: Billige Eigenheime mit Zukunftswert
■ taz-Serie 6. Teil: Jos Weber über die Möglichkeiten, kostengünstig Wohnraum zu schaffen
Der jüngst zu Ende gegangene Hamburger Architektur Sommer hat leider ein Thema völlig ausgespart: Wie können für Familien mit wenig Geld und angesichts der akuten Finanznot des Hamburger Staates preiswerte und qualitativ hochwertige Eigenheime gebaut werden?
Auf Grund der fatalen Hamburger Politik in diesem wichtigen Bereich (siehe unten) mußte ich als Hamburger Architekt den Beweis, daß billiges Bauen auch hier möglich wäre, im holländischen Hengelo – 15 Kilometer hinter der deutschen Grenze – antreten. Für sage und schreibe 93.000 Mark reine Baukosten entstanden dort Reihenhäuser mit hohem Zukunftswert. Vor wenigen Wochen konnten die 95 qm großen, breiten Reihenhäuser mit unter anderem 3 Schlafzimmern für DM 590,- Miete bezogen werden.
Variabilität zu kleinen Preisen
Selbstverständlich haben diese Häuser doppelte Haustrennwände, Isolierverglasung und eine Gäste-Toilette extra.
Selbstverständlich hat das Bad und das WC je ein eigenes Fenster und alle Kinderzimmer sind breiter als 3 m!
Selbstverständlich durften die einzelnen Bewohner selbst entscheiden wie ihr Miet-Reihenhaus eingeteilt wurde. Zum Beispiel war es ihnen freigestellt, ob sie ein breites Wohnzimmer zum Garten hin haben wollten oder eines, welches vom Garten bis zur Straße im Haus durchläuft. Selbst ein Wohnzimmer, welches zwei getrennte Aufenthaltsbereiche hat, wurde problemlos realisiert.
Selbstverständlich führt auch eine feste Treppe bis zum ausgebauten Dachgeschoß.
Und selbstverständlich erhielten die Bewohner für die 93.000 Mark Baukosten ein schön verklinkertes Haus wie auch in Hamburg üblich.
Auf Wunsch konnten sich die Bewohner gegen Aufpreis einen Wintergarten und/oder Carport anbauen lassen: Die Hälfte hat davon gern sofort Gebrauch gemacht. Die anderen können auch später, wenn das Geld reicht, diese Anbauten ohne neuerliche Baugenehmigung gebaut bekommen.
Einschließlich Grundstück, Architekten-Honorar und Steuer kosteten diese Häuser komplett 140.000 Mark.
Der Wille zum Möglichen fehlt
Warum geht das nicht auch in Hamburg, wo doch das Know-How dafür vorhanden ist? Hierfür gibt es nur einen Hauptgrund: Weil die hiesigen Entscheidungsträger dies verhindern oder unfähig sind, die unten skizzierten Lösungen umzusetzen, wodurch bei der Wohn-ungsbauförderung die knappen Steuergelder noch immer zum Fenster hinausgeschmissen werden.
Vielmehr tritt in Hamburg diesbezüglich eine zuständige Behörde der anderen auf die Füße, so daß man, trotz aller hoher Einzelkapazität in der Sache, nicht gemeinsam entscheidend weiterkommt:
–Die Liegenschaft übergibt den anfragenden Hamburger General-Unternehmern keine der zur Verfügung stehenden Grundstücke, damit diese mit einer genügend großen Hausserie zeigen können, daß sie deutlich kostengünstigere Wohnungen bauen können, als diese heute in Hamburg im öffentlichen Wohnungsbau realisiert werden.
–Die Wohnungsbaukreditanstalt fördert derzeit in Hamburg viel zu teure Wohnungen mit Kupferdachrinnen usw. und verschleudert dadurch die knappen Steuergelder.
–Die Stadtentwicklungsbehörde und die zuständigen Bezirksämter sorgen bisher durch ihr internes und externes Mißmanagement dafür, daß viele der sogenannten „Sofort-Maßnahmen zur Behebung der Wohnungsnot“ in Hamburg im Sande verlaufen.
–Die Baubehörde bastelt so lange an der Vorbereitung von Wohnungsbau-Wettbewerben herum, wie ein guter Unternehmer braucht, um die Wohnungen, die Gegenstand der Wettbewerbe sind, schlüsselfertig zu realisieren.
–Der Senatsbeauftragte für den Wohnungsbau war während 2 Jahren nicht imstande, Hamburger Generalunternehmer, die nachweislich bereit sind, unter Einbezug der europäischen Erfahrungen kostengünstigen Wohnungsbau mit hohem Zukunftswert zu erstellen, in ein Wohnungsbauprojekt einzubeziehen.
Natürlich gebe es in Einzelfällen auch viel Positives über den Wohnungsbau in Hamburg zu berichten. Aber die genannten Punkte deuten doch an, wo hier der Hase im Pfeffer liegt. Während in den westlich und nördlich von Hamburg liegenden europäischen Ländern einschließlich Nordrhein-Westfalen und Bayern die im folgenden erläuterten Forderungen zumindest in Teilen erfüllt sind, geschieht in Hamburg aus dem politischen Raum nichts, was die prekäre Lage verbessern könnte.
Was müßte man also in Hamburg tun, damit der Architektur Sommer im Jahr 2000 (falls es ihn denn dann wieder gibt) uns nicht nur glitzernde Büro- und Geschäftsbauten sondern auch schönen, Hamburg-spezifischen und zukunftsorientierten Wohnungsbau beschert, welcher mit seinen Kosten zu dem Portemonnaie der Familien mit Kindern und des Staates paßt?
12 Thesen für eine Wende im Wohnungsbau
Im Nachfolgenden habe ich dazu 12 Thesen aufgeschrieben, die sowohl die Ursachen beschreiben als auch konstruktive und schnell verwirklichbare Wege aufweisen, wie Einfamilienhäuser – trotz aller gegenteiligen Beteuerungen von offizieller Stelle – auch in Hamburg so verwirklicht werden können, daß weniger Betuchte sich dieses leisten können.
1. Ohne regionale Abstimmung im Ballungsraum Hamburg zwischen den betroffenen Ländern und Gemeinden bei der Bereitstellung von Wohn-Baulandflächen ist es nicht möglich, die Grundstückspreise zu steuern, welche einen erheblichen und viel zu schnell steigenden Teil der Gesamtkosten ausmachen: Deshalb sollten erschlossene Grundstücke, auf denen im Ballungsraum Hamburg öffentlich geförderter Wohnungsbau errichtet wird, maximal mit 30.000 Mark je Wohnung beziehungsweise Haus in Rechnung gesetzt werden dürfen.
2. Je Wohnung/Haus ist nur ein Grundstücks-Anteil von 150 qm einschließlich der Fläche für das Auto bereitzustellen. Auf dieser Fläche läßt sich noch ein zweigeschossiges, breites familiengerechtes Reihenhaus einschließlich Garten gut nutzen. Für die öffentliche Anlieger-Erschließung der Wohnungen/Häuser ist eine Breite von 5 m (vor Senkrechtparkplätzen 6 m) als verkehrsberuhigte, gemischt genutzte Fläche absolut genügend.
3. Die wegen dem Wohnungsbau notwenigen ökologischen Ausgleichsmaßnahmen sind im öffentlichen Interesse: Deshalb sollten die dadurch entstehenden Kosten, wie die Kosten für die Erschließung, ebenfalls mit einem Betrag von maximal 30.000 Mark je Wohnung/Haus abgegolten sein.
4. Um den Landverbrauch als Folge der üblichen getrennten Ausweisung von Wohnbauland und Gewerbeflächen zu reduzieren, müßte grundsätzlich die Koppelung von Wohn- und nichtstörender Gewerbenutzung auf dem Bauland möglich sein und gefördert werden: Deshalb dürften die Wohnbaugrundstücke um 30 Prozent höher ausgenutzt werden können, wenn auf ihnen eine zusätzliche gewerbliche Nutzung realisiert wird. Für Grundstücke mit gewerblicher Nutzung dürften nur dann Baugenehmigungen erteilt werden, wenn zusätzlich 30 Prozent Wohnraumnutzung realisiert wird.
5. In einem Radius von 300 m rund um eine bestehende U- oder S-Bahn-Haltestelle bzw. in einem Radius von 150 m rund um eine Bus-Haltestelle soll beim Bau von Wohnungen das Einrichten von dazugehörigen Auto-Parkflächen ausgeschlossen sein und das Parken im öffentlichen Raum durch geeignete bauliche Maßnahmen verhindert werden. Die so dem Auto entzogene Fläche von ca. 25 qm je Wohnung kann so kostenlos für zusätzlichen Wohnungsbau (auf 6 Wohnungen käme so Bauland für eine zusätzliche Wohnung) oder für ökologische Ausgleichsflächen zur Verfügung stehen.
6. Günstige steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten und/oder öffentliche Förderungen müßten auf den Bau von Wohnungen mit niedrigen Kosten beschränkt werden. 1.800 Mark pro Quadratmeter Wohnfläche anstatt 2.400 Mark wie heute wäre eine angemessene Höchstgrenze. Bei genügend großen Serien und Einbezug der europäischen Konkurrenz ist dies ohne Qualitätsverlust möglich.
7. Um ein hohes Qualitätsniveau bei niedrigen Kosten zu erzielen müssen große, schnell bebaubare, mit Ausnutzung der industriellen Bauweisen errichtbare Wohnungsbau-Serien bzw. Projekte ermöglicht werden. Diese industriellen Bauweisen müssen selbstverständlich gewährleisten, daß
–nur ökologisch vertretbare Materialien zur Anwendung kommen,
–die Gebäude sich ortsspezifisch gestalten lassen,
–benutzerspezifische Bedürfnisse berücksichtigt werden können und
–Ergänzungen durch Selbstinitiative möglich sind.
8. Um die schon während der Bauzeit auftretenden erheblichen Kapital-Zinsen auf ein Minimum zu reduzieren, sind nur Baumethoden zuzulassen, welche kurze Bauzeiten (Garantie maximal 10 Monate/Wohnung) und witterungs-unabhängiges Bauen ermöglichen.
9. Sicherheit- und Zukunftswert-bestimmende Anforderungen müßten bei der Planung, Realisierung und Benutzung eine vorrangige Rolle spielen. Dazu gehören
–Stand- und Brandsicherheit,
–Haus- beziehungsweise Wohnungsbreiten, welche ermöglichen, daß kein Raum schmaler als 3 Meter und kleiner als 10 Quadratmeter zu werden braucht
–genügend Abstellfläche im Bad und in der Küche,
–Ermöglichung von „einem Zimmer mehr“ auf der gleichen Wohnfläche, sowie
–pflegeleichte und beim Altern schöner werdende Baumaterialien.
Dagegen können leicht nachrüstbare Bauteile wie nichttragende Innenwände, Kacheln, Tapeten, Anstrich, Fußbodenbeläge oder Bad- und Kücheeinrichtung zunächst teilweise oder ganz weggelassen werden beziehungsweise zunächst in einer bescheidenen Form aufgeführt und später, wenn das Geld reicht, nachgerüstet werden.
10. Um die heutige schwierige Aufgabe des Wohnungsbaus sowohl quantitativ als auch qualitativ in kurzer Zeit in den Griff zu bekommen, ist es unerläßlich, daß „vom ersten Strich an“ Auftraggeber, Architekt und (General-)Unternehmer partnerschaftlich im Bauteam zusammenarbeiten. In Deutschland ist es dagegen beim Wohnungsbau üblich, daß der Architekt und die prüfenden Behörden zunächst ohne den Einbezug der ausführenden Firmen entscheiden und sich nachher wundern, daß die Ausführung der unnötig aufwendigen, unnötig komplizierten, unnötig reparatur-anfälligen Konstruktionen zu teuer werden.
11. Kostengünstiges Bauen wird nur dann akzeptiert, wenn jeder Betroffene davon Vorteile hat. Der Auftraggeber braucht weniger Geld zum Bauen. Der Staat kann seine Förderung reduzieren. Der Architekt muß ein Bonus-Honorar bekommen, wenn er kostengünstiger baut. Der (General-)Unternehmer profitiert vom großen Wiederholungs-Effekt seiner Bauweise. Und der Mieter muß schließlich eine deutlich geringere Miete zu zahlen haben, als beim üblichen teureren öffentlich geförderten Wohnungsbau.
12. Um den Nachholbedarf betreffs kostengünstigem Bauen in Hamburg wettzumachen, sollen europäische Erfahrungen durch die Zusammenarbeit von Hamburger Bauunternehmern mit ausländischen Bauunternehmern eine Normalität werden. Dadurch könnte die Baukapazität in Hamburg um ein Wesentliches erhöht werden.
1000 billigere Wohnungen bis 1996
Hamburg braucht aus dem Rathaus den Anstoß zu einer Wohnungsbauintiative, die mehrere Dinge gewährleisten muß: Sie muß den Willen zeigen, die beteiligten Senatoren und Fachbeamten zu koordinieren sowie die in Hamburg und Europa vorhandenen Erfahrungen und Kräfte zu nutzen, um kurzfristig und unbürokratisch eine Mustersiedlung mit circa 1000 Wohnungseinheiten bei 30 Prozent niedrigeren Kosten zu realisieren. Diese Siedlung könnte bis Ende 1994 geplant und bis Ende 1996 schlüsselfertig sein.
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