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Affairen der Brieftasche

Rock'n'Roll is here to pay – heute wie vor dreißig Jahren. Nicht erst seit Millionenseller George Michael im Rechtsstreit gegen Sony spektakulär unterlag, ist der Gang zum Anwalt erste Rockstarpflicht. Eine kleine Prozeßgeschichte  ■ von Jörg Feyer

Weiß irgend jemand, was George Michael gerade macht? Nun, vermutlich hat er gerade einen Termin in der Chefetage seiner Hausbank: Geschätzte drei Millionen (Pfund, wohlgemerkt) wird ihn als alleinigen Kostenträger das verlorene Verfahren gegen seine Plattenfirma Sony kosten, die jetzt weiter auf Erfüllung des Vertrages mit einem Superstar pochen kann, der sich falsch vermarktet fühlt („Ich will kein Sexsymbol mehr sein!“), Albumverkäufe in Höhe von fünf Millionen zu Peanuts erklärte, der Promo-Abteilung von Sony bei dem Verkauf seines zweiten Solo-Albums „Listen Without Prejudice“ aber auch nicht eben behilflich war.

Vermutlich wird es damit enden, daß sich Michael von einer anderen Major Company für ein angemessenes Transfergeld aus seinem leidigen Langzeitdeal herauskaufen läßt. Die Stone Roses oder Holly Johnson haben vorgemacht, wie man so was macht. Derweil jammerte Michael nach dem Urteil, daß ein Popkünstler einfach kein Recht auf den Vorruhestand habe. „Du unterzeichnest da ein Stück Papier am Anfang der Karriere – und dann wird von dir verlangt, daß du bis ans Ende deiner Tage mit der Entscheidung lebst.“

Sanfter Druck

Eine Äußerung, die nicht einer gewissen Ironie entbehrt, versuchte der Brite mit griechischem Stammbaum doch schon einmal erfolgreich, sich eines Vertrages zu entledigen — und warf sich dabei ausgerechnet einer Unterabteilung der Firma in die Arme, die jetzt die Oberhand gegen ihn behielt. Ja, der für den Sony-Prozeß zuständige Richter Parker lehnte Michaels Begehren nicht zuletzt deshalb ab, weil der beklagte Deal aus dem Jahre 1988 selbst nur eine Nachverhandlung des Vertrages aus dem Jahre 1984 war, mit dem sich Michael (damals noch bei Wham!) von seinem ersten Arbeitgeber Innervision außergerichtlich gelöst hatte. Runde 18 Monate lang durfte Innervision-Chef Mark Dean Geld scheffeln, dann – als sie trotz No.-1-Hits und Millionenverkäufen immer noch mit 40 Pfund in der Woche abgespeist wurden – fiel Michael und Wham!-Partner Andrew Ridgeley (bzw. ihrem damaligen Manager) endlich auf, wie lausig der Vertrag war, den sie im März 1982 in einem Nord-Londoner Café unter sanftem Druck gegengezeichnet hatten: entweder, so Dean, sie unterschrieben jetzt, damit sein Vertriebspartner CBS Wham! im Veröffentlichungsplan berücksichtigen könne – oder sie müßten bis zu sechs Monate auf ihre nächste Chance warten.

Dean machte auch kein Geheimnis daraus, daß da andere Acts Gitarre bei Fuß stünden, die diesen Deal liebend gern und sofort an Wham!s Statt unterschreiben würden. Später, als Wham! ihren Sieg gegen Dean der Presse recht großkotzig verkauften, gab George Michael zu, er hätte damals wohl jeden Vertrag unterzeichnet, um endlich den schäbigen Wham!-Übungsraum gegen die große Pop-Glitzerwelt eintauschen zu können.

Im Suff unterschrieben

Rockstars vor Gericht – eine unendliche Geschichte. Michaels Fall hat zwar wegen der Dauer des Verfahrens und der Schwere der Vorwürfe eine exponierte Publizität genossen – und nun wird in der Branche heftig gemunkelt, wer, außer hochbezahlten Rechtsanwälten, von dem Urteil profitieren könnte –, doch betroffen von ähnlichen Kalamitäten war bereits die gesamte erste Garde des Popgeschäfts: von den Beatles über die Stones bis zu den Kinks und The Who.

Nun gut, denkt man sich, damals in den 60ern, als Verträge nicht selten inmitten williger Groupies geschlossen wurden, gingen die Musiker noch eine Nummer naiver ans große Popspiel heran. „Ich war einfach überzeugt, daß man uns nicht über den Tisch ziehen würde“, sagte 1985 Pete Townshend, der noch heute Kopfschmerzen bekommt, wenn die Who- Hymne „My Generation“ im Radio dudelt, weil nach wie vor irgendwelche Buchhaltertypen mitkassieren, die vor vielen Jahren schlau genug waren, ihm eine Unterschrift abzuschwatzen. Townshend: „Fast jeden größeren Vertrag hab' ich in der Garderobe oder besoffen unterschrieben. Noch heute sehe ich Papiere, die meine Unterschrift tragen, an die ich mich überhaupt nicht mehr erinnern kann. Kannst du dir vorstellen, dich mitten in einer Tour hinzusetzen und zu versuchen, ein kompliziertes Steuerrecht jemandem zu erklären, der so stoned ist, wie Keith [Moon, verstorbener Drummer der Who] und ich es die meiste Zeit waren?“

60seitige Verträge

Aber muß das heute immer noch sein? Gehen die Popmusiker nicht bewußter mit der geschäftlichen Seite ihrer Existenz um? Oder besorgen sich zumindest vernünftige Anwälte, die das für sie tun? Doch, das tun sie. Und trotzdem fand sich eine Joan Armatrading (versus Manager) 1985 ebenso vor Gericht wieder wie Sting, der drei Jahre zuvor gegen seinen Verlagsvertrag zu Felde zog – ebenso wie Elton John 1985. Während ein Neil Young etwa zur selben Zeit von seiner Plattenfirma verklagt wurde, weil er angeblich „unkommerzielle Musik“ mache (womit die Company die Urfassung seines Country-Albums „Old Ways“ meinte).

Und die Klagen gegen die antriebslosen Solo-Künstler Glenn Frey und Don Henley wurden kürzlich nur zurückgezogen (bzw. „gelöst“), weil die zuständige Firma MCA mit der Aussicht auf ein lukratives Eagles-Platten- Comeback nach einer ausverkauften US-Reunion-Tour gut leben kann.

Die Rechtsanwälte des Popgeschäfts sind heute nicht zuletzt deshalb so gut beschäftigt, weil sich die Dinge in den letzten zwei Dekaden immer mehr verkompliziert haben. Vor 20 Jahren gab es weder Videos noch Kabel-TV, weder Popsongs in der Werbung noch Popsongs, für die im Fernsehen geworben wurde. Kaum verwunderlich also, daß Verträge heute nicht mehr die üblichen drei oder vier Seiten haben, sondern dreißig oder vierzig, manchmal bis zu sechzig. Man will sich gegen alle Eventualitäten absichern – und übersieht vielleicht doch irgendeine.

Verkompliziert wird die ganze Sache nicht zuletzt auch durch die zunehmende Konzentration im Musikgeschäft, das heute mit über 90 Prozent Marktanteil (in Deutschland) von wenigen Groß- und Mischkonzernen wie Time/ Warner, Polygram, Sony, EMI und BMG dominiert wird. Auch George Michael beklagte, daß sein Verhältnis zu seiner Plattenfirma CBS nach der Übernahme durch Sony (und der damit verbundenen Personalrotation) nicht mehr dasselbe war. Und wie soll die Kommunikation zwischen zwei Parteien gedeihen, wenn selbst hochrangige Manager schon in ihrem Mutterkonzern Probleme haben, bis zur wirklichen Führungsspitze durchzudringen?

15-Millionen-Klacks

In seinem Buch „Expensive Habits“ (Faber & Faber, London 1986), das sich ausführlich mit „The Dark Side of The Music Industry“ beschäftigt, läßt der Autor Simon Garfield Geoff Hannington eine hübsche Anekdote erzählen. Hannington, damals immerhin Geschäftsführer von RCA England, wollte von der amerikanischen Mutterfirma 15 Millionen Dollar für ein neues Vertriebsdepot loseisen. Einmal im Monat hörten sich die Bosse von RCA Inc. in New York die Wünsche der weitverzweigten Satellitenfirmen aus aller Herren Länder an. Im Wartesaal hoch über den Dächern von Manhattan fand sich Hannington u.a. in Gesellschaft des Finanzdirektors einer Teppichfirma aus dem Mittleren Westen wieder sowie des Chefs von Globcom, der gleich ein paar Billionen für ein paar neue Satelliten wollte. „Meine 15 Millionen“, erinnert sich Hannington, „waren ein Klacks für die, also ging ich rein und hielt meinen Vortrag vor 26 Leuten, die offensichtlich keinen blassen Schimmer von der Plattenindustrie hatten“. Der „Klacks“ wurde übrigens nicht bewilligt ...

Es geht natürlich immer ums Geld, meist um Superstars, die ihren Marktwert beträchtlich erhöht haben und immer noch mit dem Appel und dem Ei abgespeist werden, nach dem sie am Beginn der Karriere dankbar gegriffen hatten.

Zynische Marktmenschen wie Mick Jagger (Maxime: „Jeder, der dabei nicht soviel Kohle wie nur irgend möglich machen will, ist für mich ein Idiot“) und Malcolm McLaren (der nach dem „Great Rock'n'Roll Swindle“ von den Sex Pistols verklagt wurde und pro Bandmitglied etwa eine Million überweisen mußte) lassen solche Affairen der Brieftasche kalt. Andere, die der „Kunst“ solch profane Niederungen nicht zumuten möchten, lassen die Sache irgendwann auf sich beruhen. Angela Bowie 1977 über ihren (Ex-)Gatten: „David ist um Millionen von anderen Leuten betrogen worden. Er hat sie auch vor Gericht gebracht, aber schließlich konnte er diese Spielchen nicht mehr ertragen – sie reißen dich einfach auf deren Niveau runter.“

Und was macht George Michael eigentlich? Wenn er gerade keinen Banktermin hat, bastelt er vermutlich an dieser Platte mit dem hübschen Arbeitstitel „Trojan Souls“, die auf dem kleinen Label seines Cousins erscheinen soll. Da läßt Michael, der eine Berufung gegen das Urteil in Erwägung zieht, andere seine Songs singen. Denn selber singen darf er derzeit nur bei bzw. mit Genehmigung von Sony. Oder zu Hause in der goldenen Badewanne.

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