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Naturheilkunde im Aufwind

■ An den Lehrstühlen in Berlin und Ulm werden die natürlichen Heilverfahren erforscht / Immer mehr Ärzte machen eine naturheilkundliche Zusatzausbildung

Heilpflanzen und Wunderkräuter, Bäder und Wässerchen, Wunderheilungen durch telepathische Kräfte – lange Jahre wurde die Naturheilkunde mit obskuren Geistheilern und zwielichtigen Wunderdoktoren in einen Topf geworfen. Doch während andere alternative Methoden wie Homöopathie und antroposophische Medizin noch vielfach umstritten sind, bricht die Naturheilkunde allmählich aus ihrem Schattendasein aus.

Akademisches Lehrkrankenhaus in Moabit, IV. Innere Station: Hier wird den Krankheiten nicht mit Apparaten und chemischen Keulen zu Leibe gerückt, sondern vor allem mit naturheilkundlicher Behandlung. Ihr Leiter Malte Bühring ist seit 1989 Professor für Naturheilkunde an der Freien Universität Berlin. Sein Lehrstuhl war der erste Lehrstuhl seines Faches in Deutschland. Auf der Station für Naturheilweisen wird vor allem die klinische Anwendung von Naturheilkunde erprobt. Seit dem ersten August gibt es sogar eine naturheilkundliche Ambulanz. Beim Bed-side-teaching, dem Direktunterricht am Patientenbett, lernen die Studenten die naturheilkundliche Bestimmung von Krankheitsbildern und die Anwendung von Naturheilverfahren, von der Bäderheilkunde über die UV-Behandlung bis zur Ernährungstherapie.

Die Einrichtung des Berliner Lehrstuhls ist ein wichtiger Schritt zur Anerkennung der Naturheilkunde. Um sich von zweifelhaften, wenig durchschaubaren alternativen Methoden und Scharlatanen abzugrenzen, die mit Crashkursen eine wenig fundierte Ruckzuck- Naturheilkunde betreiben, bemüht sich die Zunft verstärkt um die Erforschung ihrer wissenschaftlichen Grundlagen. „Gerade die Einrichtung von Lehrstühlen“, sagt Malte Bühring, „spielt eine wichtige Rolle für die Reputation des Faches und einen fundierten wissenschaftlichen Austausch.“

Inzwischen gibt es einen zweiten Lehrstuhl am Institut für Naturheilkunde der Universität Ulm. Dort untersucht ein Team pfanzliche Medikamente auf ihre pharmakologische Wirksamkeit. An den Universitätskliniken in Bonn, Erlangen und München gibt es naturheilkundlich orientierte Einrichtungen. Denn die Nachfrage nach naturheilkundlicher Behandlung bei den Patienten ist sehr groß. Mit 10 Millionen Mark fördert das Bundesministerium für Forschung und Technologie die Untersuchung von „Unkonventionellen medizinischen Richtungen“. So wird an der Uni Kiel zur Zeit die Wirkung von Pfefferminz als Kopfschmerzmittel untersucht.

Allerdings läßt eine Erfahrungsmedizin nicht mit wissenschaftlich exakten Ergebnissen vollständig erfassen. Bei dem ganzheitlichen Ansatz spielen Selbstheilungskräfte des Patienten und mögliche psychische und suggestive Wirkungen eine Rolle. „Man sollte nicht so engstirnig sein, die Art und Weise der Wirkung von Naturheiltherapien mit streng wissenschaftlicher Exaktheit nachweisen zu wollen“, sagt Johannes Gleitz vom Institut für Naturheilkunde in Ulm. Unerläßlich sei es jedoch, einen tatsächlichen Heilerfolg bei einem größeren Patientenkollektiv nachzuweisen. „Wir wollen nicht den Arzt als Magier“, sagt Bühring, „sondern den Arzt als Partner.“ Deshalb müssen die Methoden nachvollziehbar sein. Es soll nicht die eine Autorität – des Schulmediziners – durch eine andere – den mystisch verklärten Naturheiler – ersetzt werden.

Die Schulmediziner sind gegenüber der Naturheilkunde längst nicht mehr so skeptisch wie noch vor einigen Jahren. „Generell“, sagt Roland Bersdorf von der Berliner Ärztekammer, „gibt es in Deutschland eine zunehmend offenere Haltung.“ In Berlin gibt es sogar einen Beauftragten der Ärztekammer für Naturheilverfahren. Auf Initiative eines Arbeitskreises der Ärztekammer finden zudem zweimal im Jahr die Naturheiltage Berlin statt. Die Naturheiltage sollen ein Forum für den wissenschaftlichen Austausch der Zunft bieten.

Viele naturheilkundliche Methoden sind von der Schulmedizin weitgehend anerkannt. Einer Umfrage zufolge wenden sogar etwa 70 bis 80 Prozent der praktizierenden Ärzte zumindest gelegentlich Naturheilverfahren an. Damit Naturheilverfahren sachgerecht angewendet werden können, ist Fortbildung wichtig. Mit einer entsprechenden Weiterbildung kann ein Mediziner die Zusatzbezeichnung Arzt für Naturheilverfahren erlangen. Allein in Berlin haben im vergangenen Jahr 78 Ärzte diesen Titel erworben, Tendenz steigend.

Insgesamt habe sich in den letzten Jahren in der Naturheilkunde einiges getan, findet Malte Bühring, „aber um wirklich Power für die Forschung zu haben, brauchen wir acht bis zehn Lehrstühle. Schließlich lebt die Forschung durch wissenschaftlichen Austausch und Streit.“ Anja Dilk

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