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■ Gebärdensprachfestival im Haus der Kulturen der Welt

Bernhard Bragg aus Amerika kommt viel zu spät zur Pressekonferenz. Er ist gerade erst vom Flughafen gekommen, tritt nun aber strahlend durch die Tür und gibt gleich nach der Begrüßung einen kleinen Witz zum Besten. Die eine Hälfte des Saales biegt sich vor Lachen, die andere lächelt höflich, aber offensichtlich verständnislos, wie Leute, die die Peinlichkeit einer verpaßten Pointe vertuschen wollen. Das liegt nun nicht daran, daß Bernhard Bragg aus Amerika kommt, sondern daran, daß er gehörlos ist und seinen Witz in der Sprache erzählte, die ihm am liebsten ist: Gebärdensprache – eine Ausdrucksform, die Gehörlose immer stärker als ihre Sprache entdecken. Und nicht weil sie international ist – das ist sie gar nicht, nur völkerübergreifend verständlich –, sondern weil Gehörlose im Versuch, gesprochene Sprache nachzuahmen, den Hörenden immer unterlegen bleiben. Es ist eben einfach nicht die natürliche, unangestrengte Form der Kommunikation für sie, obwohl an den Sonderschulen für Gehörlose immer noch fast ausschließlich die gesprochene Sprache gelehrt wird. Natürlich sieht man die Notwendigkeit, diese zu erlernen, um sich nicht völlig auszugrenzen, aber die Kultur der ihnen gemäßen Sprache wollen Gehörlose mehr und mehr fordern.

Unter anderem diesem Zweck dient das Gebärdensprachfestival, das an diesem Wochenende zum zweiten Mal in Berlin stattfindet und zu dem etwa 1.000 Gehörlose aus Europa und Amerika im Haus der Kulturen der Welt erwartet werden. Höhepunkt wird heute abend um 19 Uhr der Wettbewerb um die Goldene Hand sein, in dem gehörlose Geschichtenerzähler so ausdrucksstark und originell wie möglich eine eigene Geschichte „gebärden“ werden. Und auch das Deutsche Gehörlosen-Theater wird (heute um 16 Uhr) im Café-Theater Schalotte mit seiner Produktion „Höchste Zeit für Regentrude“ zum ersten Mal ein rein gebärdensprachlich inszeniertes Stück präsentieren. Auch das Gehörlosen-Theater wurde die längste Zeit von einem Hörenden geleitet, und die Stücke wurden immer zumindest zum Teil in gesprochener Sprache inszeniert. „Doch jetzt“, so meint der künstlerische Leiter des Theaters, Thomas Zander, sei es „höchste Zeit, sich vom Kolonialismus der hörenden Fachleute, die immer schon wußten, was für die Gehörlosen das beste sei, zu befreien.“ Der Ausdruck dieses neuen Selbstbewußtseins und des Willens, der fortdauernden Diskriminierung zu begegnen, ist ihre eigene Sprache. Volker Weidermann

Heute, 10 Uhr: Workshop „Die Gebärdensprache“; 14 Uhr: Gebärdensprachfest der Kinder; 19 Uhr: Wettbewerb um die Goldene Hand; 23 Uhr: Mitternachtsdisco, HKW, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten; heute, 16 Uhr: „Höchste Zeit für Regentrude“, Café-Theater Schalotte, Behaimstraße 22, Charlottenburg. Es sind ausdrücklich auch Hörende willkommen, für die alles simultan übersetzt wird.

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