■ Ruhigstellung eines abgelehnten Asylbewerbers: Todesursache: Abschiebung
Wie nennt man, was in der Lufthansa-Maschine auf dem Frankfurter Flughafen geschehen ist? Totschlag? Fahrlässige Tötung? Körperverletzung mit Todesfolge? Welche Definition die Juristen am Ende auch finden, sie werden den nigerianischen Asylbewerber nicht mehr zum Leben erwecken. Sein Herz und sein Kreislauf brachen zusammen, als man ihn – gegen seinen heftigen Widerstand – in seine Heimat bugsieren wollte wie sperriges Frachtgut. Der Totenschein wird auf „Herzversagen“ lauten. Die Todesursache „Abschiebung“ kennt kein Medizinlehrbuch.
Hätte das Herz des jungen Mannes bis zur Landung durchgehalten, kein Mensch hätte sich für das weitere Schicksal des Flüchtlings interessiert. Der Bundesgrenzschutz hätte ihn gefesselt aus der Maschine getragen und sich selbst und den nigerianischen Behörden überlassen. Aber das Herz ist unter dem eisernen Abschiebewillen vorzeitig kollabiert. Grelles Licht fällt auf einen „Vorgang“, der mittlerweile zur Alltagsroutine gehört: Tagtäglich werden Menschen „im öffentlichen Interesse der Bundesrepublik Deutschland“ außer Landes geschafft. Die Zahl dieser Zwangsabschiebungen hat sich seit der Verschärfung des Asylrechts verdreifacht. Eine „Rekordzahl“, nur erreichbar, wenn die Behörden „zügigen Vollzug“ melden können und wenn nicht lästige Quertreiber Hindernisse auf den Abschiebeweg stellen.
Das neue Asylrecht hat die wichtigste Hürde, die Rechtsanwälte der Flüchtlinge, so weit wie möglich ausmanövriert. Doch als letzte Instanz stellten sich wider Erwarten dann Flugpiloten in den Weg. Oft haben sie sich geweigert, die Passagiere wider Willen zu befördern. Wenn sich die Flüchtlinge heftig wehrten, blieb die Maschine am Boden, bis sie wieder aussteigen durften. Weil die Piloten den Sicherheitsvorschriften ihres Berufes folgten, hat man Abhilfe gesucht bei anderen, die es mit ihrem Berufsethos offenbar nicht so genau nehmen: bei Ärzten.
Ein Frankfurter Mediziner stellte den sich wehrenden Nigerianer mit einer Betäubungsspritze ruhig. Einzige medizinische Indikation: reibungsloser Vollzug eines behördlichen Verwaltungsaktes. Der Arzt dürfte nicht der erste Helfer in Weiß sein, der sich auf diese Weise zum Handlanger der Abschiebemaschinerie macht. Nur dieses eine Mal war das Herz für die „normale“ Abschiebedosis zu schwach und hat die Kumpanei von Medizin und Staatsmacht verraten. Der plötzliche Tod des Nigerianers, heißt es jetzt im Obduktionsbericht, könne auch auf „natürliche, innere Ursachen“ zurückzuführen sein – in der Tat, auf innere Ursachen. Gelegen in der Bundesrepublik Deutschland. Vera Gaserow
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