■ Plutoniumschmuggel: Realismus oder übliche Reflexe?: Das Ende der Quarantäne
Wenn ein V-Mann der Polizei in schwarzem Outfit die Scheiben bei der Deutschen Bank klirren läßt, ist dies – sofern die Sache hinterher auffliegt – für den Rechtsstaat eine ungemütliche Angelegenheit. Für die heftig empörte Linke entlarvt sich der Kapitalismus als Urgrund von Gewalt und Kriminalität. Die liberale Öffentlichkeit sinniert über die Gefahren, die dem demokratischen Gemeinwesen von staatlich bezahlten agents provocateurs drohen.
Wenn ein V-Mann in Schlips und Kragen den noch schemenhaften, weil neuen internationalen Nuklearia-Markt abklopft und dabei hochgefährliche Geschäfte provoziert, dann läuft in Teilen der linken und liberalen Öffentlichkeit das eingeübte Ritual ab. Resultat: Das Problem ist nicht der Plutoniumschmuggel, das Problem ist der V-Mann. Das erste gäbe es nicht ohne den zweiten.
Eine solche Interpretation der aktuellen Lage ist nicht nur erkennbar Unsinn, sie ist verantwortungslos. Denn eingeworfene Scheiben und vagabundierendes Plutoniumpulver haben eines gemein. Scheiben klirren von Zeit zu Zeit auch ohne V-Leute (sonst wäre die staatlich provozierte Tat sinnlos). Und Plutonium und hochangereichertes Uran zirkulieren auch ohne staatliche Einkäufer. Im konkreten Fall vielleicht nicht heute, sondern morgen, vielleicht nicht hier, sondern anderswo.
Wer aus dem internationalen Nuklearia-Handel ein Problem deutscher Geheimdienste oder V-Leute macht, schiebt die Mücke vor den Elefanten, damit letzteren niemand mehr wahrnimmt. Das mag, wenn die Mücke nur heftig genug auf und ab tanzt, eine Weile für Ablenkung sorgen. Doch früher oder später beherrscht unweigerlich der Elefant die Szenerie.
Natürlich gibt es einen Weltmarkt für Spaltmaterial, oder es wird ihn geben. Das liegt in der Logik der Sache. Die Sache heißt Schmuggel. Illegal verschoben wird von jeher alles, was verboten und deshalb teuer ist. Rauschgifthandel, Waffenhandel und jetzt Spaltstoffhandel unterscheiden sich da nicht grundsätzlich. Die sorgenvoll bis hoffnungsfroh diskutierte Frage nach der Existenz eines Nachfragemarkts ist rührend naiv. Warum sollten sich Staaten, die sich über Jahrzehnte zäh und geduldig rund um den Globus mit den Bausteinen für die eigene Bombe oder die chemische und biologische Waffenproduktion einzudecken suchten, ausgerechnet bei günstiger Angebotslage zurückziehen? Die Giftgasfabrik im libyschen Rabta, Saddam Husseins Präzisionszünder für die Bombe – alles schon vergessen? Kriminelle oder terroristische Gruppen, wird ernsthaft argumentiert, könnten dreistellige Millionenbeträge ohnehin nicht aufbringen. Heilige Einfalt. Wer ein paar Kilo Plutonium klaut, wird sie am Ende auch für einstellige Millionenbeträge verscherbeln, wenn der Markt mehr nicht hergibt.
Es ist verschwörungstheoretischer Quatsch, anzunehmen, die ganze Angelegenheit werde nur „inszeniert“, weil hierzulande die Wahlkampfsaison eingeläutet ist. Das hindert natürlich nicht die Trittbrettfahrer, die mit Panikmeldungen Stimmung machen, um dann dieselben Rezepte anzubieten, die sie von jeher gegen „Russenmafia“, Heroindealer und alles Böse dieser Welt in Stellung bringen wollen. Wo ganz Deutschland zu einem einzigen illegalen Plutonium-Zwischenlager umgelogen wird, wo der Nukleartod in jeder Garage lauert, müssen die Grenzen dichtgemacht, die Strafen verschärft, Geheimdienste und Polizei mit neuen Vollmachten ausgestattet werden. So hätten sie's gern, die publizistischen Helfershelfer einer in Wahrheit hilflosen Regierung.
Die hat längst begriffen, daß es einen Unterschied gibt zwischen Rauschgift-, Waffen- und Plutoniumschmuggel. Es reicht eben nicht, von Zeit zu Zeit stolz ein Köfferchen mit strahlendem Inhalt zu präsentieren, wie das bei Heroin und Faustfeuerwaffen beliebte (Un-)Sitte geworden ist. Der Spaltstoffmarkt muß trockengelegt werden. Pulvertrocken. Keine einzige Charge darf durchkommen. Und dafür gibt es keine Garantie, geschweige denn ein probates Mittel. Der Bundesregierung ist nicht vorzuwerfen, was Bernd Schmidbauer aktuell in Moskau treibt. Was soll sie denn sonst machen? Vorzuwerfen ist ihr, daß sie den Leuten Sand in die Augen streut und so tut, als hätte sie die Sache im Griff.
Nichts ist gebannt, weder hier noch anderswo. Was wir erleben und die „Ungläubigen“ spätestens in ein paar Jahren mit Schrecken erkennen werden, ist der Übergang des Atomzeitalters aus einem Ausnahme- in den Normalzustand. Ein halbes Jahrhundert hielten die Dämme, bei nur wenigen Lecks. Trotz der gewaltigen Anhäufung der Bombenstoffe Plutonium und Uran sorgten Militärs und Geheimdienste in Ost und West mit ungeheurem Aufwand für einen weithin geschlossenen Stoffkreislauf. Ein einzigartiger Zustand, dessen Aufrechterhaltung über Jahrzehnte nur möglich war, weil der Kalte Krieg nicht nach dem Aufwand fragte. Robert Jungks „Atomstaat“ war längst Realität, begrenzt, als Staat im Staate, in den verbotenen Städten und Laboratorien der Atomwaffenbesitzer. Das ist jetzt vorbei. Die Normalität besteht darin, daß nun, ohne Blockkonfrontation, auch die gefährlichsten Stoffe dieser Welt endgültig aus der künstlichen Quarantäne ent- und den „Natur“-Gesetzen des Marktes überlassen werden.
Die Amerikaner haben das früher begriffen als die Europäer. Unter dem Schlagwort „Counterproliferation“ läuft jenseits des Atlantiks schon seit Monaten eine Diskussion heiß, die hierzulande erst noch bevorsteht. Militärs geben die Richtung vor. Sie drohen unverhohlen mit massiven Waffengängen gegen jeden, der sich nuklearer Ambitionen verdächtig macht. Das Pentagon verlangt neuartige Waffensysteme zum Einsatz gegen potentielle Atomwaffenschmieden. Neue Spionageringe sollen in alle verdächtigen Regionen der Erde einsickern und Informationen liefern, die „militärisch und nicht nur diplomatisch von Nutzen sind“ (Les Aspin, ehem. US-Verteidigungsminister). Unverhohlen wird über hochspezialisierte Sabotagetrupps nachgedacht, die geheime Atomanlagen oder -lager an jedem Platz der Erde zuverlässig aufspüren und, wo nötig, mit Gewalt eliminieren. Der Atomstaat im Weltmaßstab.
Gibt es eine realistische Alternative? Kurzfristig kaum, langfristig vielleicht. Der Atomwaffensperrvertrag verpflichtet die Nuklearmächte immerhin zur vollständigen atomaren Abrüstung. Der zivile Plutoniumeinsatz wird bald von seinen einstigen Verfechtern aufgegeben und als ökonomisch-ökologischer Schwachsinn in die Technikgeschichte eingehen. Der Verzicht auf die Nutzung von waffentauglichem Uran in Forschungsreaktoren ist seit Jahren Gegenstand erfolgversprechender internationaler Anstrengungen. Bleibt die Plutoniumproduktion in konventionellen Atomkraftwerken. Nicht zufällig warnt Klaus Kinkel jetzt vor einer neuen Debatte über den Ausstieg aus der Atomenergie. Er muß sie fürchten. Sie wird kommen. Gerd Rosenkranz
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