: Auf Pippis Spuren
Anna Pettersson, Weltmeisterin im Armdrücken, verteidigt ihren Titel im schwedischen Södertälje ■ Von Reinhard Wolff
Stockholm (taz) – Pippi Langstrumpf legte in dieser Sportart den kraftstrotzenden väterlichen Arm auf die Seite. Im Film. Anna Pettersson aus dem südschwedischen Linköping kann sowas allemal. In Wirklichkeit. „Dauernd kommen Jungs und wollen mit mir armdrücken“, klagt die 20jährige über die Last des Ruhms, „doch normalerweise lehne ich ab. Es gibt meist keine gute Stimmung, wenn sie verlieren.“ Und das tun die selbstgefälligen Herausforderer durchweg. Denn Anna ist zweifache Weltmeisterin im Armdrücken und will im September den Titel auf dem heimischen Kampftisch in Södertälje, nahe Stockholm, verteidigen.
Denke niemand, eine Weltmeisterin im Armdrücken hätte ungefähr mit der Figur einer Kugelstoßerin aus ehemaligen Ostblockzeiten aufzuwarten, um Chancen auf den Titel zu haben. Anne Pettersson ginge bei „Was bin ich?“ eher als Fotomodell durch denn als Kraftsportlerin. Nicht Kraft ist das Geheimnis des Erfolgs, sondern eine ausgefeilte Technik: „Man muß versuchen, den Arm richtig festzusperren. So viele Muskeln des Körpers wie möglich dafür einzusetzen. Ein starker Rücken ist deshalb wichtiger als ein starker Arm“, plaudert Anna aus dem Nähkästchen ihrer Kampfgeheimnisse. „Und wenn ich gegen Jungs gewinne, ist es für diese immer außerordentlich trostreich, wenn ich ihnen erkläre, es sei die Technik und nicht so sehr die Kraft gewesen.“
Als 17jährige hatte Anna in Israel ihren ersten WM-Titel geholt. Nachdem sie erst zwei Jahre vorher mit diesem Sport begonnen hatte. Frauenarmdrücken ist eine Nischensportart, bei der neben einigen Schwedinnen vor allem Teilnehmerinnen aus den USA, Kanada und Georgien aufeinandertreffen. Als männliche Kraftsportart ist das Teilnehmerfeld da schon größer. Und mancher Teilnehmer erinnert auch eher an die typische Szene aus der verräucherten Hafenspelunke, wo die schwitzenden Inhaber zweier reich tätowierter Armpakete mit Stöhnen, Grunzen und wildem Grimassenschneiden dem Gegenüber am Tisch nach dem achten Whiskey zeigen wollen, was eine Harke ist. Bis ein Arm auf den Tisch herunterknallt und klar ist, welcher Fleischberg die nächste Runde zu bezahlen hat. So etwa, wenn der sechsfache Weltmeister Cleve „Armbrecher“ Dean, ein Riesenbaby von 300 Kilo, auf den immerhin nur halb so schweren Georgier Zaour Tskhadaze trifft. Da dürfte es eher nebensächlich sein, wieviel Technik ein Gegner zusammenkratzen kann, bevor er der blanken Masse Mensch auf der anderen Tischseite erliegt.
Ansonsten ist Armdrücken Nervensache. Anna: „Du nimmst die Hand des Gegners, möglichst hoch oben, die Ellenbogen auf den Tisch gestellt, mit den Augen den Gegner fixiert, ihm klar machen, daß du sowieso stärker bist, dann auf die eigene Hand schauen, und jetzt muß es ruck-zuck gehen.“ Der Kampf ist schnell entschieden. Selten braucht das Ganze länger als eine halbe Minute. Dauert es länger, entscheidet die Milchsäure. Einen gewissen Längenrekord auf dem Kampftisch sollen zwei US- Sportler halten, bei denen erst nach zwölf Minuten der Arm herunterknallte.
Armdrücken gilt gemeinhin als einfachste, älteste und überhaupt klassische Art des Kraftmessens. Vor 5.000 Jahren soll es erstmals praktiziert worden sein. Gleich nach der Erfindung des Tisches. Der heutige Kampftisch ist spezialkonstruiert, die Regeln sind ausgefeilt, und es gibt Gewichtsklassen wie beim Boxen und Ringen. Wiederholt hat man versucht, dem Armdrücken als „Armsport“ ein besseres Image zu verschaffen; weil aber das Publikum dann gar nicht mehr wußte, um was es da ging, ist man letztendlich beim bekannten „Armdrücken“ geblieben. Daß tatsächlich mal ein Arm gebrochen wird und das Blut läuft, ist beim Wettkampfsport eher die Ausnahme, kommt aber durchaus vor. Anna Petterssons Kampfkollegin Carola Rönnholm brach erst im letzten Monat einen Arm bei einem Wettkampf im nordschwedischen Storuman, einer Hochburg des Frauenarmdrückens: „Es war eklig, ein Gefühl, als ob der Arm ganz abgeht“, erzählt sie noch jetzt mit Schaudern. Ansonsten sind eher Sehnenentzündungen und Muskelzerrungen die gesundheitlichen Negativfolgen dieses Kraftsports.
Und was findet eine Anna Pettersson so toll an dieser verletzungsträchtigen Männerdomäne? „Die Lust am Wettkampf. Die Konzentration ist so enorm: Sportler, Schiedsrichter, Publikum, alles um einen Tisch, alles auf eine superschnelle knallende Entscheidung angelegt. Das gibt mir den totalen Kick!“
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