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Kein Stadtbahn-Niveau

■ BVG nahm mit großem Getöse die erste Niederflur-Straßenbahn in Betrieb, doch behindertengerecht ist sie nicht

Mit großem „Tram Tam Tam“ nahm die BVG gestern ihre erste Niederflur-Straßenbahn in Betrieb. Die neuen Züge haben einen niedrigen Boden und entsprechende Eingangsbereiche ohne Stufen, was vor allem Rollstuhlfahrern und Kinderwagen zugute kommen soll. Doch das Spektakel stieß auf heftige Proteste.

„BVG betrügt.“ Mit diesem Slogan behängt, wollte der Rollstuhlfahrer Michael Eggert auf „die Augenwischerei der Verkehrsbetriebe“ aufmerksam machen. Er und andere Mitglieder des „Spontanzusammenschlusses Mobilität für Behinderte“ kritisieren eine Reihe von Mängeln am neuen Gefährt: Wegen zu niedriger Bahnsteige verblieben trotz Niederflurwagen acht Zentimeter Höhenunterschied zum Zugeingang. Außerdem seien die Türen so schmal, daß ein erster Rollstuhl nur hinausgelangt, wenn der zweite zuvor aussteige. „Schließlich ist das Angebot für Rollis und Kinderwagen auf die Zuglänge umgerechnet geringer geworden“, klagt Eggert. Auch der ADFC ist mit der Niederflurbahn nicht glücklich. „Die Bahn an sich ist eine tolle Sache“, versichert Michael Föge aus der AG Fahrad und öffentlicher Verkehr. „Aber wieso dürfen keine Velos darin mitgenommen werden?“ Die Argumente für das Rad-Verbot in der Tram seien hier nicht mehr akut, so Föge. Tatsächlich hat man zum Beispiel in Bremen sehr gute Erfahrungen mit Fahrrädern in der Niederflurbahn gemacht. Dort werden fast baugleiche Modelle wie in Berlin eingesetzt. Heiner Brünjes von der Bremer Straßenbahn AG ist zufrieden: „Seit sechs Monaten dürfen die Räder mitfahren. Die Leute haben das angenommen.“

Am Bahnhof Eberswalder Straße wurde das Prachtstück gebührlich in Empfang genommen: Die BVV-Fraktion Bündnis Prenzlauer Berg, der BUND, die RADikalen und andere Demonstranten machten auf den mangelhaften Streckenausbau für die neue Tram aufmerksam. „Statt 16 Vorrangschaltungen für die Bahn sind nur fünf Ampeln entsprechend umgerüstet worden“, kritisiert Jaennette Martins von Bündnis 90/Die Grünen. „Die Strecke ist zudem mangels Ampeln nicht ausreichend gesichert.“ Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) gibt zu: „Im derzeitigen Zustand hat die Strecke noch kein modernes Stadtbahn-Niveau.“ Doch wegen Geldmangels wurden Verbesserungen auf unbestimmte Zeit verschoben.

„Dabei hätten bei jedem Niederflurfahrzeug 900.000 Mark gespart werden können“, schimpft Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus. Statt 3,7 Millionen Mark für das AEG-Modell auszugeben, so der Fachmann, hätte die BVG auch für 2,8 Millionen Mark einen Duewag-Zug haben können. Bei den vier Trams, die bereits in Betrieb sind, und den 16, die noch bis Ende des Jahres hinzukommen, belaufen sich die Mehrkosten demnach auf 18 Millionen Mark. Lars Klaaßen

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