneuen Mobil–phones kam gleich beim ersten Gespräch seiner Waschmaschine zu nahe. Das irritierte Gerät schaltete - noch mit Wasser gefüllt - abrupt in den Schleudergang und lief anschließend Amok.
Kontakt: W. Jütting: 6702277, L. Kleinschmidt 04308/1048
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